23 - Messer

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"Was zur Hölle habe ich denn davon, eine gefangengehaltene Zeugin wieder gehen zu lassen?" Ich habe keine Ahnung, ob er eine Antwort darauf erwartet. Gerade bin ich viel zu sehr damit beschäftigt, nicht auszurasten. Nicht zu verzweifeln. Nicht zu heulen.

Die Selbstzufriedenheit in seiner Stimme gibt mir beinahe den Rest. "Du hast dich als nützlich erwiesen, Ally. Du könntest auch in Zukunft als Teil des Syndikats von Nutzen sein." Er steht auf und schlendert zum Fenster. Als er sich wieder zu mir dreht, registriert er das wutentbrannte Funkeln meiner Augen mit einem kleinen Lachen.

"Keine Sorge, nicht umsonst natürlich. Als Gegenleistung lasse ich dich weiter in der zweiten Unterkunft wohnen statt in der ersten im Keller. Auf diese Weise haben wir beide etwas von unserer Zusammenarbeit." Meine Hände ballen sich zu Fäusten. Ich kann das nicht. Wie zum Teufel soll ich nun weitermachen?! Hier in dieser Hölle, in der mich dieses Schwein für immer gefangen halten wird?!

Das Schwein, das mich meines Lebens beraubt hat und gerade so friedvoll aus dem Fenster auf sein Reich blickt. "Diese Basis ..." Reyes macht eine allumfassende Geste. "... ist sicherlich nicht das, was du dir unter deiner Zukunft vorgestellt hast." Ich greife nach meinem Steakmesser und lasse es unter meinen Ärmel gleiten. Stehe auf und gehe auf den Teufel am Fenster zu. Er beachtet mich nicht weiter, betrachtet zufrieden die Mauer und fährt fort.

"Aber bestimmt hast du bereits erkannt, dass dieser Ort viel bedeutsamer ist als du." Er schaut auch dann nicht zu mir, als ich das Messer von meinem Ärmel in meine Handfläche wandern lasse. Mein Griff ist eisern. Entschlossen. Meine Wut überwindet meine Angst und ich mache mich bereit, während er lächelt. "Du kannst dich glücklich schätzen, nun Teil von etwas Größerem sein zu dürfen."

Mit rasender Hand und ebenso schnell rasendem Puls versenke ich das Messer in seiner Brust. Sehe das Blut. Fühle geisteskranke Euphorie in meinem Herzen. Empfinde das Rauschen in meinen Ohren als Symphonie der Götter. Sein Blut als schönste Farbe, die ich jemals zu Gesicht bekommen durfte.

Für genau eine Sekunde.

Eine segensreiche Sekunde, bevor ich realisiere, dass seine Hand meine gepackt hat. Dass sich das Messer nicht in seinem Körper versenkt hat, sondern ihn lediglich gestreift hat. Dass sein Blut nicht auf mich zuspritzt, sondern nur einen winzigen Streifen auf seinem hellen Oberteil hinterlassen hat.

Mein Atem geht flach. Meine neu erwachte Hoffnungslosigkeit lässt mich verzweifeln. Reyes' Griff um meine Hand ist schraubstockartig, wird mit jeder Sekunde peinigender. Ich wage einen Blick in sein Gesicht und die Kälte darin schlägt mir wie ein mächtiger Windzug entgegen. Langsam beugt er sich zu mir. Seine Stimme ist leise. Leise und bedrohlich. "Jetzt ist mein Hemd dreckig ..."

Ich will mich abwenden, reiße an meinem gefangenen Arm, vergebens. Sein Griff wird noch schmerzhafter. Ein leises Aufseufzen entweicht seinen Lippen. "Wie ungeschickt von dir." Wie von Sinnen trete ich ihn, versuche wutentbrannt, mich von ihm loszureißen, bekomme meine Hand nicht zurück, halte noch immer das Steakmesser ganz fest, als wäre es mein Rettungsring. Ich spucke ihm die Worte meiner inneren Rage entgegen. "Fick dich ins Knie und verreck an deiner eigenen Scheiße, Reyes!"

Er lächelt und tritt einen Schritt auf mich zu. "Weißt du, was ich an dir mag?" Statt auf eine Antwort zu warten, steuert er mich mit weiteren gezielten Schritten und seinem eisernen Griff nach hinten, bis ich die Wand in meinem Rücken spüre. "Du bist dumm genug, dich gegen mich aufzulehnen."

Meine Tritte sind in dieser eingeklemmten Position noch nutzloser als vorher und er fährt ungerührt fort. "Das ist so erfrischend. Vor allem in einem Alltag wie meinem. Von meinen Lakaien bekomme ich kaum mehr zu hören als Ja und Amen." Wahrscheinlich weil sie sonst in einem Leichensack enden würden.

Seine bedrohliche Gestalt steht nun ganz nah an meiner kläglichen. "Sie haben keine Kanten mehr. Keinen Mumm. Sie sind so ... langweilig."

