36# - Genau wie damals

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Ich starre sie emotionslos an als sie mit Dr. Martin ins Zimmer kommt. Ich bin an vielen Geräten angeschlossen, die meine Herzfrequenz messen und was weiß ich noch für Sachen.

,,Wie geht es dir?", fragt sie mich leise und tretet näher an das Bett heran. Ich mustere sie ohne zu antworten. Sie hat sich nicht wirklich verändert.

Ihre Haare sind viel länger als damals, aber haben ihren Glanz nicht verloren. Sie hat noch immer diese leichten Sommersprossen die ihre Nase kaum merkbar zieren. Ihre Lippen tragen noch immer dieses leichte schmollen von damals und ihre blauen Augen sind in dem selben blau, nur, dass sie jetzt mit verwischter Wimperntusche bemalt sind. Ihre Nase und ihre Wangen sind rot. Sie hat geweint.

,,Sie haben das Schlimmste gut überstanden Mr. Harsen und eigentlich darf ich keine Besucher zu Ihnen durch lassen, da sie sich ausruhen müssen. Ich bitte Sie, Miss...", Dr. Martin sieht zu ihr.
,,...überanstrengen Sie ihn nicht. Ein weiterer Anfall könnte schwere Folgen haben."
Sie nickt ihm stumm zu. Er sieht zu mir, dann zu ihr. Kurz nickend geht er aus der Tür. Ich hatte darauf bestanden sie zu sehen, aber jetzt weiß ich gar nicht was ich sagen oder denken soll.

,,Du wolltest mich sehen...", sagt sie leise und setzt sich auf einen Stuhl neben dem Bett. Ihre Handtasche nervös umklammernd.

,,Wo warst du? Wieso tauchst du ausgerechnet jetzt auf?", frage ich sie das Erste was mir durch den Kopf geht. Sie schluckt und sieht schuldbewusst auf ihre Hände.

,,Das ist kompliziert.", murmelt sie. Ich runzle die Stirn.

,,Erklär' es mir.", verlange ich knapp.
,,Das bist du mir schuldig."

,,Ich... Ich habe es versucht. Ich habe versucht dich zu finden Darrow. Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll.", sagt sie verzweifelt.

,,Als ich aus dem Kinderheim ausgebrochen bin und zurück zu dir wollte, warst du und deine Familie weg. Fang von da an.", sage ich monoton. Sie atmet tief durch.

,,Na schön.", sagt sie leise.
,,Als du weg warst, konnte mein Dad unser Haus nicht mehr abbezahlen. Wir mussten das Haus räumen und alles verkaufen was von Wert war. Wir konnten nicht mehr in L.A. bleiben, also mussten wir zurück zu meinen Großeltern in Pennsylvania. Dort bin ich zur Schule gegangen und habe später in Ohio studiert. Ich habe versucht dich zu vergessen, aber ich konnte es nicht. Deswegen bin ich in das Kinderheim gefahren, in das sie dich damals gesteckt haben. Ich habe nach dir gefragt, aber sie hatten keinerlei Informationen über dich, außer, dass du vermisst gemeldet wurdest. Ich dachte, dass du wahrscheinlich tot warst, weil ich mir nicht vorstellen konnte, dass ein elf jähriger kleiner Junge es alleine da draußen schaffen würde, deswegen habe ich die Suche aufgegeben. Irgendwann aber kamst du in die Nachrichten. Sie berichteten über den Aufstieg eines Jungen Mannes. Dann sagten sie deinen Namen, zeigten Bilder von dir.", sagt sie leicht lächelnd, als würde sie sich an den Moment zurück erinnern. Ich sage nichts.
,,Also fuhr ich nach New York. Ich habe versucht in das Gebäude zu kommen, aber die Security ließ mich nicht durch. Ich versuchte mich durch die Menge zu kämpfen wenn du auf einem roten Teppich irgendeine Gala oder einen Club betratst. Egal wie oft ich nach dir rief, ich schaffte es nicht zu dir durchzudringen. Ich habe es so oft versucht, aber mir lief die Zeit davon. Mein Leben ging schließlich auch weiter. Also führ ich zurück nach Ohio und setzte mein Studium fort. Dann... passierte so viel. Mein Dad wurde krank und meine Mutter kam damit nicht zurecht. Ich konnte mein Studium nicht mehr bezahlen, weil wir das Geld für die Chemotherapie meines Vaters brauchten. Wir verschuldeten uns und waren kurz davor auf der Straße zu landen. Zuhause schien alles auseinander zu fallen. Ich konnte nicht einfach rumsitzen und dachte an dich. Ich war mir sicher, dass du mir helfen würdest. Ich dachte, ich müsse dich nur treffen und du würdest mich bestimmt sofort wiedererkennen. Aber egal wie sehr ich es versucht habe, du warst unerreichbar...", sagt sie letzteres leise. Ich sehe sie an.

