9. Kapitel

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In dem Moment löste sich jemand aus dem Schatten einer an der Wand befestigten Weichbodenmatte. Ich hob den Kopf und vergaß für einen Moment sogar den Schmerz. "Du machst das falsch."

Irritiert starrte ich Jess an. Was machte der hier? Hatte er nicht gestern gesagt, dass er mich nie wieder sehen wollte? "Was willst du denn hier?", gab ich unwirsch von mir. Er durfte sauer auf mich sein, das verstand ich. Aber er brauchte nicht hier herum laufen auf der Suche nach Mitleid. Ich hatte mich entschuldigt und ich war ihm aus dem Weg gegangen, was sollte ich denn noch tun?

"Ich helfe dir", erklärte Jess und trat näher an mich heran. Er roch nach Minze. Der Duft vernebelte mein Gehirn. "Du musst die Hüfte drehen, während du zutrittst", korrigierte mich der Blonde. "Warum?" Er grinste: "Warum du die Hüfte drehen sollst?" Augenverdrehend schüttelte ich den Kopf. "Warum du mir hilfst." Jess seufzte laut, bevor er schließlich zu einer banalen Antwort griff: "Ich bin in Trainer und du sollst trainiert werden. Das ist meine Aufgabe." Jetzt seufzte auch ich auf. "Emanuel", riet ich. Die Mundwinkel von Jess hoben sich leicht: "Fast. Ali."

Ich konnte nicht anders, ich musste auflachen. "Ali ist dein Chef?" Leidend nickte er. "Ein richtiger Sklaventreiber. Können wir jetzt trainieren?" Ich nickte verwirrt. Jess sprach mit mir, als wäre das gestern nicht passiert. Klar war da noch eine Distanz, aber die Kälte vom Vortag schien verschwunden. Dennoch wollte ich ihn nicht darauf ansprechen.

"Komm, tritt nochmal", forderte mich Jess auf, während er hinter den Sandsack stellte, um ihn festzuhalten. Ich atmete tief ein, holte Schwung und streckte den Fuß aus, während ich meine Hüfte irgendwie bewegte. Mein Fuß verfehlte den Sandsack um Weiten und ich landete unsanft auf meinem Hosenboden. Genervt holte ich Luft. Das war doch Schwachsinn. Der Blonde dagegen begann zu lachen, was meine Situation auch nicht besser machte.

"Komm, hoch", forderte mich Jess auf, während er mir seine rechte Hand hinhielt. Zögerlich ergriff ich sie. Es war ein Wunder wie entspannt seine Gesichtszüge waren, da war ein meilenweiter Unterschied zum Vortag. "Du musst das so machen", behauptete er und ich schenkte ihm wieder meine ungeteilte Aufmerksamkeit. Langsam nahm er ein bisschen Anlauf, ließ seinen Fuß nach vorne schwingen und zog sein Bein dann hoch, sodass er den Sack mit dem ganzen Fuß traf. "Das", ich deutete auf ihn und den Boxsack, "war ein halber Spagat und ich", mein Finger wanderte auf meine Brust, "bin keine Ballerina."

Jess schmunzelte. "So schwer ist das gar nicht." Gespielt böse sah ich ihn an: "Das sagen sie alle." Er schüttelte amüsiert den Kopf und schob mich auf die Matte. "Ich zeig es dir." Als ich seine Hände auf meiner Hüfte spürte, erschauderte ich und mir wurde flau im Magen. War der dumm? So konnte ich mich erst recht nicht mehr konzentrieren. Oh Gott. "Auf drei", Ich konnte seiner Stimme das Grinsen anhören, dass sich mit Sicherheit auf seinem Gesicht befand, "Eins" Ich holte tief Luft, "Zwei" Einfach diese Hände ignorieren, oder mir vorstellen die wären von jemand anderem. "Drei!" Entschlossen holte ich aus und trat ins Grüne. Ich spürte, wie Jess meine Hüfte drehte und tatsächlich traf ich den Boxsack fester und sicherer, als je zuvor. Zufrieden grinsend drehte ich mich um.

Anerkennend nickte Jess und trat näher auf mich zu. Er beugte sich zu mir und ich erstarrte. Wollte er mich etwa küssen? War es dafür nicht etwas früh? Doch er lehnte sich nur über mich, um den Sandsack zu stoppen, der mich ansonsten mir voller Wucht in den Rücken getroffen hätte. Natürlich. Was hätte er denn auch sonst machen sollen?

"So, und jetzt du alleine", verlangte Jess und stellte sich wieder hinter den Boxsack, die großen Hände auf dem schwarzen Stoff. In seinen blauen Augen lag ein amüsiertes Funkeln, was sie nur noch stärker strahlen ließ. Mit einem Lächeln auf den Lippen, was gar nicht mehr verschwinden wollte, trat ich erneut nach dem Sack. Ich traf, doch das mit der Hüfte verstand ich nicht wirklich. "Hey, das war ein Fortschritt ", munterte mich Jess auf. Sofort war die Enttäuschung verschwunden und ich richtete mich voller Elan auf. "Okay, ich mach's nochmal."

DefeatedWhere stories live. Discover now