Kapitel 30

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Am nächsten Morgen holten wir also Lily ab. Auf dem ganzen Hinweg sprachen wir kein Wort. Als wir bei dem kleinen Versteck ankamen, war Mara bereits dort. Sie hatte ein kleines Bündel im Arm und man konnte sehen, dass sie geweint hatte.

Und ich hatte natürlich keine Ahnung, was ich jetzt sagen sollte.

Zum Glück löste Mara dieses Problem für mich. "Lily ist jetzt acht Monate alt. Morgens wird sie gestillt; mittags, nachmittags und abends kriegt sie Brei. Milchbrei, Getreidebrei oder Obstbrei. Sie macht normalerweise keine Schwierigkeiten, aber ab und zu hat sie nachts auch Hunger, dann wird einfach wieder gestillt. Hin und wieder gebe ich ihr weich gekochtes Gemüse in kleinen Stücken, damit sie sich schon mal dran gewöhnt. Falls du mal keinen Brei hast, kannst du sie auch einfach stillen, das ist kein Problem. Einen Schnuller braucht sie nicht mehr. Generell ist Lily eigentlich recht ruhig, aber neugierig. Darum hoffe ich auch, dass sie einigermaßen klar kommen wird." Mara lächelte gezwungen.

Ich schluckte und nickte langsam. Lily wäre also dann die älteste von den drei Kleinen.

Zögerlich streckte ich die Arme aus. "Darf ich...?"

Mara nickte und schien den Tränen nahe. Sie sah ihre Tochter noch einmal an und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. Winzige Ärmchen streckten sich der Mutter entgegen und das Kleine gluckste.

"Mama hat dich lieb", flüsterte Mara und eine Träne kullerte ihre Wange hinab.

Dann legte sie mir Lily in die Arme. Sofort verschwand das Lächeln vom Gesicht des Mädchens. Mit großen blauen Augen starrte sie mich an. Ich lächelte.

"Sie ist sehr hübsch", murmelte ich.

Mara antwortete nicht, sondern wischte bloß die Tränen aus ihrem Gesicht. "Ich weiß, dass du sich gut um sie kümmern wirst. Einerseits hab ich deine zwei Kleinen ja gesehen, und die waren in bester Verfassung. Und andererseits kann keine Mutter ein Kleinkind zurücklassen, auch wenn es nicht ihr eigenes ist."

Wieder nickte ich bloß. "Es tut mir leid."

"Mir auch", murmelte Mara. "Wenigstens wird es ein Junge", sagte sie wie zu sich selbst und strich über ihren großen Bauch. Dann straffte sie auf einmal die Schultern und sah mich ernst an. "Du darfst ihr niemals sagen, dass du nicht ihre Mutter bist. Sie wird sich an dich gewöhnen und mich vergessen. Das musst du mir versprechen. Sie soll niemals den Gedanken haben, dass ich sie verstoßen habe. Versprichst du mir das?"

"Das ist das mindeste, was ich für dich tun kann."

"Gut." Sie zögerte. "Ich muss jetzt gehen. Hoffen wir, dass mich im Schloss niemand vermisst hat." Ein Hauch von Panik klang in ihrer Stimme durch und ich fragte mich unwillkürlich, was man ihr antun würde, wenn herauskam, dass ihr Kind nicht mehr da war.

"Viel Glück und alles Gute", flüsterte ich.

Sie lächelte nervös. "Die halten mich eh für wahnsinnig. Wenn ich sage, ich hätte Lily ertränkt, passt das also nur ins Schema."

"Sie werden dir doch hoffentlich nichts tun, oder?", meldete sich auf einmal Jacob zu Wort.

Mara schüttelte den Kopf. "Sie wollen schließlich dem Baby in meinem Bauch nichts tun."

Jacob schnaubte nur.

Mara kletterte aus dem Versteck und strich Lily noch einmal übers Haar. "Leb wohl, mein Schatz", flüsterte sie, dann war sie verschwunden.

Ein paar Augenblicke konnte ich ihr nur reglos hinterher starren.

"Komm", meinte Jacob schließlich. "Lass uns abhauen."

Never Feel SafeWhere stories live. Discover now