,,Das... tut mir leid.", murmle ich leise. Sie nickt stumm.

,,Ich war so verzweifelt... Ich wusste nicht mehr weiter und hatte keine Ahnung wo ich hingehen sollte, da ich mich in New York kaum auskannte, also ging ich in eine Bar und ließ mich volllaufen. Dort traf ich dann auf Joshua."
Ich sehe sie überrascht an. Joshua?
,,Er hat mir und meinen Problemen zugehört. Ich wusste gar nicht wer er war und erzählte ihm einfach alles. Von den Schulden, von meinem Dad...", sagt sie leise. Sie sieht mich an.
,,Als ich anfing von dir zu erzählen, wurde er plötzlich ganz hellhörig. Er frage mich ob das wirklich stimmte, bestand darauf mich mit zu ihm zu nehmen. Ich war betrunken und wollte nicht wieder im Auto schlafen, also ging ich mit. Er fragte mich über dich aus, versprach mir unsere Schulden und die Chemotherapie abzubezahlen. Er hielt seine Versprechen ein, aber er... er verlangte Gegenleistung."
Ihr steigen Tränen in die Augen.
,,Ich bat ihn mich zu dir zu führen. Er sagte zwar immer ja, aber zögerte es immer heraus oder sagte ich solle geduldig sein.", sie atmet durch.
,,Jedenfalls... stellte er mich seinem Bruder vor, Ryan Carter. Er war zwar sehr höflich, aber trotzdem sah ich ihm an, dass er nichts von mir hielt. In seinen Augen war ich nur eine von vielen. Er wusste, dass ich was mit dir zutun hatte, weil Josh ihm alles erzählt hat. Deswegen behielt er mich im Auge und recherchierte nach. Er bestand plötzlich darauf das aus mir und Joshua was werden soll als meine Erzählungen sich als richtig herausstellten. Joshua und ich verlobten uns, natürlich inoffiziell. Ich wollte meiner Familie etwas bieten und sie vom Leid befreien, ich tat es nicht aus Liebe."
Sie macht ein kleine Pause.
,,Die Öffentlichkeit und vor allem du sollten nichts davon wissen. Für Ryan war ich eine Schachfigur, die er zum richtigen Zeitpunkt einsetzen wollte. Als... Joshua starb...", sie sieht mich kurz an und dann wieder auf ihre Hände.
,,...hat Ryan mich an einem abgelegenen Ort geschickt. Er ließ mich bewachen, sorgte dafür, dass ich nicht versuchte abzuhauen. Und jetzt bin ich hier. Jetzt war wohl für ihn der richtige Zeitpunkt mich zu dir zu lassen. Er benutzt mich für irgendwelche Zwecke, ich weiß nicht was er erreichen will, aber es ist mir egal solange ich bei dir bin Darrow! Mein Dad ist tot, meine Großeltern sind tot, meine Mutter ist in einer Psychiatrie und hat seit Dads tot kein Wort mit mir geredet. Ich bin ganz allein Darrow, ich habe nur noch dich!", sagt sie mit brüchiger Stimme und weint los.

Ich sehe auf meine Hände. Hat sie wirklich so viel ertragen müssen, nur um mich zu finden? Sie lügt nicht, sonst hätte sie mir nicht gesagt, dass Ryan sie benutzt um mir zu schaden. Ich habe Joshua getötet und jetzt versucht er es mir heimzuzahlen indem er Rose zu mir schickt. Aber inwiefern ist das eine Rache? Lässt er sie nur zu mir, um dann alles zu zerstören? Sie könnte sogar in Lebensgefahr sein.

Ich atme tief durch.

Eins steht fest. Ich lasse niemals zu, dass Ryan ihr etwas antut. Ich lasse nie wieder zu, dass man uns voneinander trennt. Ich werde sie beschützen und bei ihr sein.

Ohne etwas zu sagen, ziehe ich sie in eine beschützerische Umarmung.

,,Shh... Schon gut...", flüstere ich leise.
,,Ab jetzt wird alles gut.", ich nehme ihr Gesicht zwischen meine Hände. Sehe in ihre glasigen blauen Augen.
,,Wir stehen das gemeinsam durch. Genau wie damals, okay?", flüstere ich leise. Sie sieht mich überrascht an. Langsam und lächelnd nickt sie.

,,Okay."

His PrisonerWhere stories live. Discover now