24. Kapitel

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Doch obwohl es so wunderschön war und ich es überhaupt nicht wollte, musste ich die ganze Zeit daran denken, wie es wohl wäre Ryan anstelle von Jess zu küssen.

"Doch es ist wichtig, dass ihr euch nicht nur auf die Gesichtszüge des Anderen verlasst, sondern eben auch Handlungen und Taten hinterfragt. Das eigene Nachdenken ist meistens der Schlüssel zum Erfolg und verhindert, dass man sich beeinflussen lässt", erklärte Maya uns, doch ich konnte nicht zuhören. In Gedanken war ich schon wieder bei dem Kuss von Jess. Wieso hatte er mich geküsst? Er hatte nie Andeutungen oder so etwas gemacht, oder hatte ich die einfach nicht verstanden? Ich hätte nie gedacht, dass er in mir mehr als eine Freundin sah.

Ich schüttelte mich leicht. Das Einzige, was das wohl noch übertraf, war die Tatsache, dass ich während des Kusses an Ryan gedacht hatte. Wieso hatte ich bitte an Ryan gedacht? Weil er Nico das Leben gerettet hatte? Weil er in letzter Zeit immer für mich da gewesen war? Dabei hatte war ich doch in Jess verliebt, oder doch nicht?

Ich ließ meinen Kopf auf meine überkreuzten Arme sinken. Wieso konnte ich nicht einfach wissen, was ich wollte? Und was sollte ich jetzt Jess zu dem Kuss sagen? Ich konnte ja schlecht zugeben, dass ich mir vorgestellt hatte, er wäre Ryan. Oder doch? Vielleicht sollte ich einfach ehrlich sein, denn wenn ich es nicht war, würde ich geradewegs auf eine Beziehung zusteuern, die ich gar nicht wollte. Andererseits, wieso sollte ich eine Beziehung mit Jess nicht wollen?

In dem Moment riss mich die Stimme von Lea aus den Gedanken: "Du wolltest doch wieder mit auf Einsätze, nicht?" Überrascht hob ich den Kopf. "Ja?" Worauf wollte sie hinaus? "Freitag findet wieder einer statt, wenn du willst, empfehle ich dich." Und da dachte ich gerade noch der Kuss wäre mein größtes Problem. "Das würdest du machen?", fragte ich vollkommen überrumpelt. "Klar", grinste Lea, "Wir sind doch Freunde." Sprachlos sah ich sie an, denn eigentlich war ein Einsatz das Letzte was ich jetzt wollte. Ich war davon ausgegangen, dass Emanuel mich erstmal davon fernhalten wollte, weshalb ich ihm auch das Blaue vom Himmel gelogen hatte. "Klar komme ich mit", verkündete ich und begann falsch zu lächeln, da mir auf die Schnelle keine Ausrede einfallen wollte. "Toll", freute sich Lea und klopfte mir grinsend auf die Schulter. Sehr toll.

"Tut euch jetzt bitte in Zweiergruppen zusammen", befahl Maya und ich sah mich ratlos um. Lea machte mit Arne zusammen und Jassi setzte sich neben Mila. "Mit wem machst du?", fragte plötzlich jemand hinter mir und ich fuhr herum. Hinter mir stand Kyle und kratzte sich verlegen am Nacken. "Mit niemanden", stellte ich seufzend fest. Ich hatte nicht erwartet, dass er nach der Sportstunde noch einmal zu mir kommen würde. Ich hatte ihn ja doch recht unhöflich abblitzen lassen. "Na was für ein Zufall, ich mache auch mit niemandem." Er nahm sich einen freien Stuhl und setzte sich zu mir.

"So, jetzt üben wir das Hinterfragen", verkündete Maya. "Erzählt eurem gegenüber einen kurzen Satz und dieser muss die tiefere Bedeutung dahinter erfragen. Zum Beispiel könnte ich sagen: 'Mein erster Freund hieß Jack' und mein Gegenüber könnte durch Anzeichen in meinem Gesicht darauf kommen, das er gestorben ist." Kritisch sah ich Maya an. Ob Emanuel wusste, dass sie so etwas unterrichtete? Schließlich war er doch dagegen, dass man genauer nachfragte, auch wenn sich das hier jetzt gar nicht direkt auf seine Regel bezog. Doch wie sie immer 'hinterfragen' sagte, war für mich fast eindeutig.

"Okay, ich fange an", verkündete Kyle und ich widmete ihm meine Aufmerksamkeit. "Ich hab einen Bruder." Ratlos sah ich ihn an. In seinem Gesicht erkannte ich nichts, also auf jeden Fall keine Trauer. "Er lebt noch", mutmaßte ich. Kyle nickte. "Weiter." "Du hast ihn lieb?", riet ich weiter. Kyles Gesicht war so aussagend wie ein Stein. "Ja." "Gib mir einen Tipp", quengelte ich. Zwar war Menschenkunde interessant, aber ich hatte momentan echt keinen Nerv dafür. "Der Grund, wieso ich in der UK bin", half mir Kyle auf die Sprünge. Da fiel es mir wie Schuppen von den Augen. "Du möchtest etwas ändern, für deinem Bruder." Kyle nickte. "Ich will nicht, dass er in so einer Welt aufwächst."

DefeatedWhere stories live. Discover now