47 - Rauch

2.6K 117 12
                                    

Ein paar Promille später sitze ich auf den Stufen der Terrasse und zähle die Dahlien. Die Nacht umgibt sie wie eine Warnung. Trotzdem kann ich meinen schwindeligen Blick nicht von ihnen lassen. Immer wenn mein Körper das Gefühl bekommt, meinen Mageninhalt nicht mehr halten zu können, erstarre ich für ein paar schmerzhafte Sekunden und das Gefühl verschwindet wieder. Und dann nehme ich noch einen Schluck.

Die Welt erblasst. Ich strenge mich an, nichts zu fühlen. Die Anstrengung zahlt sich aus. Alles wird gut ... Alles wird vergessen ... Nichts bleibt ... Alles wird vergehen ... Ich höre auf, festzuhalten. Ich schließe die Augen und genieße das fantastische, übelkeitserregende bunte Karussell hinter meinen Lidern. Alles wird vergehen ...

"Hey!"

Ich öffne meine Lider und verlasse das Karussell. Verfluche Clark, weil er meine wundervoll melancholische Ruhe gestört hat. Ihm scheint genauso schwindelig wie mir. Sein Schwanken ist besorgniserregend.

"Hey, du!", blafft er aggressiv. Meine Güte, was, wenn der Bastard auf mich drauffällt ... Sicherheitshalber rücke ich ein Stück von ihm weg, aber er kommt näher. "Du bist doch die Praktikantin!" Was?! Ich fahre mir erschöpft übers Gesicht und schaue ihn verständnislos an.

"Tu nicht so! Du bist die Bitch, die die Pille zerstört hat. Unser einziges Exemplar! Die einzige Chance des Syndikats, Francos Pro... Produktion zu k... kop..." Kopieren?

Ich nehme noch einen Schluck und massiere meine Schläfen. "Da musst du mich verwechseln.", meine ich nur und überlege, ob ich genug Kraft besitze, die halbvolle Flasche neben mir als Mittel zur Selbstverteidigung zu nutzen.

"Du ..." Clark deutet auf mich. "Du warst es! Du warst das miese Arschloch! Wa... warum zur Hölle hast du ..." Er rüttelt mich an den Schultern. Fuck. Ich nehme die Flasche und lass sie knallen. Leider nicht wie gewünscht gegen seinen Kopf, sondern auf den Boden. Schade. Da hab ich meine Koordinationsstärke wohl überschätzt ...

"Clark, Alter, komm runter!" Zwei Typen unweit von uns lachen und kommen näher. Das Splittern von Glas hat sie wohl hellhörig gemacht. Hatte mein kläglicher Versuch also doch einen positiven Effekt.

"Nein Mann!" Er zeigt anklagend auf mich. "Das ist die Bitch, die das Syndikat sabotiert hat ..." Ich verlasse meine Stufen und bin den beiden Typen sehr dankbar, dass sie sich die Mühe machen, Clark zurückzuhalten.

"Jaja. Komm zurück zur Bar, Idiot."

"Ey, lass mich!"

Ich stolpere blindlinks Richtung Garten. Darauf bedacht, dass ich aus Clarks Reichweite verschwinde. Was für ein Wichser. Hat er mich noch im Visier?! Folgt er mir womöglich?! Das ständige Umdrehen hilft nicht wirklich beim Vorwärtskommen. Fuck, dieser Schwindel bringt mich noch um. Inmitten meines Karussells sehe ich kaum was. Aber ich spüre das Gras unter meinen Füßen. Und Kälte in meinen Lungen. Und Rauch in meinen Augen ... Rauch? Ich bleibe stehen. Fokussiere meinen müden Blick. Shit. Rauch einer Zigarette, die aus Reyes' Mundwinkel hängt.

"Du schon wieder ...", murmle ich.

Er schmunzelt. "Dito."

Meine Kräfte versagen und ich lasse mich auf die Erde fallen. Schließe meine Augen, spüre meinen Magen, halte inne und reiße mich zusammen. Bewusstlos müsste man sein.

"Fuck", flüstere ich und halte meinen schmerzenden Kopf, worauf die dunkle Stimme vor mir amüsiert reagiert.

"Schöne Nacht, nicht wahr?"

Ich spüre, wie mein Gesicht in seinem Rauch verschwindet und starre ihn an. "Was, verdammt, willst du von mir?"

Er versenkt die freie Hand in seiner Hosentasche. "Nur eine Erklärung."

Deadly People  ✓Where stories live. Discover now