Gwens Fehler

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März 1980

Als Gwendolyn am nächsten Morgen erwachte, waren ihre Gedanken sofort wieder dort, wo sie gestern Abend stehen geblieben waren. Als sie auf die kleine Uhr auf dem Nachttisch sah, zeigte diese vierzehn Uhr zwölf an. Gwendolyn stöhnte und strich sich beim Aufstehen die Haare aus dem Gesicht.

Sie hatte viel zu wenig geschlafen. Ihr war schwindelig und übel; noch vor wenigen Stunden war sie bei Severus gewesen und gemeinsam hatten sie über die Bedeutung der Wortfetzten sinniert, die ihr Freund erlauscht hatte. In einem waren sie sich einig: sie hatten keinerlei Ahnung, welche Macht man haben musste, um Voldemort zu besiegen.

Er war wahrlich ein Meister seines Faches, der sich Wissen erarbeitete hatte, von dem Gwendolyn nur träumte, doch er war ein Mensch wie Severus und sie, den Gesetzen der Natur unterworfen.

Sie konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen, als sie das Fenster öffnete und die Läden aufklappte. Die Art und Weise, wie der Dunkle Lord plante, schien manchmal tatsächlich so, als hätte er selbst vergessen, dass seine Zeit auf dieser Erde ebenso begrenzt war, wie die aller Menschen. Ob Muggel oder Magier - welche Ironie.

Sie schlüpfte in den ultramarineblauen Morgenmantel und in die passenden Pantoffel und ging routinemäßig in die Küche, um den Kessel aufzusetzen.

Sie war schon einmal Zeuge gewesen, wie sich Voldemort mit ihrem Vater duelliert hatte. Damals hatte er für sie keinen unbesiegbaren Eindruck gemacht, ganz im Gegenteil, sie waren geflohen. Vielleicht nicht, weil er keinen Ausweg mehr sah, doch sie waren geflohen.

Sie erinnerte sich an die Vision, die sie bei dem Experiment erzwungen hatten. Das Duell Dumbledore gegen Grindelwald, ein Duell, das in die Geschichte einging und das eigentlich gar keins gewesen war. Auch darüber hatte sie lange nachgedacht.

Es war ein seltsames Gefühl gewesen. Sie hatte sich unbesiegbar gefühlt, nein, sie hatte gewusst, dass sie unbesiegbar war. Dennoch hatte sie es nicht geschafft aktiv zu werden. Einen Moment versuchte Gwendolyn sich an das Gefühlschaos zu erinnern, das damals von ihr Besitz ergriffen hatte, doch es war nach der Vision so schnell verschwunden, dass sie sich im Nachhinein nicht mehr sicher war, was sie gefühlt hatte.

Doch an den schweren Zauberstabarm erinnerte sie sich. Er war so schwer gewesen und die dicke Luft hatte sie kaum atmen lassen. Es war ein bestialischer Schmerz gewesen, als Dumbledore ihr gegenübertrat. Ein so schrecklicher Schmerz, dass die einzige Möglichkeit, die sie gesehen hatte darin bestand, den Zauberstab fallen zu lassen, aufzugeben, mit der Hoffnung auf Erlösung.

Gwendolyn atmete tief ein. Es waren nicht mehr als Erinnerungen eines Fremden, doch sie waren erdrückend. Zu gern hätte mit ihrem Vater darüber gesprochen. Sich seine Version des legendären Duells erzählen lassen, weil sie darüber nie geredet hatten. Überhaupt hatten sie selten miteinander gesprochen, denn meistens war er viel zu beschäftigt gewesen. Unweigerlich spürte Gwendolyn den alten Groll in sich aufkochen und schalt sich für ihre Gefühle.

Sie ging mit ihrer Tasse Kaffee hinüber ins Wohnzimmer, in dem sich auch Sirius aufhielt. Er saß tief vornübergebeugt über den Propheten und sah ziemlich miesepetrig drein.

„Guten Morgen", begrüßte Gwendolyn ihn zaghaft, doch er antwortete nicht.

Gwen konnte ihm seine schlechte Laune nicht einmal übel nehmen. Seit Monaten war er schon auf diese paar Quadratmeter eingesperrt, die ihre Wohnung hatte. Diese Enge erdrückte ihn, machte ihn teilweise unausstehlich, doch Gwendolyn ahnte, wie unerträglich diese Situation für ihn sein musste. Sie selbst hoffte, dass sie nie in eine solche Lage kommen würde.

„Ich wollte heute Nachmittag zu Sev. Soll ich dir irgendetwas mitbringen?"

„Ich brauche nichts!", brummte Sirius missgelaunt.

Im Schatten eines großen NamensWhere stories live. Discover now