Kapitel 14

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Die Nacht verlief ruhig. Obwohl ich erwartet hatte, nicht schlafen zu können, war ich innerhalb von Sekunden weggedämmert. Und als Floh mich sanft weckte, schien es mir, als hätte ich nur Minuten geschlafen.

Immerhin musste ich mich heute nicht übergeben. Das nahm ich als gutes Omen.

In der Kantine war kein Mensch, als wir sie betraten. Floh sammelte ein paar Lebensmittel aus dem Kühlschrank, während ich besorgt aus den großen Fenstern blickte. Der Schneesturm hatte aufgehört, doch dafür waren zu der bestehenden Schneemenge gestern noch gut dreißig Zentimeter hinzu gekommen. Es würde extrem anstrengend werden, durch diese Berge des weißen Übels zu stapfen, doch hierbleiben wollte ich auf keinen Fall.

Floh kam mit einem Tablett wieder, auf dem sich ein paar Scheiben altes Brot und zwei Becher Saft befanden.

"Sorry, das war alles. Wir müssen wieder einkaufen."

Ich nickte. Wir waren länger nicht jagen, denn das Wetter war einfach zu schlecht. Zum Glück waren die ganzen Konserven in den Discountern noch etwas länger haltbar.

Schweigend stopften wir das Brot in uns rein. Schließlich kam Martin, grüßte kurz und verschwand mit einem ähnlich beladenen Tablett wieder nach oben. Rasch brachten wir das Geschirr weg und zogen auf unserem Zimmer die dicksten Klamotten an, die wir hatten. Aus Gewohnheit warf ich mir Bogen und Köcher über; Floh schulterte das Gewehr. Anna hatte die Pistole.

Wir warteten am Haupteingang auf Martin, Louis, Robin und Noah, die kurz darauf erschienen. Wortlos machten wir uns auf den Weg, auch wenn keiner so recht wusste, wo wir anfangen sollten, zu suchen. In stiller Übereinkunft schlugen wir den Weg runter zur Innenstadt ein. Es war klirrend kalt. Nicht einmal durch diese anstrengende Tiefschneewanderung wurde mir wärmer. Und die ganze Stadt sah anders aus: An manchen Stellen türmte sich der Schnee zu meterhohen Bergen auf, an anderen war der Boden wie gefegt. Schneeverwehungen. Es sah so apokalyptisch aus, wie es war. Halb verweste Leichen lagen steifgefroren am Wegrand und ließen Galle in meiner Kehle aufsteigen. Der Himmel war wolkenverhangen und genauso weiß wie die Umgebung. Es erinnerte an The Day after Tomorrow.

Hilfreiche Fußspuren im Schnee gab es keine. Totenstille; keiner traute sich, nach Anna zu rufen. Erst, als wir im Einkaufscenter waren, begannen die anderen, laut ihren Namen zu schreien. Keine Antwort. Auch in keinem der Läden ein Anzeichen, dass sie überhaupt hier gewesen war.

"Und wenn sie sich schon vorher verlaufen hat?", fragte ich besorgt. "Wenn sie unter Schneemassen begraben liegt?"

"Wir werden sie finden", meine Floh bestimmt.

Lange liefen wir ziellos in der Stadt umher, riefen erst verhalten, dann immer lauter. Die Aussicht, sie lebendig wiederzufinden, war gering und schwand immer weiter. Am späten Vormittag begann es zu schneien. Kleine, spitze Flocken, die auf der Haut brannten. Sie schossen nieder wie Hagel. Louis sagte, fürs Mittagessen sollten wir wieder ins Krankenhaus gehen. Uns aufwärmen und am Nachmittag weitersuchen. Gesagt, getan. Zumindest gingen die Männer noch einmal los. Ich sah ein, dass es keinen Zweck für mich hatte, weiter zu suchen. Mit meinen Kräften war ich völlig am Ende.

Bangend saß ich die ganze Zeit am Fenster der Kantine, denn von dort konnte man die Straße beobachten, und kaute Fingernägel. Doch auch der Nachmittag brachte keinen Erfolg. Als sie kurz vor der Dämmerung zurückkehrten, sprach ihre Stimmung für sich. Ohne Essen fielen Floh und ich sofort ins Bett. Sogar Adam zappelte weniger herum aus sonst. Ich wusste nicht, ob sich meine Erschöpfung auf ihn übertragen hatte, oder ob er es spürte, dass es jetzt echt keine gute Zeit war, mich zu nerven.

Ich wachte mitten in der Nacht auf, ohne zu wissen warum. Normalerweise hatte ich keine Schlafstörungen. Ich horchte in mich hinein, doch mir war weder schlecht, noch hätte ich mich über andere körperliche Gebrechen beklagen können. Auch Adam war still. Wieso war ich also wach?

Never Feel SafeWhere stories live. Discover now