Kapitel 20

31 2 0
                                    

Monate vergingen. Es änderte sich kaum etwas, außer das Wetter. Es wurde erst Frühling, und dann richtig Sommer. Die heißen Temperaturen taten gut nach dem viel zu langen Winter, das Gemüse gedieh prächtig und bot eine willkommene Abwechslung zum Fleisch, welches unsere Körper hatte sehnig werden lassen. Auch in anderen Gärten gab es viele Beerensträucher und Obstbäume, weshalb von den Patrouillen haufenweise leckere Dinge mitgebracht wurden. Durch diesen Überfluss an Nahrung kochten wir wieder einmal so viel ein, wie nur möglich. Trotzdem ging Dad fast nur noch einmal in der Woche jagen und kümmerte sich in der Zwischenzeit um andere Sachen. Zum Beispiel fing er an, die Tierkadaver so gut es ging restlos zu verarbeiten. Er gerbte das Fell, schnitzte verschiedenste Dinge aus ihren Knochen und verzierte mit Hirschgeweihen das Krankenhaus. Aus Vogelfedern und geraden, dünnen Ästen machte er mir wunderschöne neue Pfeile, welche mit perfekt zugeschnittenen Steinspitzen versehen wurden. Für die Kinder baute er Spielzeug, für die Männer erfand er neuartige Waffen, die noch nie jemand gesehen hatte, doch die umso besser funktionierten. Er spürte irgendwo zwei Ziegen auf, welche er an selbstgebastelten Stricken nach Hause zerrte. Fortan hatten wir sogar jeden Tag frische Milch und ich begann, Käse herzustellen. Für diese Ziegen baute Papa einen Pferch am Rande des Krankenhausparks und schaffte es, die Garagen für die Krankenwagen in einen Stall umzubauen. Luca kümmerte sich darum, jeden Morgen die Ziegen auf die Weide zu treiben, sie nachmittags zu melken und sie abends wieder in den Stall zu bringen. Abends befasste ich mich oft damit, aus dem gegerbten Fell und dem Leder Kleidung herzustellen. Zugegebenermaßen sah diese etwas postapokalyptisch aus, weshalb ich das Ganze zuerst für mich behielt. Schließlich fand Floh die Teile jedoch in unserem Schrank und sprach mir seine offenkundige Begeisterung dafür aus. Trotz meines Widerwillens zeigte er sie den anderen, welche mich überschwänglich lobten. Ich denke, ihnen gefiel mit der Zeit die Vorstellung, ein wenig so zu werden, wie es die ganzen Filme von früher dargestellt hatten: wild, kämpferisch und auch ein bisschen utopisch. Letztendlich führte ihre Begeisterung dazu, dass sie mir beinahe täglich irgendwelche Materialien mitbrachten, aus welchen sie bestimmte Kleidungsstücke haben wollten. Langsam aber sicher wurde so aus unserer gesitteten, ordentlichen Gruppe eine Truppe gefährlicher Endzeitkrieger. Sie stachelten sich alle gegenseitig an bis wir alle aussahen, als wären wir einem Hollywoodfilm entstiegen. Ich musste zugeben, dass mir das Ganze ein wenig Sorge bereitete. Doch als Dad mir ein wunderschönes, selbstgemachtes Lederkleid schenkte, das mit schillernden Federn und kleinen Perlen verziert und einfach nur perfekt war, machte auch ich bei unserem neuen Fetisch mit. Ich glaube, Floh war etwas eifersüchtig auf Dad, denn er überhäufte mich fortan mit Schmuck aus winzigen, schönen Dingen, die er auf seinen Patrouillen fand. Er bastelte sogar Ohrringe für mich, welche ich erst einmal durch meine beinahe fast schon zugewachsenen Ohrlöcher quetschen musste.

Mitten im Sommer hatten schließlich erst Floh und dann auch ich Geburtstag. Seinen Ehrentag feierten wir abends beim Grillen im Park und es wurde ein richtig schönes Fest. Ähnlich hatte ich mir meinen Geburtstag auch vorgestellt, doch ich hatte mich geirrt: Zusammen hatte die ganze Truppe ein Fest organisiert, welches den ganzen Tag andauerte. Brunch im Park, nachmittags ein Ausflug zum See für mich und Floh ganz allein und abends eine rauschende Party. Auf meine Proteste, dass das ganze Getue zu viel sei, antworteten sie alle gleich: es sei mein achtzehnter Geburtstag und damit sehr wichtig. Und obwohl ich versuchte, nicht zu viel zu trinken, wankte ich schließlich lallend durch den Park. Floh und Noah waren genauso besoffen und zu dritt stellten wir allen möglichen scheiß an. Die Erwachsenen meckerten nicht, denn auch sie hatten ordentlich getrunken, bis auf Martin und Louis, welche aufgrund ihrer Gasanzüge nicht außerhalb von Louis' Zimmer essen oder trinken konnten. An diesem Abend sahen die beiden immer wieder nach den Kindern und fütterten die Babys ausnahmsweise mit künstlicher Milch.

Ein Jahr nach Ausbruch der Apokalypse war aus uns ein Haufen seltsamer Kreaturen geworden. Doch als das Wetter wieder kälter wurde, wechselten alle wieder in ihre "normalen" Klamotten zurück, da die dünnen Tierhäute doch nicht wirklich so warm hielten wie Funktionsjacken. Nur kleine Accessoires und natürlich die Waffen kündeten von unserem hochsommerlichen Wahnsinn. Dennoch bleib die Grundidee der gänzlichen Abweichung von früheren Normen bestehen, denn die Kleidung wurde von allen individuell so verändert, dass jeder sofort sah, dass wir uns von allem, was einmal war, abgrenzten. Vielleicht wurden wir dadurch zu einer Truppe einer seltsamen Minderheit, doch uns gefiel es.

Never Feel SafeNơi câu chuyện tồn tại. Hãy khám phá bây giờ