Kapitel 10, vergessen (Teil 1)

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White ging nach Hause. Meine Mutter. Meine Mutter. Mutter. Mutter. Mutter... Wer bin ich?

Zuhause angekommen wurde sie warm von Frau Herrmann empfangen. "Na, wie war dein Tag,  Kätzchen?", lächelte sie. White stand emotionslos im Flur und starrte die alte Frau an. Dem Mädchen kullerte eine Träne über die Wange. Dann noch eine, und noch eine... "Was ist los mein Kätzchen? Ist etwas in der Schule passiert?", Frau Herrmann ging auf Clara zu. Clara ging einen Schritt zurück. Frau Herrmann blieb stehen. "...Wo?", kam aus Claires Lippen. "Was?"- "Wo. Ist. Meine. Mutter.", es war mehr eine Aussage, eine Drohung, als eine Frage. Frau Herrmann drehte sich um und ging in die Küche. Oh Gott... Ich hatte so gehofft, dass sie erstmal ihr Leben stabilisiert und sich dann daran erinnert... Soll ich ihr sagen dass ihre Mutter gestorben ist? Oder... Oder nicht? Ich hatte so viel Mühe und so viele Bekanntschaften darauf gesetzt dass das Krankenhaus und die Polizei von ihr wegbleiben... Wird sie mir verzeihen, wenn sie rausfindet dass ich hinter ihrem Rücken ihre Mutter beerdigen lassen habe während sie bei ihren Freundinnen übernachtet hat? Clara, mein Kätzchen, ich konnte dir das nicht antun nach so einem Schock auch das überleben zu müssen...  Clara setzte sich auf einen Stuhl in der Küche. Die Tränen flossen weiterhin über ihr emotionsloses Gesicht, sie gab keinen einzigen Laut von sich. Es herrschte vollkommene Stille im Raum, bis das Mädchen mit leiser, zitternder stimme sagte: "Sie ist tot. Tot..." in ihrem inneren krümmte und drehte sich alles zusammen als sie das sagte, alles was sie sah fing an zu verschwimmen, aber sie schlug sich durch. Sie kippte nicht um, obwohl sie das gerne würde. Sie kotzte nicht die roten Küchenfliesen voll, obwohl sie das gerne würde. Sie hörte auf zu weinen und schrie nicht, obwohl sie das sehr, sehr gerne würde. Sie hat ihre tote Mutter vergessen. Was für eine idiotische Lachnummer! Sie hatte noch immer das Gefühl dass ihr Körper und ihr Gehirn taub geworden sind, dass sie einfach nicht in der Lage war den Schmerz den ihr das bereitete zu spüren. Vielleicht war es auch besser so. "Friedhof Aulsstadt. Dritte reihe rechts vom Haupttor, das fünfte Grab.", sagte plötzlich Frau Herrmann. Clara sah aus dem Fenster, "Ich gehe nicht dahin.". Die Augen der alten Frau weiteten sich. Habe ich doch das richtige getan? Clara ging erst zur Toilette, wusch sich das Gesicht mit kaltem Wasser, dann begab sie sich in ihr Zimmer und griff nach der Geige... es war eine tragische, traurige Melodie... In ihrem Körper weckten sich immer mehr Gefühle. Ihr Bauch fing an zu heulen vor schmerz. Sie spielte weiter. Ihre Rippen schienen zusammenzukrachen. Sie spielte weiter. Ihr Herz hörte auf zu pochen und drückte sich zusammen bis es wehtat. Sie spielte immer noch weiter. Ihre Beine fühlten sich an als würde jemand sie mit Nadeln bewerfen, ihre Arme in dem selben zustand. Sie spielte weiter. Ihr Kopf zersplitterte in Millionen von kleinsten Teilchen, doch sie spielte trotzdem weiter und weiter. Ihr Gesicht war überflutet von tränen, sie hielt das schluchzen nicht mehr zurück, sie konnte es nicht, aber die Töne ihrer Violine hörten nicht auf! Sie sah vor ihren Augen die hunderten, tausenden Male wie sie von ihrer Mutter geschlagen, angebrüllt wurde. Sie sah jedes einzelne Mal davon. Sie sah jedes einzelne Mal vor ihren Augen als die Frau Schrott betrunken auf dem Boden lag, jedes einzelne Mal als Clara ohne ein Wort zu sagen alle Scherben, all den Dreck hinter ihr aufräumte. Den Tag als die Frau anstatt zur Beerdigung ihres Mannes zu gehen sich vollgesoffen hatte. Sie sah jede kleinste Kleinigkeit, jeden Moment indem ihre Mutter ihr Leben stück für stück zerstörte. Und jetzt? Was jetzt? Jetzt würde sie alles weggeben was sie hatte, alles, nur damit dieses Monster wieder zum Leben kommen könnte! Clara würde wieder alles aufräumen, wieder alles ertragen und über sich ergehen lassen, sie würde diese Frau irgendwie retten! MAMA!!! Aber es war nun zu spät... Die Geige viel aus den zarten, weißen Händen und das Mädchen denen sie gehörten brach zusammen. Sie schrie, kratzte an ihrem Körper entlang, rote Straßen hinterlassend. Sie war immer da für alle, sie half allen, sie rettete Menschen und Tiere aus allen möglichen Situationen, nur ihre eigene Mutter, nur für die hatte sie nicht sorgen können, die ist gestorben! Sie wurde ERMORDET! Von wem? Das machten jetzt auch keinen Unterschied mehr.  Jetzt war es zu spät. Ich habe es nicht geschafft für sie zu sorgen. Sie hatte recht. Ich bin eine nutzlose Göre. Ich hasse mich selbst. Ich bin...-----

Alles wurde schwarz. Keine Visionen. Keine Träume. Nichts.


Im HimmelWhere stories live. Discover now