Nachdrücklich zog ich die Tür ins Schloss und stieg die Treppe wieder nach unten. Wie aufs Stichwort vibrierte mein Handy und eine Nachricht verkündete mir, dass Emma vor der Tür stand.

Wir hatten extra abgemacht, dass sie nicht klingelte, damit Noah nicht aufwachte. Das hätten wir uns aber auch sparen können.

Lächelnd öffnete ich die Tür und ließ meine Freundin hinein. Emma lächelte mich fröhlich an und stellte erstmal ihren Rucksack mit einem dumpfen Knall auf dem Boden ab.

„Was hast du da bitte drin, Steine?" Misstrauisch musterte ich das Gepäckstück und nahm ihr währenddessen die Jacke ab.

„Nein, Bücher", sagte sie, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt, mit einem Rucksack voll Bücher herumzulaufen.

„Jetzt guck nicht so, ich komm grade von der Arbeit und hab meine Vorableseexemplare heute bekommen." Fröhlich schlüpfte sie aus ihren Chucks und lief dann an mir vorbei ins Wohnzimmer.

Müde folgte ich ihr und setzte mich neben sie auf die Couch. Getränke und Knabberkram hatte ich glücklicherweise schon vorhin geholt.

„Ach und Maya, ich glaube dein Sohn weint."

Seufzend rieb ich mir über die Stirn und sah sie an. „Ich weiß, aber er soll schlafen. Ich hab eben schon nach ihm gesehen und er will wach bleiben bis Louis wieder da ist. Aber wenn ich jetzt nachgebe, dann weiß er, dass er damit durchkommt und wird es immer wieder versuchen."

Emma sah mich aus ihren wachen Augen aufmerksam an und blickte dann auf meinen Bauch.

„Du bist ziemlich gestresst oder?"

Sprachlos sah ich sie an. Sie verurteilte mich nicht, weil ich meinen Sohn schreien ließ, sondern schien sofort zu sehen was los war. Vielleicht hätte sie statt Buchhändlerin besser Psychologin werden sollen.

„Mhh. Ich weiß nicht ob ich bereit bin, jetzt noch ein Kind zu bekommen. Noah ist momentan so anstrengend und Louis hat kaum Zeit für mich, seit er den neuen Job hat. Noch dazu bin ich immer müde und ich hab das Gefühl, dass ich gar keine Zeit mehr für mich habe", seufzte ich leise auf.

Bei all dem Nörgeln konnte ich mir aber ein Lächeln nicht verkneifen, als das Würmchen mich anstupste, ganz so, als wolle es mich aufmuntern.

„Ich glaube du brauchst wirklich mal Zeit für dich und Kontakt zu Gleichaltrigen, die nicht dein Ehemann sind", stellte sie nüchtern fest.

Langsam nickte ich und strich sanft über meinen runden Bauch, der für den fünften Monat meiner Meinung nach viel zu dick war. „Wie soll ich das denn anstellen?", fragte ich dann jedoch vorsichtig nach. „Ich kann Noah schlecht alleine lassen, ein Kindermädchen oder eine Tagesmutter kommt nicht in Frage und diese Mami-Krabbelgruppen finde ich einfach schrecklich."

Emma schmunzelte und sah ebenfalls auf meinen runden Bauch. „Noahs Papa ist doch auch noch da. Du könntest ihn einen Nachmittag die Woche verhaften und dir dann einfach Zeit für dich nehmen."

Langsam drehte ich meinen Kopf zu ihr, im Hintergrund nahm ich wahr, dass Noah nicht mehr weinte. „Das wäre eine Idee."

Emma nickte zufrieden und griff nach einem Colaglas. Nachdenklich drehte sie es in ihren Händen und schielte dann zu mir.

„Sag mal, hast du in letzter Zeit was von Hayley gehört?"

Verwirrt schüttelte ich den Kopf und lehnte mich gemütlich im Sofa zurück. „Nein, nicht im letzten Monat und davor auch nur sporadisch. Wenn dann müsstest du eher Louis fragen."

Ich konnte selbst die Bitterkeit aus meiner Stimme heraushören, aber was sollte ich machen? Es wurmte mich, dass mein Mann sich so gut mit Hayley verstand und sich bei ihr über mich ausheulte.

