35 - Cracker

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Nach den Enchiladas, die hervorragend waren, hab ich wohl ein bisschen zu lange in der Küche rumgelungert und wurde schließlich vom Koch, dessen Namen ich wieder vergessen habe, rausgescheucht. Aber die Packung Cracker konnte ich mitgehen lassen. Nun sitze auf einem Fensterbrett, in einer verlassenen Ecke unweit der Küchentür, und warte auf den Moment, in dem ich mich erneut auf die Suche nach Proviant machen kann. Oder auf den Moment, in dem ich wieder zurück in meine Zelle geschleppt werde. Oder was auch immer sonst mit mir passieren könnte.

Meine Stirn hab ich mit Eis gekühlt. Gegen die Kopfschmerzen half eine Tablette. Wäre nur noch die beißende Ungewissheit, die ich mal wieder nicht besiegen kann. Ich höre Schritte und zucke zusammen. Nicht, weil ich mir Sorgen um mein Schicksal mache. Sondern, weil ich diese Schritte bisher noch nie in der Basis gehört habe. Der unverkennbare Klang hoher Absätze.

Ich schiele in den Korridor und sehe eine junge Frau in einem dunkelroten, engen Kleid. Während sie sich umsieht, wirkt sie ein wenig orientierungslos, aber ihr Gang ist elegant und selbstsicher. Als sie mich sieht, spielt ein höfliches Lächeln um ihre roten Lippen. "Tschuldige bitte, wo find ich denn zur großen Eingangstür zurück?"

Jetzt, wo sie so nahe vor mir steht, muss ich schlucken. "Ne Weile geradeaus und dann links."

Ihr hübsches Lächeln wird breiter. "Danke."

Gerade als sie wieder gehen will, gebe ich mir einen Ruck. "Warte kurz!"

Sie dreht sich zu mir und ihr Aussehen verstört mich unweigerlich. Unbewusst fahre ich mir durch die Haare. Die gleichen braunen Haare, die auf der Höhe der Schultern enden. Das gleiche Kinn. Ähnliche blaue Augen. Die gleiche schmale Statur. Der gleiche helle Teint, nur ihrer scheint keine blauen Flecken aufzuweisen.

"Cracker?", biete ich der Escort an und halte ihr die Tüte hin.

Sie greift hinein. "Immer her damit."

Viel mehr als die Frage, was zur Hölle mit Reyes los ist, interessiert mich die Frage danach, ob mir meine Doppelgängerin in meiner misslichen Lage helfen würde ... Oder ob sie das überhaupt könnte ... Während sich meine Stirn in Falten legt, scheint sie unsere Ähnlichkeit ebenfalls bemerkt zu haben, denn sie wirkt irgendwie belustigt.

"Ich heiße Luna."

"Hi, ähm ... Ally."

"Du erinnerst mich an irgendjemanden, Ally. Mir fällt nur nicht ein, an wen.", meint sie ironisch und mustert mich aufmerksam.

Am liebsten würde ich einfach grinsen und etwas Witziges antworten, aber ich kann nicht. Ich denke an Jeremy Medina. Der Wichser, der mich im Stich gelassen hat. Will ich diese Demütigung wirklich ein zweites Mal erleben? Als ich meine Entscheidung getroffen habe, atme ich tief ein und sehe Luna voller Ernsthaftigkeit in die wachen, blauen Augen. "Darf ich dir mal eine Frage stellen?"

Sie nickt. "Was willst du wissen?"

Ich kaue auf meiner Unterlippe herum. "Wie stehst du zu Menschenrechten?"

Ich merke, wie sie in meinem Gesicht nach einem Anflug von Leichtigkeit sucht, der aber nicht da ist.

"Zu Menschenrechten?"

"Ja."

Kurz schmunzelt sie über meinen eindringlichen Blick, zieht dann aber argwöhnisch die Brauen zusammen. "Ich finde sie gut."

Gut. Meine Stimme ist leise. "Ich wurde entführt und werde seit Längerem in dieser Basis gefangen gehalten."

Lunas Blick verfinstert sich. Nun ist sie diejenige, auf deren Stirn sich Sorgenfalten bilden.

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Sorry, dass so lange kein neues Kapitel kam :/ Ab jetzt wieder jede Woche, versprochen! Immer her mit Meinungen, Vermutungen, Feedback und Votes!! Und immer schön gespannt bleiben ;)

Deadly People  ✓Where stories live. Discover now