Die Insel im Meer

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September 1979

Gwendolyn!

Die junge Hexe schlug die Augen auf. Um sie herum war es stockdunkel. Sie lauschte, doch kein Geräusch klang aus der Dunkelheit; nichts war zu hören bis auf Sirius' ruhige, gleichmäßige Atmung. Er schlief tief und fest. Doch hatte sie nicht gerade ihren Namen gehört? Das Dunkle Mal auf ihrem Unterarm juckte unangenehm. Erst als sie sich dem Gefühl bewusst wurde, war sie sich sicher: der Dunkle Lord hatte nach ihr gerufen.

Sie drehte den Kopf nach links. Der kalte Mondschein fiel auf den alten, messingfarbenen Wecker auf dem Nachttischschrank und spiegelte sich in den metallenen Ziffernblättern. Es war zwanzig vor drei. Das unangenehme Kribbeln in ihrem Arm wurde intensiver und Gwendolyn wusste, sie musste gehorchen, wenn sie nicht in Ungnade fallen wollte.

Es war nicht einfach gewesen, sich aus Sirius' Umarmung zu winden, ohne ihn zu wecken, doch als Gwen dies geschafft hatte, las sie ihre Kleidung vom Boden auf und stahl sich aus dem Schlafzimmer. Wenige Minuten später war sie zum Aufbruch bereit. Noch einmal strich sie ihre Kleidung glatt, warf sich ihren Reiseumhang über und zückte ihren Zauberstab - um zu verhindern, dass sie in eine ähnliche Situation kam, wie damals, als Voldemort sie das erste Mal zu sich rief.

Gwendolyn atmete noch einmal tief durch und leerte ihren Geist, bevor ihre Finger sich zum Mal tasteten.

Ein erbarmungsloser Wind peitschte um sie herum, riss an ihrem Umhang, zerzauste ihr Haar und zwang Gwendolyn, ihre Augen zu schmalen Schlitzen zu formen. Die Luft schmeckte salzig, das Mondlicht beschien den dunklen Fels vor ihr, an dem sich riesige Wellen brachen. Ihr Blick ging in die Ferne. Um sie herum war nichts als das Meer.

Überrascht sah sie sich um. Nur wenige Meter von ihr entfernt stand eine Gestalt an der Klippe. Ihre schwarzen Roben wurden vom Wind aufgebauscht und als sie Gwendolyn bemerkte, drehte sie ihren Kopf kaum merklich in ihre Richtung.

Das blasse, kantige Gesicht von Lord Voldemort sah im Mondlicht noch viel bleicher aus als am Tag. Beinahe schon gruselig und doch war etwas an diesem Gesicht, etwas, das es selbst im fahlen Licht attraktiv machte. Unbeholfen krakselte Gwendolyn über den unebenen, felsigen Boden. Ihr Meister hatte das Gesicht bereits wieder zum Meer gerichtet.

„Ihr habt nach mir gerufen, Mylord!?!", rief sie lauter als beabsichtigt, um das Tosen der Wellen zu übertönen.

Er reagierte zunächst nicht und so folgte Gwendolyn seinem Blick, doch außer die Weiten des Meeres konnte sie nichts ausmachen. Sie runzelte die Stirn. Wie kam es, dass Voldemort sie zu so später Stunde zu sich rief und sie dann noch an einen so seltsamen Ort brachte.

Einige Minuten vergingen, während sie schweigend nebeneinander standen, dann wurde Gwendolyns Geduld belohnt.

„Was siehst du?"

Unsicher warf sie einen Seitenblick auf Voldemort, der noch immer eisern vor sich auf das Meer sah, dann folgte sie seinem Blick.

Der Ozean wurde von dem wütenden Wind aufgepeitscht. Meterhohe Wellen erhoben sich aus dem schwarzen Wasser und erzeugten auf ihnen kleine Schaumkronen, die über das Wasser tanzten. Doch außer das Meer war nichts vor ihnen, oder? Voldemort hätte diese Frage nicht gestellt, wenn da nicht etwas wäre, das Gwendolyn nicht sehen konnte.

Ihr Herz klopfte unruhig und ihr Hirn versuchte angestrengt eine Antwort auf seine Frage zu finden und dann erinnerte sie sich an seine Worte: Magie... hinterlässt immer Spuren.

Gwendolyn schloss die Augen, atmete tief die salzige Luft ein, die ihr auf der Kehle brannte, um sich für einen Moment vom hier und jetzt zu lösen, den Geist freizumachen.

Im Schatten eines großen NamensOpowieści tętniące życiem. Odkryj je teraz