Vom Pech verfolgt

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Leicht richtete ich mich auf und griff nach meinem Handy. „Das kannst du." Kurz suchte ich nach dem Video, das ich vorhin vom PC draufgespielt hatte, dann reichte ich es meinem Mann. Gespannt beobachtete ich Harry, der wie gebannt auf den Bildschirm starrte. Ein zartes Lächeln legte sich auf seine Lippen und er strich mit einem Finger sanft über das Display. „Das ist...das Herz oder? Das was ich da höre, oder?"

„Mhh." Ich nickte und betrachtete Harry von der Seite. Die Grübchen auf seiner Wange waren so tief wie schon lange nicht mehr. Seine Augen leuchteten, als er das Handy drehte und darauf herumtippte. „Was machst du?"

„Ich schick mir das Video, damit ich mein Baby noch öfter ansehen kann." Harry gab mir das Telefon zurück, zwar lächelte er noch immer sanft, aber der Vorwurf war ihm deutlich anzusehen. „Okay Hand aufs Herz, warum hast du mich nicht mitgenommen?"

Nervös legte ich mir eine Hand auf den Bauch, in dem sich das kleine Mädchen bewegte. „Weil ich erst sichergehen wollte, dass alles in Ordnung ist", wisperte ich und wendete den Blick von Harry ab.

„Und es ist alles gut." Es war mehr eine Feststellung als eine Frage, aber als ich nicht antwortete, richtete Harry sich etwas auf, woraufhin auch ich aufgerichtet wurde. „Oder?" In dieser Frage lag mehr Nachdruck als gewöhnlich.

Mein Herz zog sich schmerzhaft zusammen, in dem Wissen, dass ich Harrys Hoffnungen auf ein gesundes Baby und eine glückliche Zukunft zerstören würde. „Nein, ist es nicht." Kraftlos ließ ich meine Schultern hängen und starrte auf das kleine Bäuchlein, das in den nächsten Wochen und Monaten noch beträchtlich wachsen würde.

„Was? Grace, was ist los? Lass dir nicht alles aus der Nase ziehen." Harry sah mich unverwandt an und ich sah zurück. All den Schmerz und die Ängste, die ich in den letzten Stunden ausgestanden hatte, drängte ich nun zurück. Harry würde das nicht verkraften. Nicht nochmal. Nach Maddies Tod hatte er der Starke sein müssen, nun war ich an der Reihe.

„Das Baby... sie...sie hat ein Loch in ihrem Herzen." Ich atmete nochmal tief durch und bemühte mich, ruhig und deutlich zu sprechen. „Sie muss nach ihrer Geburt operiert werden, sobald sie kräftig genug ist und sie wird ihr Leben lang Medikamente nehmen müssen und mit Einschränkungen zu kämpfen haben." Ich merkte erst, dass Harry zitterte, als sein Knie gegen meines stieß. Behutsam strich ich ihm über das Bein, zu einem Lächeln war ich nicht fähig.

„Was...was heißt das genau? Also die...die Einschränkungen?"

Vorsichtig griff ich nach Harrys zitternder Hand und drückte sie. „Ihr Herz ist schwächer, als das von anderen, also kann sie weniger machen und darf nicht so viel toben." Das war zumindest das, was ich schon jetzt mit Sicherheit wusste. Was genau auf uns zukommen würde, würde sich wohl erst zeigen, wenn wir mittendrin waren.

„Sie? Ein...ein Mädchen?" Harrys Hand schob sich auf meinen Bauch und er strich zart darüber. Ich nickte nur und beobachtete meinen Mann wortlos.

„Hat sie...Schmerzen?" Seine grünen Augen, die vor wenigen Minuten noch geleuchtet hatten, waren nun trüb und traurig, wie ich es ewig nicht mehr gesehen hatte.

Monoton schüttelte ich meinen Kopf. „Die Ärztin sagt, dass sie noch nichts davon spürt." Vorsichtig strich ich Harry eine einzelne Träne von der Wange. Mein Mann saß wie ein Häufchen Elend neben mir, aber er hielt sich definitiv besser, als ich mich heute Früh.

Vorsichtig rutschte ich an ihn heran und setzte mich letztendlich auf seinen Schoß. Zwar hatte ich Angst, dass ich zu schwer für ihn war, aber jetzt grade wollte ich ihm nah sein und ihm zeigen, dass er das nicht alleine durchstehen musste. Harry erwiderte meine Umarmung ehr aus Reflex, dass merkte ich, aber ich konnte es verstehen. Er hatte da eine ganz schöne Pille zu schlucken.

Imperfect PerfectionWhere stories live. Discover now