Der Da-und-fort-Raum

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Dezember 1975

Wassertropfen prasselten wie schwerer Regen auf den fein gefliesten Boden des Vertrauensschülerbads. Gwendolyn ging in die Knie. Tränen vermischten sich mit dem heißen Wasser und ihr goldblondes Haar klebte wie Honig an ihrem bloßen Körper. Sie schnappte nach Luft, während sie bitterlich weinte. Es tat so weh und sie hasste sich für dieses Gefühl.


So euphorisch war Gwendolyn lange nicht mehr gewesen. Endlich hatte sie herausgefunden, wie der Da-und-Fort-Raum funktionierte. Sie ging drei Mal am Wandteppich von Barnabas dem Bekloppten vorbei und beim dritten Mal erschien an der gegenüberliegenden Wand eine Tür. Als sie diese öffnete, entdeckte sie genau das, woran sie zuvor gedacht hatte.

Gwendolyn schloss die Tür, die sofort verschwand, und versuchte es erneut. Nur um wirklich sicher zu sein. Sie stellte sich einen Raum vor, in dem sie ungestört lernen und arbeiten konnte und kurz darauf erschien sich die Tür wieder. Dahinter befand sich jetzt ein kleines fensterloses Zimmer, in dessen Mitte ein Sekretär und ein bequem aussehender Stuhl standen. Die Wände waren mit Bücherregalen bepflastert und ein großer Kronleuchter warf einen sanften Schein von oben auf sie herab. Gwen trat ein, schloss die Tür hinter sich und frohlockte. Sie hatte ein weiteres Geheimnis von Hogwarts gelüftet. Ein Geheimnis, von dem die anderen Schüler nur träumen konnten.

Sie ließ sich auf die dunkelgrüne Récamiere fallen, die sich gerade materialisierte und überlegte, wie sie dieses neue Wissen für sich nutzen konnte. Der Da-und-Fort-Raum eignete sich hervorragend als Studierzimmer, Versteck oder Ruhezimmer. Vielleicht auch noch für mehr und während Gwendolyn darüber nachdachte, beobachtete sie, wie sich der Raum mit ihren Gedanken veränderte. Unglaublich, was die vier Gründer von Hogwarts vollbracht hatten! Immer wieder dachte die junge Hexe daran, ob sie selbst auch einmal fähig sein würde, solche Dinge zu vollbringen und ob sie jemals die Chance erhielt, sich so intensiv mit der Magie beschäftigen zu können, wie es die Gründer getan haben mussten.

Wenn es nach ihrem Vater ginge, war ihr Werdegang vorbestimmt und Gwen würde eine Ausbildung im Ministerium absolvieren. Gwendolyn biss sich auf die Unterlippe. Das wollte sie unter keinen Umständen, doch hatte sie die Kraft, sich dagegen zu sträuben?

Gwendolyn wollte frei sein und ihre eigenen Entscheidungen treffen und sie wünschte sich nichts sehnlicher, als die Magie zu studieren – so wie man es früher tat – dabei vielleicht die Welt bereisen, um Neues zu sehen und davon zu lernen. Unbekannte Dinge erforschen und endlich heraustreten aus dem Schatten, den ihr Vater seit jeher über sie warf. Gwen wollte sich beweisen und sie wollte, dass die Leute in ein paar Jahren von Gwendolyn Dumbledore sprachen – nicht von Dumbledores Tochter.

Hatte sie den Mut, diesen Weg zu gehen?

Ihn womöglich alleine zu gehen?

Der Gedanke machte ihr Angst und ein Kloß bildete sich in ihrem Hals. Es war eine Sache von den Dingen zu Träumen, die sie tun wollte, aber konnte sie auch zu ihnen stehen, und war sie im Stande sich vor ihrem Vater zu verteidigen?

Gwendolyn seufzte.

Der einzige Mensch, der sie je in ihren eigenen Wünschen bestärkt hatte, war ihr Onkel. Aberforth war neben ihrem Vater, das letzte Familienmitglied, das ihr geblieben war und manches Mal fühlte sie sich von ihrem Onkel mehr geliebt und mehr verstanden als von ihrem Vater. Doch leider sah sie ihn viel zu selten.

›Der Eberkopf ist kein Ort, an dem sich ein junges Mädchen wie du aufhalten sollte!‹

Das waren die Worte ihres Vaters gewesen und Gwendolyn hatte stets gehorcht. Wie sehr sie ihren Onkel vermisste, hatte Albus Dumbledore dabei offensichtlich nie bemerkt.

Im Schatten eines großen NamensDonde viven las historias. Descúbrelo ahora