Ein Bad mit Folgen

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März 1974

Gwendolyn saß am Rand einesgroßen Beckens und ließ ihre Füße in das warme Wasser baumeln. Sie sah auf dasgoldgerahmte Bild einer Meerjungfrau hinauf, die sich gerade mit den Fingernihr Haar richtete. Gedankenversunken betrachtete sie das Gemälde, dann endlichsprach sie die Frage aus, die ihr schon seit Wochen nicht mehr aus dem Kopf ging.

»Was meinst du, blufft Evan?«

»Nein, ich denke nicht«, , antwortete Lucius nach einer nachdenklichen Pause.

Gwens Blick glitt zu dem Vertrauensschüler, der am anderen Ende des Bassins bis zum Hals in dem duftenden Schaumbad saß. Er hatte sie in diese Räumlichkeit eingeladen, weil es der einzige Ort war, in dem sie wirklich unbeobachtet und ungehört sprechen konnten.

Abschätzend sah sie ihn anund versuchte, aus seinem Gesicht zu lesen, ob seine Antwort ehrlich oder nurso daher gesagt war. Er hatte die Augen gerade einen Moment zur Entspannunggeschlossen, doch dann sah er Gwen an und runzelte die Stirn.

»Evans Vater kennt den Dunklen Lord seit ihrer gemeinsamen Zeit in Hogwarts«, fügte er erklärendhinzu. »Ich glaube, wenn er so etwas behauptet, dann stimmt es auch.«

Gwen schwieg. Die Rosiers gehörten zueiner der Zaubererfamilien, die großen Wert auf ihr reines Blut legten und wennEvans Vater bereits in Schulzeiten Kontakte zum Dunklen Lord pflegte, war eswahrscheinlich, dass er wirklich in seiner Gunst stand.

Gwendolyn stammte zu einerHälfte ebenfalls von einer alten Zaubererfamilie ab, doch ob das genügte, undob nicht ihr Name in zukünftig hinderlich sein würde, wusste sie nicht.

Lucius durchquerte langsam das große Becken, verschränkte seine Arme neben Gwen auf dem Rand und legte seinen Kopf darauf ab. Gwendolyn schien davon nichts bemerkt zu haben. Sie musste sich gefasst machen, ihren Makel irgendwie zu kompensieren.

»Du denkst also ernsthaft darüber nach?«

Sie nickte nur knapp.

Lucius hob den Kopf und sah sie ernst an.

»Das wird nicht einfach werden«, prophezeite er.

Gwendolyn nickte abermals, antwortete aber nach einer kurzen Pause: »Ich hörte, Professor Beery mit einem älteren Schüler sprechen. Er sagte, unsere Welt sei im Wandel und dass er davon ausginge, dass das System, indem wir derzeit leben, sich bald neu erfinden wird.«

»Erfunden wird«, bestätigte Lucius und lächelte Gwen geheimnisvoll an. »Tatsächlich gibt es viele Stimmen, die meinen, dass er sich durchsetzen wird. Aber wer weiß das schon ...«

»Zweifelst du etwa daran?«, fragte sie neugierig und wartete gespannt auf seine Antwort.

»Er ist nicht der Erste,der große Pläne verfolgt«, wich Lucius aus.

Gwen lächelte in sich hinein.Die Familie Malfoy war für ihr diplomatisches Auftreten und ihre wohldurchdachten Handlungen bekannt. Schon Abraxas Malfoy vermochte stets dieaktuelle Situation für sein Eigenwohl zu nutzen und der Name Malfoy war in derVergangenheit ein Synonym für Opportunist geworden. Lucius schien dieseTradition fortführen zu wollen.

Schmunzelnd sah Gwendolynauf die goldenen Wasserhähne.

Wenn auch nur die Hälfte der umlaufenden Gerüchte wahr waren, dann würde er sich ›durchsetzen‹ und Gwen wollte nicht darauf warten, bis es so weit war. Ihre Möglichkeiten und auch ihr Ansehen wären auf einem ganz anderen Niveau, wenn sie von Beginn an dabei war. Das war zumindest die Meinung der übrigen Slytherins.

»Du solltest dir nicht so viele Gedanken darum machen.« Lucius Stimme war nun heiter, als versuchte er, das Thema zu wechseln.

Gwendolyn seufzte tief, doch bevor sie antworten konnte, hatte er sieeinfach an beiden Armen gepackt, um sie in das Becken zu ziehen.

