Gute Zeugen, Schlechte Zeugen

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Gute Zeugen, Schlechte Zeugen


Angespannt verfolgte ich Mrs Hastings Erklärung über die Sitzordnung beim morgigen Prozess. Vor mir auf dem Tisch lag eine Skizze ausgebreitet, auf der Spencers Mum ab und zu etwas anzeigte. Neben mir saß meine Mum, die Stirn in Falten gelegt. Sie hatte mich ein wenig näher an sich heran gezogen, sodass ich ihre Wärme deutlich spüren konnte. ,,Am besten siehst du die Geschworen gelegentlich an, um ihnen zu zeigen das du nichts zu verbergen hast" endete Mrs Hastings schließlich. Ich nickte geistesabwesend, während ich noch versuchte zu verarbeiten was morgen alles auf mich zu kommen würde. ,,Keine Sorge, Belle" beruhigte sie mich. ,,Ich werde die ganze Zeit an deiner Seite sein." ,,Ich weiß, es ist auf einmal alles nur so plötzlich und überwältigend" meinte ich nervös und biss mir auf die Unterlippe. ,,Und was ist wenn mir die Geschworenen nicht glauben? Sie entscheiden schließlich, wie es für mich ausgeht." Mrs Hastings sah mich aufmunternd an. ,,Alles was wir brauchen ist einen verunsicherten Geschworenen, der gegen die Anderen stimmt, dann haben wir schon gewonnen" versicherte sie mir zuversichtlich. ,,Nur einen" hakte meine Mum unruhig nach. ,,Nur einen. Es wird vermutlich nicht einfach, aber der Staatsanwalt hat definitiv die schwierigere Aufgabe, alle zwölf Geschworenen von seiner Anklage zu überzeugen, vor allem mit deiner Aussage." Ich atmete tief durch. ,,Der erste Prozess Tag wird sicherlich der anspruchsvollste und nervenaufreibendste werden, Belle. Trotzdem musst du Ruhe bewahren."Ich nickte verständlich. ,,Finn und ich werden da sein, Schatz, keine Sorge. Wir lassen dich im Gericht nicht allein" erklärte meine Mum mit belegter Stimme. ,,Wird Dad auch kommen" fragte ich ein wenig hoffnungsvoll und sah sie von der Seite an. ,,Er ist im Moment sehr beschäftigt" setzte meine Mum sichtlich beklommen an. ,,Aber ich werde sehen, was ich tun kann." ,,Am besten beenden wir das für heute" unterbrach uns Mrs Hastings mit einem Blick auf ihre Armbanduhr. ,,Du solltest jetzt noch ein wenig zur Ruhe kommen, bevor morgen der große Sturm auf uns zu kommt."


Das prasselnde Aufschlagen des Wasser auf den Fliesenboden verstummte, während ich mit meiner rechten Hand über den beschlagenen Spiegel wischte. Einen Augenblick lang betrachtete ich mein Gesicht näher. Es kam mir vor als hätte ich vor Jahren das letzte Mal in den Spiegel gesehen. Meine Haare fielen nass meinen Rücken herunter. Meine Augen wirkten gefühllos, ohne jegliches strahlen. Ansonsten hatte ich lediglich ein wenig abgenommen und war ziemlich blass geworden, sämtliche Frische war von meinen Wangen verschwunden. Sichtlich getroffen von meiner eigenen Erscheinung wandte ich mich ab. Als ich nur wenige Minuten später wieder in meiner Zelle eingetroffen war, fiel mein Blick auf den durchsichtigen Kleidersack, der über dem Stuhl lag. Mein Kleid für den Prozess wirkte hier drin vollkommen deplatziert und grotesk. Ich setze mich auf den Rand meines Bettes, welches ein zähes Quietschen der Federn von sich gab und blickte auf die Bilder, die an der Wand neben dem Bett hingen. Sehnsucht breitete sich in mir aus. Sehnsucht nach zu Hause, meiner Familie, meinen Freunden und Jason. Noch nie wollte ich so sehnsüchtig nach Rosewood, wie in diesem Moment. Meine Nerven waren am Ende. Der Prozess morgen würde alles ändern und die Geschworenen allein hatten mein Leben in der Hand. Dabei lag es nicht nur an den Geschworen, schließlich spielte -A dieses Spiel, aus dem es kein entrinnen gab. Ich war einzig und allein eine machtlose Spielfigur, die hin und wieder mal einen Treffer landete, um die Leiter nach oben zu gehen, nur um wenig später wieder von Vorne zu beginnen.


Mein Herz raste in meiner Brust, als die Geschworenen einer nach dem Anderen den Gerichtssaal betraten und sich hinter die Absperrung auf der rechten Seite des Saals setzten. Meine Hände begannen kaum merklich auf dem dunklen Holztisch zu zittern, während Ali und ich einen kurzen, unsicheren Blick tauschten. Mrs Hastings und ich hatten den Tisch ganz links im Saal, dann folgte der von Alison und ihrer Anwältin, sowie mit einigem Abstand der des Staatsanwaltes, Mr Sirk. Hinter einer weiteren Absperrung befanden sie die Sitze für Prozessbeobachter, Schaulustige und Angehörige. Beim Reinkommen hatte ich meine Mum und Finn gesehen, die mich aufmunternd angeblickt hatten, auch Jason saß dort neben seinem Vater, nur mein Dad war nirgendwo zusehen. Doch vielleicht war es besser so, wo seine Meinung doch schon feststand. Ich schluckte schwer, ehe ich einen flüchtigen Blick über meine Schulter warf. Die schwere Tür zum Gerichtssaal war ins Schloss gefallen und zögernd traten Aria und Emily näher an das Geschehen heran. Einerseits gab es mir Mut, dass die Beiden hier waren um mich und Ali zu unterstützen, aber andererseits versetzte es mir auch einen tiefen Stich, dass Spencer nicht dabei war. Mrs Hastings tätschelte ein wenig meine Hand, da ihr meine Unsicherheit und Nervosität nicht entgangen waren. Ich holte tief Luft und überflog noch einmal die Gesichter der zwölf Geschworenen, ehe ich meine Aufmerksamkeit auf das Richterpult legte, welches sich einschüchternd vor uns erhob. Der Richter ließ sich eindrucksvoll auf seinem Stuhl nieder und eröffnete die Verhandlung mit dem Schlag seines Hammers.

Never trust a pretty girl with an ugly secret → 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt