„Nicht versuchen, Harry, wir bekommen ein Kind", wisperte ich leise, dabei traute ich mich nicht, meinen Mann anzusehen. Wie er schon gesagt hatte, es war viel zu früh dafür und mich würde es nicht wunder, wenn Harry davonlaufen würde. Ich würde es tun, wenn ich das Baby nicht austragen müsste.

„Was?" Harry drückte mein Kinn sanft hoch und brachte mich dazu, ihn anzusehen. In seinen Augen stand der Schock und ich konnte es verstehen. Mir war es nicht anders ergangen, als ich den Test gemacht hatte. „Du bist...du bist schwanger?" Langsam wich der Schock Ungläubigkeit und als ich schließlich nickte breitete sich ein zögerliches Lächeln auf seinen Lippen aus.

„Seit wann? Also wie...wie weit bist du?"

Seine Frage brachte mich ins Taumeln und ich zögerte ein weiteres Mal, eigentlich wollte ich es noch zwei Wochen für mich behalten. „In der zehnten Woche und ich weiß es seit etwa einem Monat. Sei bitte nicht sauer, Harry, ich wollte...ich wollte sichergehen, dass alles gut geht, bevor ich es dir erzähle." Ich redete viel zu schnell, aber ich hatte furchtbare Angst, dass Harry sauer auf mich werden würde.

„Du trägst es schon so lange ganz allein mit dir herum?" Ehe ich mich versah, hatte Harry mich in seine Arme gezogen. „Du hättest es mir sagen können, dann hättest du nicht ganz alleine diese Ängste durchstehen müssen." Mein Mann hauchte mir einen sanften Kuss aufs Haar und ich sog die Luft ein, als ich seine warme Hand auf meinem Bauch spürte.

Als ich meinen Kopf drehte um ihn anzusehen, erkannte ich ein kleines, glückliches Lächeln auf seinen Lippen. Seine Hand strich sanft über meinen Bauch und schob sich schließlich unter mein Shirt. „Wir bekommen das hin, Grace. Ich lass nicht zu, dass euch beiden etwas passiert. Niemals." Seine Worte rührten mich, aber ich wusste auch, dass er mich nicht vor allem bewahren konnte, uns nicht vor allem bewahren konnte.

„Du freust dich?", fragte ich sicherheitshalber nochmal nach. Ich selbst konnte mich noch nicht freuen. Nicht so richtig.

Harry nickte begeistert und strahlte langsam immer mehr. „Du bist schwanger." Diesen Satz wiederholte er immer und immer wieder, wie ein Mantra. Seine Hand verließ den Platz auf meinem Bauch den ganzen Abend nicht. Nicht während des Films, den wir uns anschauten, nicht als wir danach noch kuschelten und auch auf dem Weg nach oben ins Schlafzimmer nicht. Er verhielt sich, als wolle er das Baby festhalten, es so daran hindern zu verschwinden, wie Maddie.

„Wir müssen umziehen. In der Wohnung kann es nicht aufwachsen, dafür ist hier viel zu wenig Platz zum Toben und einen Garten haben wir auch nicht." Harry lag neben mir in dem großen Bett, ich hatte mich tief in die Laken gekuschelt und überlegte grade, ob ich Maya morgen mal besuchen fahren sollte oder besser einen Tag in dem kleinen Café einlegen wollte, welches ich neulich erst entdeckt hatte. Bei Harrys Worten hob ich den Kopf ein wenig und sah ihn an.

„Findest du es dafür nicht noch etwas früh? Ich meine, es ist noch gar nicht gesagt, dass es diesmal was wird." Ich wusste, Harry wollte das alles nicht hören. Er entwarf schon jetzt Pläne, was er mit dem Kind machen wollte und wie er ihr oder ihm die Welt zeigen würde. Auch ich würde gerne Pläne machen und mich in Spekulationen verlieren, aber genau das konnte ich nicht, nicht nachdem das mit Maddie passiert war.

Harrys Hand lag noch immer auf meinem Bauch. Er war flach und nichts war zu sehen, jedenfalls meiner Meinung nach. Mein Mann war überzeugt davon, schon eine kleine Wölbung tasten zu können.

„Man kann gar nicht früh genug mit der Planung anfangen", war Harrys einziger Kommentar zu meinen Bedenken. Er wollte es nicht hören. Es war auch viel einfacher seine Augen vor den Problemen zu verschließen nur brachte es einen am Ende nicht weiter, wie ich am eigenen Leib erfahren musste.

„Trotzdem solltest du dich nicht zu sehr freuen, Harry."

Mein Mann gab ein unzufriedenes Brummen von sich und presste mich dicht an seine Brust. „Ich freu mich aber Grace. Dieses Baby ist ein Wunder, ob du es nun willst oder nicht." Die Schärfe in Harrys Stimme ließ mich zusammenzucken. Es fühlte sich genauso an, wie beim ersten Mal, Harry war sauer auf mich und ich fühlte mich schlecht deswegen.

„Meinst du es wäre noch da, wenn ich es nicht wollen würde?" Ich wusste die Frage war hart und ich wusste, dass Harry auch das nicht hören wollte, aber genau das war die Wahrheit. Ich war nicht so weit noch einen Versuch zu wagen, aber jetzt war es passiert und ich würde dem entgegenblicken. Vielleicht war es wirklich eine Chance, aber ich sah nun mal auch die Gefahr, dass dieses Kind uns irgendwann vorwerfen würde, Ersatz für seine Schwester zu sein. Genau das erzählte ich auch Harry und zum ersten Mal an diesem Abend schien er mich wirklich zuzuhören.

„Denkst du, das könnte passieren? Das wir Maddies Verlust mit dem Baby kompensieren?" Sorge klang aus seiner Stimme und bestätigte mir das, was ich schon längst wusste. Harry würde ein wundervoller Vater werden.

„Vielleicht." Vorsichtig legte ich meine Hand auf seine und verschränkte unsere Finger miteinander. „Vielleicht auch nicht. Wenn wir darauf achten können wir es möglicherweise vermeiden."

„Es wird uns ganz schön überfordern richtig?" Harry drehte mich zu sich um und schlang seine Arme fest um mich, während er mich ernst ansah.

„Vermutlich werden wir keine Ahnung haben was wir machen sollen und uns wünschen, dieses Wunder, wie du es nennst, hätte ich noch ein paar Jahre Zeit gelassen", stimmte ich ihm zu. Harry lachte und küsste mich auf die Stirn, wie er es so oft tat.

„Egal was passiert, Grace, wir schaffen das. Zusammen." Kleine Lachfältchen legten sich um seine Augen und die Grübchen auf seinen Wangen traten so deutlich hervor, wie schon lange nicht mehr. Es tat gut Harry so glücklich zu sehen, auch wenn hinter seiner starken Fassade wahrscheinlich die gleichen Ängste schlummerten, die ich in den letzten Wochen durchgemacht hatte.

Beängstigen und schön zugleich. Aber gemeinsam mit Harry würde ich es schon überstehen.


Die Bombe ist geplatzt. Was sagt ihr zu der Entwicklung bei Grace und Harry?

Imperfect PerfectionWhere stories live. Discover now