„LUCIUS! ", schrie sie , als das warme Wasser denStoff ihrer Schuluniform durchtränkte.

Wütend sah sie zu ihm auf,doch er entgegnete ihrem Blick nur mit einem frechen Grinsen. Wie sehr siediese grau-blauen Augen mochte. Eine seiner Hände berührte zärtlich ihren Hals,kitzelte sie beinahe. Gwendolyn erzitterte und hielt überrascht den Atem an. Sonah waren sie einander noch nie gewesen. Ihr Herz machte einen rasanten Hüpfer,bevor sie selbst die Situation verstanden hatte.

In seinen wunderbaren Augen lag ein Ausdruck von Zufriedenheit und auf seinen schmalen Lippen zeichnete sich ein kaum merkliches Lächeln ab, als er sich zu ihr hinab beugte.

Lucius' Gesicht war nurnoch wenige Millimeter von ihrem eigenem entfernt und Gwen glaubte, er könneihr Herz gegen ihren Brustkorb hämmern hören. Im Bruchteil einer Sekunde wolltesie protestieren. Dachte auch daran sich zu entziehen, als sich seine raueLippen jedoch bedächtig auf ihre legten, vergaß Gwendolyn alles andereaugenblicklich.

Nichts war nun mehr wichtig, es zählte allein dieserMoment. Und als sich Gwen nach der ersten Schreckenssekunde gefasst hatte, undseine Zärtlichkeit erwidern konnte, genoss sie das wohlige Kribbeln, welchessich in ihrem ganzen Körper ausbreitete und trotz des warmen Wassers, für eineangenehme Gänsehaut sorgte.

Gwendolyn würde sich an den schwerenSeifenduft, der im Zimmer hing, noch lange erinnern. Ihr Atem ging immerschneller und hatte sich dem aufgeregten Herzklopfen angepasst. Sie begann zuzittern, so berauschend war der Moment, welches dem Wirken komplizierter Magiesehr nahe kam. Gwen war beinahe ernüchtert, als sie sich nach einiger Zeitvoneinander lösten.

Ihr Herz klopfte weiterhin wild und sie spürte, wie ihre Wangen glühten, dennoch entging ihr der Glanz in Lucius' Augen nicht, als er beobachtete, wie ihre langen, blonden Haare auf der schaumigen Wasseroberfläche trieben. Und plötzlich wurde Gwendolyn peinlich bewusst, dass er darunter völlig nackt war.

»Ich ... ähm ... muss langsam Mal zurück. Sever-«, stotterte sie verwirrt.

»Schon in Ordnung«, unterbrach er sie lächelnd.

Lucius hielt sie nicht fest. Gwen hob sich unter Anstrengung mit den nassen Kleidern aus dem Becken, wrang schludrig ihre Uniform aus und hastete aus dem Vertrauenschülerbad. Als sie die Tür geschlossen hatte, blieb sie dahinter einen Moment stehen. Ihr Herz raste heftig, so wie neulich in Professor Flitwicks Stunde, als sie ihre erste Beschwörung gewirkt hatte.

Gwendolyn war auf ihrem Weg zum Kerker noch immer so verdattert, dass sie nicht einmal daran dachte sich zu verbergen, obwohl sie sich bereits ausserhalb der Sperrstunde befand. Doch sie begegnete unterwegs niemandem. In Gedanken, passierte sie die Wand, den langen Korridor dahinter und betrat den Gemeinschaftsraum.

Severus saß lesend am Feuer, offenbar hatte er auf ihre Rückkehr gewartet. Als er seine Freundin bemerkte, sah er auf.

Gwen versuchte unschuldig dreinzusehen, ohne das Lächeln gänzlich aus ihrem Gesicht bannen zu können.

»Was ist los?«, fragte er sie stirnrunzelnd.

»Ähm, nichts«, antwortete sie sofort.

Ihr Freund zog betont beide Augenbrauen hoch.

»Nichts‹?«, wiederholte er misstrauisch.

»Jah ... nichts«, sagte sie und grinste verstohlen. »Also, Severus, ich bin müde... Ich mach mich dann mal ab ins Bett.«

An seinem Blick erkannte sie, dass er ihr kein Wort glaubte, doch sie beachtete ihn nicht weiter und ging schnurstracks in den Mädchenschlafsaal, noch immer das verräterische Grinsen auf dem Gesicht.

Im Schatten eines großen NamensWhere stories live. Discover now