Das Lied von Leid und Schmerz

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September 1981

Er starrte auf die schwarzen Lettern des Tagespropheten, ohne die Buchstaben zu lesen. Schon seit Ewigkeiten. Seine Hände hielten die leichten Pergamentseiten krampfhaft fest und bei jedem kleinen Geräusch hielt er den Atem an.

Sirius Black saß in dem kleinen Wohnzimmer ihrer gemeinsamen Wohnung und lauschte der Ruhe. Es war die Ruhe vor dem Sturm. Er wusste nicht, warum, doch es war ein tiefes Gefühl aus seinem Bauch heraus und es war ihm mehr als unangenehm. Sein Herz schlug unruhig, seine Hände zitterten kaum merklich.

Immer wieder kehrten seine Gedanken zurück zu Gwendolyn. Immer wieder musste er sich an ihre Worte erinnern. Sirius wünschte sich so sehr, dass sie wahr würden. Er wünschte sich von ganzem Herzen nichts sehnlicher, als dass Gwendolyn endlich sehen würde, wie wichtig sie ihm war, wie wichtig Zoe ihm war und dass sie nichts brauchten, außer einander.

Doch sie sah es nicht oder es war ihr nichts Wert. Seine Innereien krampften sich schmerzhaft zusammen. Er war einfach am Ende. Sirius wusste nicht, wie lange er noch durchhalten konnte.

Er hatte es versucht. Er hatte alles versucht. Zoe zuliebe, Gwendolyn zu liebe - doch nun war er am Ende seiner Kraft.

Er konnte hören, wie Gwendolyn sich aus dem Kinderzimmer schlich und hinüber ins Bad ging. Seine böse Vorahnung bestätigte sich. In den vier Jahren, in denen sie nun schon zusammen waren, hatte er gelernt, ihr Verhalten zu deuten. Schon in den letzten Tagen hatte er ihre Unruhe gespürt und er wusste, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis sie ihrer Sehnsucht nachgeben würde.

So war es immer gewesen und so würde es immer bleiben, das wusste er nun. Gwendolyn würde sich nicht ändern. Nicht für ihn - nicht für Zoe.

Es tat furchtbar weh, denn es war eine sichere Erkenntnis, und trotz allem war noch immer ein bisschen Hoffnung in ihm. Ein kleiner, närrischer Teil hoffte, dass er sich irrte.

Im Badezimmer wurde es still. Sirius verkrampfte sich kurz, legte dann jedoch den Tagespropheten zur Seite und zwang sich aufzustehen. Wie in Trance ging er hinüber in den Flur, begleitet von Angst und Unbehagen. Eine Entscheidung lag in der Luft. Eine endgültige Entscheidung, die schon viel früher hätte getroffen werden müssen. Doch er wollte Gwendolyn eine Chance geben, eine letzte Chance, denn trotz allem, was geschehen war, liebte er sie noch.

Die Tür ging auf und aus dem Bad schwappte ein schwerer Vanilleduft heraus, der Sirius' die Kehle zuschnürte, und Gwendolyn trat heraus.

Sie schien ihn zunächst nicht zu bemerken, steckte ihren Zauberstab ein und griff nach ihrem Reiseumhang. Sirius Herz begann zu rasen, ihm wurde übel. Sie warf sich den Umhang über die Schulter, bedeckte das schulterfreie Shirt und die Korsage darüber und zog ihre Haare unter dem schweren Stoff hervor.

Gwendolyns Gesicht war ernst, der hochgebundene Pferdeschwanz verlieh ihr eine unnatürliche Strenge. Sie schloss den Umhang mit der Gewandfiebel und sah auf. Ihre Blicke begegneten sich und Sirius hielt für den Bruchteil einer Sekunde den Atem an. Ihre ozeanblauen Augen hatten ihn fixiert, musterten ihn berechnend.

Und da sah er es zum ersten Mal, seit sie zusammen waren, klar und deutlich vor sich. Verstand zum ersten Mal, dass sie nicht anders konnte und, auch wenn es schmerzte, dass er nicht im Stande war, diese Sehnsucht zu lindern. Er hatte Gwendolyn lange auf ihrem Weg begleitet, doch nun war es an der Zeit, sie gehen zu lassen. Es lag an ihr und er wusste bereits, wie sie sich entscheiden würde.

Gwendolyn kam vorsichtig die wenigen Schritte auf ihn zu, die sie noch trennten, und blieb direkt vor ihm stehen.

Es war, als würde sie seinen Entschluss fühlen. Es war fast so, als hätte sie jenen Moment bereits erwartet und als würde ein stilles Einverständnis über ihnen liegen, ohne dass sie ein Wort gesprochen hatten.

Im Schatten eines großen NamensWhere stories live. Discover now