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Die Wahrheit begraben

Die Wahrheit begraben

Mit erwartungsvollen Gesichtern blickten Aria, Emily, Hanna, Spencer und ich auf Alison, die aussah als hätte sie soeben einen Geist gesehen. Im Haus der Hastings war es mucksmäuschenstill. ,,Und was hat dein Dad zu dem Foto gesagt" schoss Hanna ungeduldig los. ,,Stimmt es, dass der Junge neben Jason Charles ist" fuhr Aria aufgeregt fort. ,,Leute" unterbrach ich sie entschieden. In meinen Gliedern konnte ich noch immer die Schwere des Tages spüren, doch meine Gedanken waren glasklar. ,,Lasst ihr eine Minute." Langsam wandte Ali ihre Aufmerksamkeit uns zu. ,,Charles ist mein Bruder" erklärte sie aufgelöst. ,,Aber wo hat er denn die ganze Zeit über gewohnt, wenn nicht bei euch" fragte Emily verwirrt. Mit zittriger Stimme begann Alison schließlich Stück für Stück von dem Gespräch mit ihrem Vater zu erzählen. Das Charles ihr älterer Bruder war, der schon früh Probleme hatte und deswegen in Radley eingewiesen wurde. ,,Es tut mir so leid, Ali" meinte Em aufrichtig, ehe sie sich neben Alison auf den Hocker vor Spencers Bett setzte. ,,Gott" hauchte Spencer ermattet. ,,Alle Wege führen nach Radley." ,,Ich verstehe das nicht" setzte Aria durcheinander an. ,,Warum haben euch eure Eltern nichts von ihm erzählt, sondern ihn verschwiegen?" Wieder brauchte Alison einen Moment um sich zu sammeln, dann fuhr sie mit ihrer Erzählung fort. Anscheinend wollte ihnen Mrs Dilaurentis schon viel früher die Wahrheit sagen, doch Mr Dilaurentis hatte dies erbittert unterbunden. Für ihn war Charles nicht mehr als eine Belastung. ,,Wieso ist sich dein Vater so sicher" hakte ich grübelnd nach, als Ali an der Stelle angekommen war, bei der es um Charles vermeintliches Spiel mit uns ging. Alison sah mir direkt in die Augen, dabei wirkte sie zum ersten Mal an diesem Abend vollkommen anwesend. ,,Weil Charles tot ist."

Alis Antwort war wie eine Bombe in unserer Mitte geplatzt. Mit ungläubigen Mienen sahen wir einander an. Das konnte nicht sein, nicht wo doch alles auf Charles hinwies. ,,Er hat sich umgebracht als er 16 war. Er hat Radley nie verlassen" fuhr Alison erklärend fort, nachdem sie in unsere entgeisterten Gesichter geblickt hatte. ,,Wie hat er es getan" stammelte Spencer atemlos. ,,Er hat Pillen geschluckt" antwortete Ali benommen. ,,Und wo wurde er begraben" hakte Em neugierig nach. ,,Mein Dad war im Ausland, als es passiert ist" setzte sie schwerfällig an. ,,Also hat meine Mum ihn einäschern lassen." ,,Nein, er lügt" unterbrach Hanna sie kopfschüttelnd. ,,Wieso bist du dir da so sicher" fragte Aria stirnrunzelnd. ,,Keine Leiche, kein Grab, kein Beweis" erwiderte Hanna überzeugt. ,,Er lügt doch nicht, Hanna" fauchte Alison aufgebracht. ,,Er beschützt doch Niemanden, der uns das antun will." ,,Vor zwei Tagen gab es noch keinen Charles Dilaurentis in eurer Familie" entgegnete Hanna mit lauter Stimme. ,,Kannst du ihm jetzt glauben?" ,,Er wollte mir nichts von ihm erzählen, weil er sich dafür schämt, was Charles getan hat" sagte Alison, während sie Hanna anfunkelte. ,,Was er mir und der Familie angetan hat." ,,Ali" begann Spencer ruhig. ,,-A geht auf den Namen Charles ein. Diese Kinderaufnahmen von euch sind ihm sehr wichtig. Das alles gibt uns Anlass zu glauben, dass dein Bruder vielleicht noch lebt. Und um das auszuschließen, brauchen wir Beweise für seinen Tod." ,,Und wo bekommen wir die her" fragte Em nachdenklich. ,,Wir fahren ins Radley" erklärte Hanna entschieden. ,,Irgendwer dort wird doch über Charles Bescheid wissen." ,,Wir können aber nicht ins Radley" warf ich nüchtern ein. ,,Wieso nicht?" Hanna sah mich verständnislos an. ,,Es wurde geschlossen, wisst ihr noch" fuhr ich fort. Aus den gerade noch so energiegeladenen Gesichtern wich sämtliche Kraft und Erschöpfung machte sich breit.

