Caradoc Dearborn

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August 1979

„Deine Karte!" Ungeduldig hielt die junge Frau die Hand hin.

Gwendolyn runzelte die Stirn und zog einen dieser bunten Papierscheine aus der Tasche und hielt ihn der Frau hin.

„Wir dürfen kein Bargeld nehmen! Deine Karte, bitte!"

Es war der Tonfall, der Gwendolyn so provozierte. Sie war ein Muggel, sie hatte keine Ahnung, mit wem sie sprach, doch diesen Umgangston war Gwendolyn nicht gewohnt. Ihre Hand zuckte zu der Tasche, in der sie ihren Zauberstab verstaut hatte, doch jemand kam ihr zuvor.

„Das geht auf mich!" Der Mann hatte sich unbemerkt von hinten an sie herangepirscht, lehnte nun mit seinem linken Ellenbogen auf dem Tresen und hielt der jungen Bedienung ein Exemplar der Karte hin, die Gwendolyn am Eingang erhalten hatte.

Sichtlich erleichtert nahm das Mädchen ein Gerät, das am Gürtel an ihrer Hüfte hing, lochte die Karte und gab sie dem Fremden zügig zurück, um sich nun um die mittlerweile entstandene Schlange von Durstigen zu kümmern.

Gwens Blick fiel auf den Sponsor, dessen Gesicht nur wenige Zentimeter von ihrem entfernt war. Er lächelte charmant.

„Danke", sagte Gwen in einem Ton, der eindeutig ihr Desinteresse an ihm ausdrückte, doch sie hatte nicht mit seiner Hartnäckigkeit gerechnet.

Als sie ihr Glas nahm und sich mit dem Rücken an die Theke lehnte, verfolgte sein Blick jede Bewegung von ihr, um anschließend wieder ihren Blick zu suchen.

„Es ist schön zu sehen, dass es noch junge Menschen gibt, die an einem solchen Abend Wasser trinken können." Er lächelte.

Es hatte etwas Trauriges an sich, doch Gwendolyn bemerkte es zunächst nicht. Ihre Aufmerksamkeit galt der Menschenmenge hier drin. Hier irgendwo musste er sein. Irgendwo zwischen den unzähligen, schwarzen Körpern, von denen sich die meisten lethargisch zu der kantigen Rhythmik und den elektrischen Klängen bewegten. Doch nach wenigen Sekunden bemerkte sie, dass er eine Antwort erwartete.

„Ich trinke selten Alkohol. Ich bin lieber selbst Herr meiner Sinne!" Es war ein endgültiger Satz, der signalisierte, dass für sie das Gespräch nun beendet war, doch ihr Gegenüber ließ sich nicht so leicht abspeisen.

„Ja, das scheint allmählich der neue Trend zu werden. Die bunten Flower-Power Zeiten werden nun definitiv zur Neige zu gehen. Diese neue Bewegung ist um einiges ernster, die unbefangene Ära ist nun vorbei." Er lachte bitter und erregte damit Gwendolyns Aufmerksamkeit.

Erst jetzt fiel ihr auf dass er ganz anders war als der Rest der Besucher. Er war keiner dieser kuriosen, schwarz gekleideten Gestalten mit hohen Frisuren oder teilrasierten Schädeln. Er sah eigentlich ziemlich normal aus. Zu normal für eine Veranstaltung dieser Art wohl, doch vor allem viel zu alt. Er war locker dreißig Jahre älter als das Durchnittsalter in dieser Diskothek.

Ihren kritischen Blick schien er als Frage zu betrachten, denn er antwortete prompt: „Entschuldige, ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Caradoc ist mein Name - ich weiß, ziemlich speziell, hab' keine Ahnung, was sich meine Eltern dabei gedacht haben." Er zwinkerte und hielt Gwendolyn die Hand hin.

Ihr Herz klopfte drei Mal feste gegen ihren Brustkorb. Sollte es so einfach sein? Doch offensichtlich war es das, denn den Mann, den sie suchen wollte, hatte sie bereits gefunden. Gwendolyn ließ sich davon jedoch nichts anmerken.

„Und wie ist dein Name?" Er ließ ein wenig betrübt die Hand sinken und griff unauffällig nach seinem eigenen Getränk.

„Julien." Es war der erste Name gewesen, der ihr eingefallen war.

Im Schatten eines großen NamensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt