Kapitel 1, Augen aus Glas (Teil 2)

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Einige Momente später saß die Person im Grauen Kapuzenpulli auf der Matratze auf dem Boden und schaute mit glasigen, leer erscheinenden, grauen Augen ins Feuer.

White stand auf und packte die in der ecke Stehende, längliche Tasche. Draußen war es schon dunkel. Auf dem Feld kurz hinter dem Wald wurde die Tasche geöffnet, White nahm ein Fernrohr raus und stellte es auf.

Dann nahm sie ihre Kapuze ab.

Ans Mondlicht kamen in einen unordentlichen Dutt gebundene Haare, die die Farbe der schönsten Salzwasserperlen aller Meere trugen und, sobald das Mädchen mit ihrer zierlichen Hand das Haargummi wegstreifte, sich in so wundervollen Wellen öffneten, dass alle Ozeane unserer Weltkugel neidisch wurden. Die silbrig-glänzenden Fäden reflektierten das Mondlicht besser als die See bei ruhiger Nacht und in den nun offenen, grauen und von oben leicht bläulichen Augen spiegelten sich die Sternbilder des Spätfrühling-Himmels. Die rosafarbenen Lippen des Mädchens waren geziert mit einem leichten Lächeln. Ihr blick wendete sich in den Himmel. Dorthin, wo sie das letzte Licht fand, das für sie leuchtete.

Um etwa 1:30 Uhr trat White wieder in ihr Häuschen ein. Es war Wochenende, also würde sie die nächsten Tage nicht mehr nach Hause kommen. Wenn sie aber ehrlich zu sich war, fühlte sie sich nie in diesen Steinblöcken, diesen Zellen, die man Wohnungen nennt, zu Hause. Die grauen Wände, die genauso grauen Menschen, wenn man diese materiell abhängigen Gestalten überhaupt Menschen nennen konnte. Das Mädchen setzte sich an den Buchenholztisch in der Ecke des Raumes. Nein, noch wollte sie nicht schlafen gehen. Ihre zärtlichen Hände nahmen ein Büchlein hervor. Es war ein dickes Buch mit ca. 500 Seiten, dass in einen an allen Seiten reißenden, überall geflickten, Umschlag gebettet war.  Es war wirklich kein besonderer Umschlag, selbst gebastelt aus Zeitung, Buntpapier und verschiedenen gemusterten Stoffen, alles zusammengeklebt mit Aufklebern und Briefmarken, an der Seite verziert mit Geschenkpapier. White blätterte, bis sie die nächste leere Seite fand, das war schon kurz unter der Hälfte. Ihre Finger griffen nach dem himmelblauen Kugelschreiber am Tischrand. es ertönte ein leises "Klick" und das Mädchen fing an zu schreiben:

Liebes Tagebuch,

Heute, als ich auf dem Weg zur Schule war, hat es geregnet. Du weißt ja, ich liebe Regen. Wenn es regnet, scheint die Stadt für diese Zeit einmal still und ruhig zu werden, alle Geräusche werden ganz leise, und man kann hören, wie der Regen singt. Es war wundervoll. Dann habe ich jemanden schreien und Stöhnen hören. Natürlich bin ich sofort hingerannt. Es war wieder Frau Maris. Normalerweise gehe ich sie ja immer nach der Schule besuchen, seitdem sie Schwanger ist. Es muss wirklich schwer sein, wenn man keinen Mann hat, und das Kind allein zur Welt bringen und erziehen muss. Ich kann mir gar nicht vorstellen was sowas aus einem Menschen macht... Nachdem ich den schrei gehört habe, bin ich sofort zu ihr hingelaufen. Es geht ihr wirklich nicht gut. Sie musste brechen und sah kreidebleich aus und hatte Fieber. Also bin ich bei ihr geblieben und habe mich um sie gekümmert. Die Lehrerin war total sauer auf mich, weil ich wieder zu spät war. Dabei habe ich vorgestern eine Katze vom Baum geholt, und Montag war es wegen einem Kind das verloren gegangen ist. Weißt du, ich frage mich immer, dass wenn es so viele Probleme Morgens in unserer Stadt gibt, warum bin ich die Einzige, die zu Spät kommt? Ist es den Anderen egal? Ich kann diese Menschen nicht verstehen. Sie sind laut, sie reden und lachen darüber, dass sich jemand wehtut, sie finden es schlecht, wenn man sich von ihnen unterscheidet. Und dann glauben sie auch noch, dass ich es nicht höre, wenn sie über mich sprechen. Sie sind echt komisch... mit solchen Menschen will ich nichts zu tun haben, deshalb schließe ich mich auch besser weg von ihnen. Das ist ja schon seit 6 Jahren so. Und nach dem Vorfall damals... Naja.  Heute hat mich die Lehrerin nach der Antwort auf eine Aufgabe gefragt. Ich wusste zwar, dass sie schon immer dachte, ich würde ihr nicht zuhören, aber sie hat mich noch nie nach der Antwort gefragt. Ich melde mich ja nicht... Heute hat sie mich aber gefragt. Und ich habe ja nichts gegen sie, sie ist ja nett. Und alle haben wieder angefangen zu flüstern. Eigentlich ist es mir ja immer egal. Aber ich habe mich unter druck gesetzt gefühlt, ich weiß nicht warum. Dann habe ich geantwortet. Die ganzen Leute im Raum waren frustriert. Vielleicht dachten sie ja, ich könnte keine richtige Antwort geben, weil ich nie etwas im Unterricht sage. Oder ist es so schlimm wenn ich rede? Und, sie wissen ja nicht einmal, wer ich wirklich bin...











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