Kapitel 21

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Es war kalt. Es war nass. Und ich spürte mein linkes Bein nicht. Frierend schlug ich die Augen auf und blickte gegen eine rissige Bruchsteinmauer. Ich lag auf der Seite, versuchte meine Hände zu bewegen - ging nicht. Sie waren hinter meinem Rücken gefesselt. Genauso wie meine Füße. Wo war ich?

Vorsichtig versuchte ich, mir ein Bild von meiner Umgebung zu machen. Anscheinend lag ich in einer Art Ruine - alle Wände bestanden aus halb eingestürzten Steinmauern und die schimmlige Holzdecke hing am anderen Ende des kleinen Raumes halb herunter. Helles Sonnenlicht fiel herein. Der Boden war gestampfte Erde, hier und da wuchsen ein paar armselige Unkrautbüschel. Eine Öffnung in der Wand zu meiner linken gab den Blick auf einen modrigen, dunklen Gang frei. Es gab keine Tür.

Ich blickte an meinem Bein herab. Das linke Hosenbein war auf Höhe meines Oberschenkels unordentlich abgeschnitten worden und ein dicker, dreckiger Verband lag um die Wunde. Er war blutgetränkt. Wie lange war ich ohnmächtig gewesen?

Wo war Luca? Und wo waren die Babys? Was war aus Floh und Papa geworden? War Martin wirklich tot? Lebten die anderen noch? Wie hatten diese Leute uns einfach so überfallen können? Und was wollten die von uns? Uns als Sklaven halten, so wie Louis es erst mit Floh und mir vorgehabt hatte? Floh. Hatte er überlebt? Lag er auch gerade irgendwo verwundet und gefesselt in dieser Ruine? Oder war er vielleicht schon auf der Suche nach mir?

Minuten verstrichen. Nichts war zu hören außer entferntem Vogelgezwitscher. Meine Kehle war staubtrocken. Sollte ich rufen? Ich entschied mich für ja. Falls jemand hier war, würde er vielleicht kommen und wenn nicht, so hatte ich es wenigstens versucht.

"Hallo? Ist da jemand? Hallooo?", brüllte ich so laut ich konnte. Nichts passierte. Ich setzte schon zu einem zweiten Ruf an, als Schritte im Gang zu vernehmen waren. Plötzlich ängstlich, starrte ich zur Tür. Ein schwarz vermummter Mann erschien. Der gleiche von Nachts? Er kam auf mich zu und blieb vor mir stehen. Kalt blickten seine Augen auf mich herab. Eine Pistole befand sich in einem Holster an seinem Bein.

"Was ist?", knurrte er.

"Wo bin ich?"

Er schnaubte. "Wenn nichts ist, dann hast du zu schweigen, klar?"

Meine Augen verengten sich. "Was haben Sie mit mir vor?"

"Du sollst deine Klappe halten!"

"Wo ist der Junge? Und die Babys?"

Plötzlich holte er mit dem Fuß aus und trat mir kräftig in die Rippen. Schmerz lähmte meine Gedanken. Hustend rollte ich mich auf die Seite und versuchte, ein kleineres Ziel abzugeben.

"Wenn du noch mal schreist, bist du tot." Er ging weg.

Tränen stiegen mir in die Augen, während ich verzweifelt versuchte, genug Luft in meine Lungen zu pumpen. Röchelnd und keuchend lag ich da. Minuten wurden zu Stunden und irgendwann wurde es dunkel. Ich weinte. Um Luca, um Adam und Svenja, um Floh, um Papa, um alle anderen und um Martin, sofern er wirklich gestorben war. Mitten in der Nacht schlief ich irgendwie ein. Meine Träume waren wirr, handelten von bösen Menschen und schlimmen Kriegen.

Ein Schwall Wasser platschte mir ins Gesicht. Hustend rollte ich mich auf die Seite, abrupt geweckt und halb ertrunken. Ich spürte, wie jemand sich an meinen Handfesseln zu schaffen machte. Kurz darauf konnte ich meine Arme endlich wieder bewegen.

"Frühstück", knurrte eine Stimme über mir. Ein Stück verkohltes Fleisch und eine zerknitterte Plastikflasche mit Wasser landeten neben mir auf dem Boden. Schritte entfernten sich. Sobald ich wieder bei Sinnen war, setzte ich mich auf, schraubte die Flasche auf und kippte mir das brackige Wasser in den Rachen. Das rußgeschwärzte Stück Fleisch, welches innen noch halb roh war, folgte. Das Essen tat unglaublich gut. Gierig leckte ich meine Finger ab, wollte den Geschmack nicht verlieren. Doch es hatte keinen Sinn. Mehr Essen gab es nicht. Langsam blickte ich mich um. Trübes Licht fiel durch die eingekrachte Decke herein. Es gab kein Anzeichen dafür, wo ich mich befand und wie weit das vom Krankenhaus weg war. Sorgfältig machte ich mich daran, die Fußfesseln mit einem scharfen Stein kaputt zu scheuern. Meine schmerzenden Rippen konnten mich nicht daran hindern. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, doch niemand kam, um nach mir zu sehen. Sobald meine Beine befreit waren, stieß ich ein wohliges Seufzen aus - bis mir bewusst wurde, dass das Gefühl in meinem linken Bein noch immer fehlte. Mit wachsender Panik versuchte ich, es zu bewegen. Unterhalb des Knies reagierte es gar nicht mehr. Nicht einmal die Zehen konnte ich bewegen. Tränen stiegen mir in die Augen. War ich zum Krüppel geworden? Langsam tastete ich das Bein ab, doch ab dem Knie spürte ich meine kalten Finger auf der Haut nicht mehr. Vorsichtig schob ich mich über den Boden bis an eine Wand. Tränen verschleierten meine Sicht. Ganz langsam drückte ich mich an der Wand hoch. Die Rippen rebellierten. Mein linkes Bein hing nutzlos herum. Als ich einigermaßen stand, versuchte ich, das Bein zu belasten. Es knickte ein und ich stürzte hart zu Boden. Erstickte Schluchzer stiegen aus meiner Kehle auf. Würde ich je wieder laufen können?

Never Feel SafeWhere stories live. Discover now