Er suchte Rat bei ihr, wenn er nicht weiter wusste und unternahm ziemlich viel mit ihr. Ich sollte mir wahrscheinlich keinen Kopf machen, aber grade jetzt, wo ich von Tag zu Tag immer unattraktiver wurde, bedingt durch meinen wachsenden Babybauch, machte es mich fuchsig.

Auch Emma entging mein schneidender Unterton nicht, sie ging aber nicht weiter darauf ein. Stattdessen wechselte sie galant das Thema.

„Deine Hochzeit fand ich übrigens wirklich schön, ein richtiger Prinzessinnentraum."

Lächelnd nickte ich und schwelgte sofort wieder in Erinnerungen. „Oh ja, das war sie. Und das Schloss war unglaublich schön."

„Da hast du Recht. Konnten die Flitterwochen da überhaupt mithalten?"

Glücklich sah ich Emma an, es tat gut, endlich mal darüber zu reden. Mein Mangel an Freundinnen war mir erst in den letzten Monaten wirklich bewusst geworden.

Seit Grace sich in ihrer Welt eingeigelt hatte, fehlte mir jegliche Bezugsperson in der Hinsicht. Früher waren wir zwei beinahe unzertrennlich gewesen, genau wie Harry und Louis. Es war kaum zu glauben, dass wir uns erst durch unsere Freunde kennen gelernt hatten.

Hayley und ich verstanden uns zwar auch gut, aber irgendwie war es nicht so locker. Ich sah in ihr immer Louis beste Freundin und irgendwie auch eine Konkurrentin.

Und Emma...irgendwie hatte ich immer das Gefühl, dass uns der Altersunterschied trennte. Ich war die Jüngste in unserer Runde und hatte immer Angst, als zu kindisch abgestempelt zu werden.

„Es war wunderschön. Wir haben in einem Haus an einem Privatstrand auf Hawaii gewohnt", schwärmte ich glücklich.

„Das klingt nach einer Menge Spaß." Emma knabberte an ein paar Salzbrezeln und hörte mir aufmerksam zu.

„Oh ja. Und Louis war einfach toll. Er war aufmerksam und ganz für mich da. Das ist er zwar jetzt auch, aber manchmal habe ich das Gefühl, dass Noah ihm wichtiger ist als ich es bin, auch wenn es dumm ist."

Sanft strich ich über meinen Oberbauch, in dem ich leichte Tritte spürte, während ich in den nächsten Stunden einfach mit Emma quatschte und dabei total die Zeit vergaß.

Erst als Louis irgendwann um Zwei nach Hause kam merkte ich, wie spät es wirklich war. Es hatte so gut getan, mal mit jemand Außenstehendem zu Reden und eine objektive Meinung zu erhalten, aber auch der Tratsch war nicht zu kurz gekommen.

„Das müssen wir unbedingt bald mal wiederholen", meinte ich zu Emma, als ich sie zur Tür brachte.

Zu meiner großen Erleichterung stimmte sie sofort zu. „Sicher. Vielleicht bekommen wir Hayley und Grace ja auch mal dazu, der Ladies Night beizuwohnen", zwinkerte sie und schlüpfte behände in ihre Jacke.

Ich beneidete sie um ihre Beweglichkeit, wo mir jede Bewegung mit fortschreitender Schwangerschaft zunehmend schwerer fiel.

Nach einer kurzen Umarmung verschwand Emma in die dunkle Nacht hinaus. Zum Glück hatte sie sich ein Taxi gerufen und wollte nicht noch U-Bahn fahren, sonst hätte ich mir wirklich Sorgen um sie gemacht.

Louis lehnte im Türrahmen zum Wohnzimmer und betrachtete mich schmunzelnd. Ich konnte mit denken, woran er grade dachte, immerhin schlief Noah grade und wir hatten lange nicht mehr miteinander geschlafen, aber mir fehlte heute die Lust.

So ging ich nur mit einem knappen: „Gute Nacht Louis", an ihm vorbei und kuschelte mich im Schlafzimmer in unser Bett, wo ich glücklicherweise auch recht bald einschlief.

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