Kapitel 4

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Und am Morgen kam Floh. Ich hatte die Einfahrt seit acht Uhr bewacht und als ich sein Auto gegen kurz nach neun herannahen sah, rannte ich aus dem Haus und warf mich schon in seine Arme, bevor er ganz ausgestiegen war. Es hatte nicht lang gedauert, seinen Kram aus dem Auto ins Haus zu bringen und alles in meinem Zimmer zu verstauen. Jetzt hockten wir auf meinem Bett und Floh brachte mir bei, wie man ein Gewehr bediente. Nicht gerade unbedingt das, was ich mir vorgestellt hatte, doch er hatte darauf bestanden. Also versuchte ich ihm zuliebe, mir zu merken, was es zu beachten gab.

Irgendwann kam Mom nach Hause und begrüßte uns kurz. Allerdings meinte sie, dass es ihr gar nicht gut ginge und sie sich ein bisschen hinlegen wolle. Deshalb kochten Floh und ich. Ich machte einen Salat und er kümmerte sich um Pommes und Schnitzel. Seitdem sein Vater ihn immer öfter tagelang allein zuhause gelassen hatte, hatte er sich das kochen selbst beigebracht und verfügte nun über eine komplexe Auswahl an einfachen, aber dennoch leckeren Gerichten, die er zubereiten konnte.

Wir fragten Mom, ob sie auch etwas essen wollte, doch sie hatte keinen Hunger, also aßen wir allein in der Küche. Wir hatten das Radio angestellt, doch es gab keine neuen Nachrichten. Überhaupt lief einfach die komplette Zeit über Musik. Nicht einmal Werbung oder Wetter wurde geschaltet. Im Fernsehen das Gleiche: Nur Serien, deren Folgen schon vor Jahren erschienen waren. Das Internet gab auch nichts mehr her.

"Was meinst du, hat das zu bedeuten?", fragte ich.

"Jedenfalls nichts Gutes", brummte Floh.

Ich schmiegte mich an ihn. Gott, wie hatte ich ihn vermisst! Doch auch an ihm schien unsere getrennte Zeit nicht spurlos vorbeigegangen zu sein, denn er berührte mich ständig wie zufällig oder vergrub seine Hände in meinem Haar, wie gerade.

Plötzlich hatte ich eine Idee und stand auf. "Die Zeitung! Vielleicht steht da noch was drin", murmelte ich und sauste in die Küche. Dort angekommen schnappte ich mir die Zeitung. Schon das Titelbild verriet, dass es in diesem Medium noch Informationen zu bekommen gab: Viele kleine Bilder mit brennenden Wahrzeichen, eingestürzten Häusern und schwer verletzten Menschen.

Die Überschrift lautete Der Krieg geht gerade erst los.

Ich überflog den Text. Er bestand beinahe nur aus einzelnen, hastig aufgeführten Fakten. Eine Spalte zählte nur die Städte auf, die nun aufgrund der Bomben nicht mehr existierten oder vom Virus zerfressen waren. Darunter ganz Amerika, Nordafrika, fast komplett Europa und Asien. Dann gab es noch einen Abschnitt, der berichtete, dass zahlreiche Wasserstoffbomben aus Nord Korea auf Australien niedergegangen waren und der Kontinent nun keine lebenden Menschen mehr beherbergte.

Die abschließenden Zahlen brachten das Ganze noch einmal auf den Punkt:

4 Wochen seit Kriegsbeginn. 194 betroffene Länder. 800 Millionen Tote, Tendenz steigend. Kaum noch stehende Regierungen. Durchschnittliche Lebenserwartung: maximal 3 weitere Wochen.

Ich fiel weder in Ohnmacht noch stand ich komplett unter Schock. Ich legte die Zeitung einfach hin und setzte mich erst einmal auf einen der Küchenstühle. Floh war auch gekommen und überflog nun den Artikel. Der Moment, in dem er das mit der Lebenserwartung las, war ihm deutlich anzusehen. Er wurde kreidebleich und starrte mich an.

"Fuck", murmelte er tonlos.

Ich schwieg. Was hätte ich auch sagen sollen?

Floh setzte sich mir gegenüber auf einen Stuhl und blätterte weiter durch die Zeitung. Seine hastigen, abgehackten Bewegungen verrieten seine innere Aufgewühltheit. Als er bei der letzten Seite angekommen war, erstarrte er. Seine Augen wurden groß und überflogen immer wieder einen Artikel, bis er schließlich mich anstarrte.

Never Feel SafeWhere stories live. Discover now