1. Kapitel

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Staub rieselte von der Decke auf meine blonden Haare und kribbelte in meiner Nase. Alles war zerstört. Seufzend ließ ich meinen Blick über das Wohnzimmer schweifen. Die Decke war eingebrochen und Trümmer lagen auf dem Boden.

Es machte mich traurig. Das hier war mein zu Hause.

Doch die einst riesige Villa war zerfallen, das Mobiliar war zerstört und man konnte die Nachwirkungen des Krieges deutlich spüren. Nicht einmal Bob, unser Haushaltsroboter, würde es schaffen den Dreck zu beseitigen. Nicht das Bob momentan überhaupt etwas machen würde, kein einziges elektrisches Gerät funktionierte, zumindest keins, dessen Besitzer ein Deutscher war. Oder Engländer. Wenn man kein Russe, Amerikaner oder Chinese war, hatte man momentan nämlich echt die Arschkarte gezogen.

"Wir sollen Bob raus bringen", erinnerte mich mein kleiner Bruder, der immer wieder an meinem Ärmel zupfte. "Gleich, Nico." Aus der Küche erklang schrilles Geschrei. Genervt stöhnte ich auf, doch Timothy kam mir zuvor: "Ich geh schon." Dankbar lächelte ich dem Zwölfjährigen zu und starrte ihm hinterher, als er zu Rica, der Jüngsten, in die Küche eilte. Sie war zwar nicht unsere Schwester, aber wir behandelten die Einjährige wie ein Familienmitglied, seit wir sie vor einer Woche mutterseelenallein in einem zerbombten Haus gefunden hatten.

"Lia, was ist jetzt mit Bob?", nervte Nico weiter und rüttelte an meinem Arm. Ich nickte nur. Ich wusste, dass ihm langweilig war, er war gerade mal sieben Jahre alt, doch er durfte nicht spielen gehen. Es gab keine Spielplätze für Deutsche. Nur Arbeit. Ich zögerte kurz, dann packte ich den großen Roboter und zog ihn hinter mir her. Nico hüpfte vor mir her.

"Räum mal bitte die Steine aus dem Weg", bat ich meinen kleinen Bruder und der Braunhaarige nickte eifrig. Traurig sah ich auf Bob hinunter. Er war natürlich nur ein Roboter, nichts unersetzbares, aber an ihm hingen Erinnerungen. Erinnerungen, die man nicht ersetzen konnte. Voller Schmerz dachte ich an den Abend, an dem mein Vater mit ihm durch die Haustür gekommen war. Strahlend und stolz auf den Kauf. Eine Träne kullerte mir über die Wange. Er würde nie wieder durch diese Tür kommen. Die kleinen Hände von Nico schlangen sich um meinen Bauch und er drückte sein Gesicht in den Stoff meines T-Shirts. Sanft umarmte ich ihn ebenfalls und streichelte über seine braunen Locken.

"Wir müssen weitermachen", erinnerte ich ihn leise und er blickte auf. Seine blauen Kulleraugen waren ebenfalls mit Tränen gefüllt und ich sah seinen Schmerz über den Verlust darin. Er war zu jung um das zu erleben, was er bereits erleben hatte müssen. Niedergeschlagen begann er wieder den Weg frei zu räumen und rollte die riesigen Brocken, die aus der Decke gebrochen waren, aus dem Weg. Es war ein Wunder, dass das Haus überhaupt noch stand.

Mühsam schleppte ich Bob weiter, da seine Reifen auf Grund der Abschaltung blockiert waren. Verärgert verzog ich das Gesicht, als er erneut hängen blieb. Mit zusammengebissenen Zähnen zerrte ich ihn weiter, Schritt für Schritt. Schweiß trat mir auf die Stirn, doch der bescheuerte Roboter wollte sich nicht weiterbewegen. Angestrengt drückte ich dagegen und erhaschte währenddessen einen flüchtigen Blick auf meine Armbanduhr. Nur noch eine halbe Stunde, dann würden die Russen kommen und dann musste Bob weg sein. Ich wollte gar nicht wissen, was passierte, wenn sie noch einen Roboter drinnen entdecken würden.

"Warte, ich helfe dir", bot mir jemand an. Alarmiert blickte ich auf, doch es war nur Meredith. Leicht lächelnd stand sie in der Haustür und beobachtete das Geschehen mit ihrem einem Auge. Es gab eine Zeit vor dem Krieg, als in ihrem Gesicht noch zwei blaue Augen funkelten, doch das war schon lange her. Solange, dass ich es schon fast vergessen hatte.

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