Zoe

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Mai 1980

Geistesabwesend sah Gwendolyn aus dem Küchenfenster. Der Nieselregen benetzte das grüne Laub der Bäume und tropfte auf die Erde. Es war keine Menschenseele auf der Straße, zumindest war niemand zu sehen, und doch wusste Gwendolyn, dass sie da waren. Es war kein Tag verstrichen, seit Gwen aus der Residenz geflohen war, an dem sie nicht patrouillierten. Sie ließen sich nicht immer blicken und trotzdem wusste Gwendolyn, dass sie da waren.

Sie liefen die Straßen ab, streiften durch den Park oder gingen durch den Flur des Mehrfamilienhauses. Gwendolyn hatte sie schon einige Male durch den Türspion beobachten können, doch sie schienen ihre Wohnung nicht sehen zu können. Der Schutz des Fidelius war verlässlich.

Sie hatte die Hände um die heiße, dampfende Teetasse geklammert und wärmte sich daran. Ihr Blick fiel in den tristen Himmel, der ihre momentane Laune widerspiegelte, und sie beschloss schließlich hinüber ins Wohnzimmer zu gehen. Dort ließ sie sich resigniert auf das Sofa fallen und starrte auf den leeren Kamin, der schon lange von dem Flohnetz abgeklemmt worden war.

Sirius, der im Schneidersitz auf dem engen Sessel saß und gerade noch in ein Buch vertieft gewesen war, warf ihr einen kritischen Blick zu, doch Gwendolyn bemerkte dies nicht.

Geistesabwesend schlürfte sie an ihrem Tee und lauschte der Musik, die aus dem magischen Radio auf dem Kaminsims kam.

Es waren immer dieselben Gedanken, die sie seit Wochen quälten und die sie immer wieder dann heimsuchten, wenn Sirius sie nicht ablenkte. Ein paar ruhige Minuten reichten aus und schon war sie wieder in der unheilvollen, melancholischen Stimmung gefangen, die unermüdlich wiederkehrte, seit sie von der Außenwelt isoliert war.

Nicht einen Fuß hatte sie seit ihrer Flucht vor die Tür gesetzt und bis auf eine kurze Nachricht an Severus auch keine Eule losgeschickt. Die Gefahr war zu groß, dass sie abgefangen wurden. Anfangs hatte sie darauf bestanden, sich mit Sirius das Risiko zu teilen, sodass sie abwechselnd die Besorgungen machten, die sie zum Leben benötigten. Doch ihr Freund hatte ihr gleich am Anfang mit dem nötigen Ernst klar gemacht, dass das für ihn nicht in Frage kam. Dass sie die Verantwortung für zwei trug und er nicht zulassen würde, dass Gwendolyn sich in Gefahr brachte.

So wurde sie mehr zum Gefangenen ihrer eigenen Wohnung, als Sirius es je gewesen war. Es zermürbte sie nicht weniger als ihn damals und Sirius allein war der Lichtblick, der ab und an ihren Tag erhellte.

Es war herzerwärmend, wie fürsorglich er sich um sie kümmerte. Er war sehr darum bemüht, all die tristen Gedanken von ihr femzuhalten und Gwendolyn zum Lachen zu bringen. Er tat alles um die dunklen Schatten zu vertreiben, doch diese waren hartnäckig.

Sie kamen zurück, des Nachts oder in Situationen wie dieser, und lösten eine beklemmende Angst in Gwendolyn aus. Sie konnte nicht einmal ausmachen, was genau es war, doch die Ungewissheit setzte ihr zu.

Was geschah wirklich in der Welt da draußen? Wie weit war Voldemort mit seinen Plänen und wie erging es Severus, so ganz allein, unter dieser Herrschaft. War er wohlauf?

Die Erinnerung an ihren besten Freund versetzte ihrem Herzen einen Stich. Sie vermisste ihn so sehr und die Tatsache, dass es ihr nicht möglich war mit ihm in Kontakt zu treten, verschlimmerte ihre ganze Situation drastisch.

Sie hatte alles Wichtige verloren: ihren einzigen Freund, das Studium und vor allem ihre Freiheit. Nichts war ihr mehr geblieben, nichts außer ihrem Leben. Doch was war ihr Leben schon wert, ohne die Magie? Was blieb dann noch von ihr übrig?

„Gwendolyn?"

Sie sah aus müden Augen zu Sirius auf, ohne sich die Mühe zu machen, ihre Beklommenheit zu verbergen.

Im Schatten eines großen NamensWhere stories live. Discover now