Ich saß nun schon eine ganze Weile auf einem der Hocker am Küchentresen in Jasons Wohnung, während dieser aufgewühlt umher lief und vor sich hin murmelte. Mit meinen kalten Fingern drehte ich die Teetasse in meiner Hand leicht hin und her. ,,Ich verstehe es einfach nicht" sagte Jason schließlich und blieb stehen. ,,Mein ganzes Leben lang habe ich versucht herauszufinden, was in meinem Leben fehlt und wie ich alles wieder zusammenfügen kann, dabei lag es gar nicht an mir." Seine Stimme versagte. ,,Es tut mir wirklich leid, Jason" flüsterte ich, nachdem ich aufgestanden und an ihn herangetreten war. ,,Sie haben mich angelogen, meine Mum, mein Dad, einfach alle, die ganze Zeit über" meinte er niedergeschlagen. Ich konnte die Wut in seinen Augen brodeln sehen. ,,Und jetzt ist er tot. Mein Bruder ist tot." Unsicher sah ich ihn. ,,Bist du dir da sicher?" ,,Was meinst du?" ,,Vielleicht ist Charles noch am Leben" erwiderte ich fester. ,,Belle, mein Vater hat mir erzählt ..." ,,Ich weiß, was dein Vater dir erzählt hat. Aber er hat gestern auch noch geschworen, dass es gar keinen Charles Dilaurentis gibt. Dein Vater war nie wirklich ehrlich zu dir, warum sollte er es jetzt sein?" Jason sah mich mit unergründlicher Miene an. Er schien sich meine Worte durch den Kopf gehenzulassen. ,,Heute war ein langer Tag" wechselte er plötzlich das Thema. ,,Ich sollte dich nach Hause fahren, bevor es zu spät wird und deine Eltern sich Sorgen machen." Jason wandte sich von mir ab, um sich seine Jacke überzuziehen. ,,Sicher" murmelte ich und nahm meine Tasche vom Tresen. Jason wartete schon auf mich an der Tür, machte jedoch noch keine Anstalten diese zu öffnen. Stattdessen kam er auf mich zu und schloss mich in seine Arme. ,,Danke" hauchte er in mein Ohr. ,,Dafür dass du für mich da bist." ,,Ich habe ja noch einiges aufzuholen" meinte ich und lehnte mich ein kleines Stück zurück um ihn anzusehen. ,,Ich liebe dich." Mit einem leichten Lächeln legte ich meine Lippen auf seine und küsste ihn. In meinen Bauch kribbelte es. ,,Ich dich auch" sagte ich atemlos, als wir unsere Lippen von einander lösten. Mir wurde schlagartig bewusst, wie lange diese absolute Vertrautheit zwischen uns verloren gewesen war. Doch in diesem Moment war mir klar, dass alles andere, was vorgefallen war, der Vergangenheit angehörte und wir es irgendwie schaffen würden Stein für Stein wieder aufzubauen.