Habt ihr mich vermisst?

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Habt ihr mich vermisst?


Der Sturm schien zu brodeln, ähnlich wie meine Wut. Am mit dunklen Wolken behangenen Himmel traten alle paar Minuten Blitze in Erscheinung. Donnergroll erfüllte die stille Nacht. Etwas schien vor sich zu gehen, man konnte es spüren, wie den lauen Wind auf der Haut. Ich atmete schwer, als ich mit dem Stein in der Hand den schmalen Weg, zwischen unserem Haus und dem der Dilaurentises, entlang lief. Es war nicht nur Wut, die in mir brodelte, sondern auch Alisons Worte, bevor sie mich stehen gelassen hatte. Ich hatte mir geschworen sie nicht damit durchkommen zulassen, sonst würde sie alles zerstören, wie ein Kartenhaus. Doch es schien, als wäre nicht ich Herrin über meinen Körper. Ich war mir selbst fremd, besessen von der Sucht, die wie ein Schatten über mir lag. Schon von weitem erfasste ich ihre Silhouette vor der Baugrube. Ihr gelocktes, blondes Haar fiel ihren Rücken hinunter, ähnlich wie das gelbe Top. Schleichend rückte ich zu ihr vor. Jedes Wort, dass sie mir je an den Kopf geworfen hatte, vermischte sich mit der Verzweiflung, der Angst und der Wut in mir. Tränen schimmerten in meinen Augen. Langsam und mit verkrampften Muskeln hob ich den Stein an. Sie stand immer noch mit dem Rücken zumir, als ich nur noch wenige Zentimeter von ihr entfernt stand. Dann schlug ich heftig zu. Ein schmerzvoller Schrei dröhnte in meinen Ohren. Ihr lebloser Körper sackte zu Boden. Ich fühlte die warme Flüssigkeit an meinen Händen, meinem Pullover und meinem Gesicht. Von Innen nach Außen wurde ich mit Kälte und Leere erfüllt. Der Stein fiel dumpf zu Boden, gefolgt von meinem Körper, der in sich zusammensank. Ich spürte die erdrückende Last auf meinen Schultern, ehe mein Blick in die Ferne glitt. Vor mir der Körper des toten Mädchens.


Panisch schnappte ich nach Luft, als ich aus meinem Traum aufschreckte. Wie wild schlug ich mit meinen Armen um mich. Ich konnte das Blut immer noch an meinen Händen spüren. Die Bilder aus meinem Traum schienen sich festgesetzt zu haben, der Schrei dröhnte noch in meinen Ohren nach. War das meine fehlende Erinnerung gewesen? Ich fuhr mir durch meine offenen Haare, die leicht wellig über meine Schultern fielen. Mit schwachem Gefühl in denen Beinen richtete ich mich auf und schritt auf das Bad zu. Flimmernd schaltete sich das Licht an der Decke an. Blinzelnd sah ich in den Spiegel. Meine Pupillen waren geweitet und mein Gesicht ähnelte dem eines Geistes. Doch hatte ich das nicht verdient? Als Strafe dafür, dass ich ein unschuldiges Mädchen verletzt hatte. An meinem Gewissen änderte das nichts. Das kalte Wasser füllte meine Hände, ehe ich es mir sorgsam ins Gesicht schüttete. Die erfrischende Wirkung ließ mich ruhiger werden. An Schlaf war jedenfalls nicht mehr zu denken.


Der Geruch von frischem Kaffee lag in Luft, als ich die Küche betrat. Meine Eltern saßen überraschender Weise beide am Tisch. Ihr Gespräch verstummte schlagartig, als sie mich bemerkten. Das war in der letzten Zeit häufiger der Fall gewesen, anscheinend konnten sie vor mir nicht offen über Alis Geschichte reden, denn das war es schließlich worum es ging. ,,Guten Morgen, Schatz" meinte mein Dad, ehe er zur Zeitung griff. ,,Morgen" murmelte ich und goss mir eine Tasse der schwarzen Flüssigkeit ein. ,,Wie hast du geschlafen" fragte meine Mum besorgt, als sie mein Gesicht musterte. ,,Gut" log ich mit einem überzeugenden Lächeln. ,,Vergiss nachher nicht deinen Termin bei Dr. Berman. Ihr solltet anfangen deine verpassten Sitzungen aufzuholen." Ich runzelte bei ihren Worten die Stirn. ,,Dr. Berman? Ich dachte, wir hätten unsere Treffen beendet." ,,Belle, du hast in der letzten Zeit viel durchgestanden" erklärte meine Mum ernst. ,,Dein Dad und ich denken, dass es besser wäre, wenn du weiter zu Dr. Berman gehen würdest. Vor allem nachdem was mit Alison passiert ist." ,,Gut, meinetwegen. Dann gehe ich weiter zu Jiminy Cricket." ,,Wem?" ,,Ach nicht so wichtig" erwiderte ich und nippte an meinem heißen Kaffee. ,,Wir sollten Alison zum Abendessen einladen" schlug mein Dad vor und sah über den Rand der Zeitung hinweg zu mir. ,,Das ist eine gute Idee. Nach allem was sie durchgestanden hat, kann ein gemütliches Essen nicht schaden. Wie in alten Zeiten, was meinst du Belle?" Meine Mum schaute mich fragend an. ,,Klingt großartig" antwortete ich zähneknirschend. ,,Ich werde sie später mal fragen." Ich wusste nicht, was ich von diesem Vorschlag halten sollte. Es war nicht wie früher, wir hatten uns verändert und waren einfach nicht mehr die Mädchen von damals. Seit Ali zurück war, fühlte sich alles anders an, die Spannungen und die neuen Lügen. Eigentlich hatte ich gehofft, dass wir wieder unbeschwert sein könnten und jetzt war ich erneut gefangen.

Never trust a pretty girl with an ugly secret → 2Where stories live. Discover now