Er führt meine Hand, die noch immer das Messer umklammert hält, zu meiner Kehle, bis die Klinge meine Haut berührt. "Hier und da mal ein Betteln. Ein Flehen. Unterwürfige Dankbarkeit. Pflichtbewusste Zustimmung." Er muss grinsen. "Aber ich höre selten ein 'Fick dich'."

Als der Stahl ganz langsam in meinen Hals schneidet, rät mir meine Vernunft, mit dem Betteln anzufangen, aber meine Wut formt andere Worte. "Dann sag ich es halt nochmal: Fick dich, Bastard! Fick dich, bis du in der Hölle schmorst! Wenn dir diese Worte so sehr gefallen, wie oft muss ich sie noch sagen, bis du deinen Teil der Abmachung einhälst und mich verdammt nochmal gehen lässt?!"

Als ich das Blut an meiner Kehle spüre, lasse ich das Messer endlich fallen, aber noch bevor es auf dem Boden landet, ersetzt Reyes' Griff seine tödliche Position an meinem Hals. In gespieltem Überlegen legt er den Kopf schief. "Einmal reichte mir schon vollkommen für mein Privatvergnügen, vielen Dank. Aber gehen lasse ich dich nicht."

Als ich wieder anfange, mich zu wenden und zu treten, verstärkt sich sein Griff um meine Kehle und dreht mir langsam aber sicher die Luftzufuhr ab. Die beginnende Panik meines Körpers registriert er mit Zufriedenheit.

"Um es mal ganz deutlich zu formulieren: Du wirst diese Mauern nie wieder verlassen, kleine Kellnerin. Du wirst niemals wieder in deinem Leben die Innenstadt betreten. Oder Duartes' Hotel. Den Gemüsemarkt. Den kleinen heruntergekommen Waschsalon bei dir um die Ecke. Oder auch nur eine einzige Straße außerhalb dieser Mauern."

Ich nutze meine verbliebene Luft für ein hasserfülltes Zischen. "Ich schwöre bei Gott, ich bring dich um, Reyes!"

Kurz lässt sein Griff locker, nur um meinen Kopf eine Sekunde später voller Wucht gegen die Wand zu schlagen und meine Kehle noch enger zu fassen. "Ich an deiner Stelle würde den Mund halten.", sagt er mit dem Tonfall eines wohlgemeinten Rates.

Meine Stimme ist nur noch ein erbärmliches Röcheln. "Ich an deiner Stelle würde zur Hölle fahren!"

Er grinst und drückt noch fester zu, bis ich das Gefühl habe, gleich ohnmächtig werden zu müssen. "Hast du noch immer nicht genug?"

Weiße Punkte tanzen vor meinen Augen. Meine Lungen ziehen sich zusammen und ich glaube zu sterben. Kurz bevor mein Körper bis in alle Ewigkeit erschlafft, finde ich noch die Kraft, zweimal abzuschlagen. Reyes reagiert auf mein Zeichen des Aufgebens, indem er mich so abrupt loslässt, dass mein ganzer Körper sofort in sich zusammenklappt. Kraftlos sinke ich zu Boden und schnappe nach Luft, dem Lebenselixier, dem ich die letzten Minuten beraubt wurde.

Er schaut auf mich herab, während er sich in Seelenruhe mein Blut von seiner Hand wischt. "Sieh's positiv. Dein kleines Attentat war sehr dumm und natürlich vollkommen nutzlos, aber vielleicht ... Vielleicht konntest du am Ende des Tages eine Lektion lernen." Ich sehe zu ihm auf und spucke verächtlich auf den Boden.

Er lächelt amüsiert, aber als er vor mir in die Hocke geht und aufmunternd meine Wange tätschelt, verwandelt sich das Lächeln in einen Ausdruck purer Bedrohung. "Ich gebe dir einen Rat. Versuch so etwas wie heute nicht noch einmal." Die Gefahr in seiner Stimme lässt mir den Angstschweiß über die Stirn laufen. Seine Drohung zeigt sofortige Wirkung. In Form einer eiskalten Gänsehaut. "Glaub mir, du würdest es bereuen."

Ich hänge mich krampfhaft an den Gedanken, dass seine Kälte niemals meinen Trotz überragen kann und starre ihm mit vorgetäuschter Furchtlosigkeit entgegen. "Was hab ich denn noch zu verlieren?"

Er wendet sich von mir ab und steht wieder auf. "Ich glaube, die Antwort auf diese Frage kennst du längst, Ally." Mein Leben. Mein verdammtes Leben habe ich noch zu verlieren.

Er geht zur Tür und dreht sich noch ein letztes Mal zu mir um, bevor er den Raum verlässt.

"Ich an deiner Stelle würde beten. Beten, dass ich noch Verwendung für dich finden kann."

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Immer her mit Meinungen, Vermutungen, Feedback und Votes!! Und immer schön gespannt bleiben ;)

Deadly People  ✓Where stories live. Discover now