Kapitel 31

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In der Nacht wurde Lily zweimal wach und schrie mich aus dem Schlaf. Einmal war die Windel voll, ein anderes Mal hatte sie Hunger, also stillte ich einfach. Sie schien nicht wirklich glücklich zu sein, schlief aber wieder ein.

Und um drei klingelte der Wecker.

Sobald ich realisiert hatte, dass es nun Zeit war, abzuhauen, fiel ich fast aus dem Bett beim Versuch, den Wecker sofort zum Verstummen zu bringen. Dann lauschte ich angestrengt. Es war nichts zu hören. Gut.

Schnell schlüpfte ich aus dem Schlafanzug und in die dunklen Klamotten, die ich unterm Bett versteckt hatte. Die Jogginghose, über welche ich die Militärhose mit Tarnmuster zog, einen schwarzen Hoodie und eine dunkelgrüne Damenjacke aus Maras Kleiderschrank. So leise wie möglich schleppte ich die beiden Rucksäcke durch den Flur und die Treppe hinunter. Solange Lily nicht aufwachte und schrie, würde alles glatt gehen. Rasch packte ich die Babynahrung aus dem Küchenschrank in einen der Rucksäcke und dazu noch alles Essen, das Jacob abends mitgebracht hatte. Bei all diesen Tätigkeiten humpelte ich erbärmlich, doch die Krücken behinderten mich momentan eher, als dass sie mir halfen.

Als ich die Treppe wieder hochschlich, um Lily zu holen, pumpte heißes Adrenalin durch meine Adern. Im Schlafzimmer schnappte ich mir noch die Pistole vom Nachttisch, stopfte sie in meine Hosentasche und hob Lily dann ganz vorsichtig vom Bett. Zum Glück schien sie wie ein Stein zu schlafen. Ich nahm also die Krücken, die neben der Tür an der Wand lehnten und lief wieder runter in den Flur. Schnell zog ich die Schuhe an, band mir Lily mit Maras großem Schal vor den Bauch, setzte die beiden Rucksäcke auf, nahm die Krücken und verließ das Haus. Alles blieb ruhig. Gut.

Es war stockfinster draußen. Schlecht.

Langsam krückte ich zur Straße und folgte dieser dann. In der vorherrschenden Finsternis konnte ich kaum etwas erkennen; das wenige vorhandene Licht ließ alle Umrisse unwirklich aussehen und verlieh der ganzen Atmosphäre etwas ziemlich Gruseliges. Ich riss mich zusammen und lief weiter die Straße entlang. Ich musste es bis zur Autobahn schaffen und dort bei der ersten Ausfahrt wieder runter. Ab da würde ich ohne die Karte nicht weiter kommen.

Minuten verstrichen. Lily schlief weiterhin tief und fest. Die Stille war beinahe verstörend. Meine unregelmäßigen Schritte hallten unnatürlich laut. Ich versuchte, an etwas anderes zu denken. Svenja. Adam. Luca. Papa. Noah. Herr Pfaff.

Floh.

Ich brauchte ihn doch! Hoffentlich hatte er das mittlerweile auch eingesehen. Immerhin war er ja noch mit zum Schloss gekommen, um mich zu suchen. Da war er noch nicht abgehauen. Abgehauen, damit ich "sicherer" war. Ohne ihn war es viel gefährlicher. Kaum war er weg, hatte mich schon ein anderer Kerl gefunden. Und wollte mich behalten. Zu seinem persönlichen Vergnügen. Igitt. Mit Floh wäre das jedenfalls nicht passiert. Er hatte mich stets beschützt. Wir waren doch eine Familie!

In meine verworrenen Gedanken versunken, humpelte ich weiter. Alles schmerzte. Und wie es aussah, hatte ich nicht einmal ein Viertel des Weges bis zur Autobahn geschafft. Fuck.

Notgedrungen ließ ich mich auf eine niedrige Mauer vor einem der Häuser nieder, um meine schmerzenden Glieder etwas auszuruhen. Nach zwei Minuten zwang ich mich, weiterzugehen. Und musste nach ein paar hundert Metern eine erneute Pause einlegen. Dann fing es an zu regen. Erst leicht, dann immer heftiger. Scheiße! Ich zog mir die Kapuze tief ins Gesicht, doch Lily wurde nass und fing an zu brüllen. Fluchend suchte ich unter einem Hauseingang Schutz und versuchte, Lily abzutrocknen und zu trösten. Schließlich hörte sie auf zu schreien, doch es sah so aus, als würde sie sofort wieder loslegen, wenn ich weiterlief. Was sollte ich jetzt tun? Wie lange würde dieser Regenguss anhalten? Zehn Minuten? Drei Stunden? Sollte ich in dieses Haus einbrechen und warten, bis es aufhörte?

Never Feel SafeWhere stories live. Discover now