Zwischen zwei Stühlen

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September 1978

Die vergangenen Wochen würden ihr für immer in Erinnerung bleiben, als die schönsten ihres Lebens.

Gwendolyn war berauscht vom Leben, doch vor allem war sie berauscht von der Liebe. Jeder Morgen, der an der Seite von Sirius begann, war ein guter Morgen. Jeder Tag, den sie gemeinsam verbrachten, ein guter Tag. Es war einfach alles perfekt. So perfekt, dass sie selbst ihre neu gewonnene Freiheit und die Möglichkeit über sich selbst zu bestimmen, zunächst nicht bemerkte.

Nichts konnte ihre Stimmung trüben. Nichts stand im Verhältnis zu ihren Gefühlen und nichts war so wundervoll wie Sirius Black.

Diese Erkenntnis war eine der vielen neuen Erfahrungen, die sie in dieser Zeit machte. Die Zuneigung, die Aufmerksamkeit, die er ihr entgegen brachte, schien alles zu sein, was sie brauchte. Doch vor allem war sie alles, was Gwen wollte.

Doch dann traf das ein, was jede junge Liebe früher oder später auf die Probe stellt: der Alltag begann.

Sirius' Ausbildung im Ministerium hatte gerade erst vor wenigen Wochen angefangen. Er verließ morgens die Wohnung über das Flohnetz und kam am frühen Abend zurück.

Zunächst konnte Gwendolyn die zusätzliche Zeit für sich genießen. Zunächst hatte sie genügend Stoff, mit dem sie sich beschäftigen konnte, doch schon bald hatte sie auch das letzte Buch gelesen und es geschah das, was Gwen zutiefst beunruhigte - sie begann sich zu langweilen.

Als Gwendolyn an diesem Morgen aufwachte und alleine aufstand, gestand sie sich das erste Mal ein, dass das Hochgefühl, das sie in den letzten Wochen befallen hatte, nun endgültig vorüber war. Ein Blick auf die Uhr verriet ihr, dass es bereits früher Mittag war. Verschlafen kroch sie zwischen den Plumeaus hervor und tapste in die Küche, um sich einen Kaffee zu machen. Auf dem Küchentisch lag noch immer das Buch, in dem sie vor wenigen Stunden noch gelesen hatte: Formulieren fundamentaler Flüche. Sie seufzte betrübt, als ihr Blick auf das Buch fiel. Es war das dritte Mal, dass sie es gelesen hatte, doch in der Verzweiflung hatte sie es ein weiteres Male zu Rate gezogen, da sie nicht wusste, womit sie sich sonst hätte beschäftigen sollen.

Die Decke fiel ihr langsam aber sicher auf den Kopf. All die Stunden alleine hier in der kleinen Wohnung, ohne sinnvolle Beschäftigung, machten sie beinahe verrückt. Drückten wie bleierne Gewichte auf ihr Gemüt.

Es stach mit jedem Tag deutlicher hervor. Mit jedem Tag, der in demselben Trott verging, kam ihre Erinnerung zurück. An jedem dieser Tage dachte sie wieder an Hogwarts. An die unzähligen Geheimnisse, die das alte Schloss verbarg, an die riesige Bibliothek und die Schätze, die darin verborgen waren und nur auf Wissensdurstige wartete. Wie sehr vermisste sie die Möglichkeit, die Bibliothek zu besuchen.

Doch wenigstens dieser Tag versprach anders zu werden. Sie zog einen Bogen silbergrauen Pergaments unter dem Buch hervor und besah noch einmal die fein säuberlichen Lettern darauf. Sie kannte diese Schrift zu gut. Unzählige Briefe, die mit dieser kantigen Handschrift geschrieben worden waren, hatte sie gelesen. Lucius' Handschrift.

Seit er ihr und Severus den Unbrechbaren Schur abgenommen hatte, hatte sie ihn nicht mehr gesehen. Doch Gwendolyn war seither auch nur selten an der Lestranges Residenz gewesen. Nur unbedeutende Aufträge hatte man ihr zugeteilt. Aufträge, von denen sie der Meinung war, dass sie ihrer nicht würdig waren, doch sie wusste, dass es unklug gewesen wäre, dem Dunklen Lord diese Dienste zu verweigern und seien sie noch so unbedeutend. Sie würde sich die Anerkennung erst erarbeiten müssen. So wie Lucius es auch getan hatte.

Sie sah auf die Uhr, die an der Küchenwand hing und stellte erschrocken fest, dass es bereits viertel nach war. Schon in einer Dreiviertelstunde war sie mit Lucius verabredet.

Im Schatten eines großen NamensWhere stories live. Discover now