1 - Wie alles begann

6.1K 217 55
                                    

Der Tag hatte wie jeder andere angefangen. Meinen Wecker hatte ich verschlafen und deshalb kam ich fast zu spät zur Schule. Ich hatte morgens noch nicht mal Zeit gehabt ordentlich zu frühstücken. Langsam wurde dies zur Routine, weshalb ich mich nicht mehr darüber aufregte. Mittlerweile stand ich im Bus und musste aufpassen, dass ich nicht bei jeder Kurve auf den Boden geschmissen wurde. So etwas war mir leider sogar schon einmal passiert. Nach geschlagenen Stunden hielt das große Gefährt endlich an und ich stieg aus. Prüfend schaute ich auf meine Uhr und musste genervt feststellen, dass die Zeit wie so oft nicht mit mir war! Dann bekam man noch rechtzeitig den Bus und der trödelte herum, dass meine Verspätung mal ausnahmsweise nicht meine Schuld war. Hastig rannte ich die endlosen Straßen entlang, bis ich endlich das Gebäude meiner Universität sah. Mir wurde ganz mulmig und ich hoffte einfach, dass ich keinen Stress mit dem Professor bekam. Endlich angekommen, hetzte ich wie eine Bekloppte die Treppen hoch zu meinem Hörsaal. Es war nervig, dass er im Obergeschoss lag und man jeden Tag erst einen Marathon laufen musste.

Röchelnd blieb ich schließlich vor besagtem Saal stehen. Vorsichtig drückte ich die Türklinke runter und huschte geduckt hinein. Ich hörte Worte meines Professors und fühlte mich immer mehr in Sicherheit, da ich dachte er würde mich nicht bemerken. Doch weit gefehlt. „Wie schön, dass Sie uns heute auch noch mit Ihrer Anwesenheit beehren, Frau Vogt!", erklang seine schroffe Stimme ermahnend. Ertappt blieb ich stehen und stöhnte leise auf. So etwas passierte auch immer mir! „Entschuldigen Sie die Verspätung", erwiderte ich kleinlaut, nachdem ich mich erhoben hatte. Er blickte streng über den Rand seiner Brille und schüttelte mit dem Kopf. „Setzen Sie sich!" Nickend lief ich schnell zu meinem Platz und ließ mich nieder. Er hatte danach normal mit der Vorlesung weiter gemacht. Mir sollte es Recht sein. Ich musste zugeben, dass sich die kleinen Fehlstunden nicht negativ auf meine Leistungen übertrugen. Meine gesamte Freizeit bestand darin, zu lernen. Nebenbei ging ich noch in einer Bar jobben, um meine Studiengebühren bezahlen zu können. Hinzu bekam ich noch finanzielle Unterstützung von den Eltern meiner Besten Freundin. So konnte ich auch in einer eigenen Wohnung leben und mir den ganzen Kram leisten, der eben zum Leben dazu gehörte. Medizin war in der Tat kein einfaches Studium, doch ich hatte das Ganze bis jetzt eigentlich ziemlich gut hinbekommen und versuchte so viel wie möglich von dem Lernstoff in meinen Kopf zu pressen und dafür zu sorgen, dass es auch dortblieb. Auch wenn ich das meiste der heutigen Vorlesung schon privat durchgenommen hatte, schrieb ich alles fleißig auf meinem Laptop mit. Schaden konnte es auf jeden Fall nicht!

°~°~°~°

„Was soll das sein?", fragte ich Jenna mit erhobenen Augenbrauen. Die Vorlesungen für den heutigen Tag waren vorbei und wir spazierten durch die kleine Stadt. Sie war meine beste Freundin. Im Gegensatz zu mir studierte sie nicht, sondern machte eine Ausbildung zur Mediengestalterin. Das war eines ihrer Leidenschaften, um die ich sie beneidete. Ich wollte schon immer so toll zeichnen können wie sie, doch ich bekam nicht einmal die Umrisse eines Kreises richtig hin. „Als ob du das nicht kennst? Das ist ein Selfiestab!", entgegnete sie schockiert. Daraufhin konnte ich nur mit den Augen rollen. Jedes Mädchen hatte momentan so ein Teil und auch wenn es ganz praktisch war, ging mir der Trend langsam auf die Nerven. „Ach, so ein Ding ist das. Damit kann man höchstens Kastanien vom Baum kloppen!", entgegnete ich und schlürfte an meiner Cola. „Ach komm schon! Nur ein Foto, bitte!", flehte sie und schaute mich schmollend an. Wie ich es hasste. Sie war ein richtiges Mädchen. Also so richtig! Jede Kleinigkeit fand sie süß. Manchmal konnte das echt nerven, aber ich liebte sie trotzdem! Sie war ein bisschen größer als ich, hatte blonde Haare und braune Augen. Außerdem hatte sie einen perfekten Arsch und eine mega Oberweite. Na ja, sie hatte auch etwas nachgeholfen. Aber hey, die Jungs flogen auf sie! Ich dagegen hatte weiße Haare und rote Augen. Damit fühlte ich mich irgendwie wie ein Außenseiter und wurde nicht selten wie einer behandelt. Es war seltsam. Man sagte mir, ich sei nicht normal. Noch nie hatte ich jemanden gesehen, der wie ich aussah. Die, die ich bis jetzt gesehen hatte, sahen nicht von Natur so aus. Man vermutete mal, ich sei ein sogenannter 'Albino', aber die Ärzte meinten, dass ich nicht dazu gehören würde. Darüber war ich auch froh. Ich hätte sonst mein Leben lang vorsichtig sein müssen.

Verschollene SenjuWo Geschichten leben. Entdecke jetzt