22 - Bauchschmerzen

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Diesen Abend sitzen wir nicht auf der Terrasse, sondern in einem Zimmer, in dem ich vorher noch nie war. Hohe Decke, massiver Holztisch, warmes Licht. Das besondere Setting soll wohl die Feier des Tages hervorheben. Unter anderen Umständen würde ich mich der Behaglichkeit und der Ästhetik des Raumes hingeben, aber der Gedanke, mich allein mit Reyes in den geschlossenen vier Wänden zu befinden, hält mich davon ab.

Obwohl es hervorragend schmeckt, kriege ich kaum etwas von meinem Steak hinunter. Unsere Abmachung von vor einer Woche steht unausgesprochen im Raum und die Ungewissheit bereitet mir scheiß Bauchschmerzen. Ich will diesen Abend einfach nur noch hinter mich bringen, diesen Ort verlassen und meine Hoffnung aufrecht erhalten, Reyes' kaltes Gesicht, das mich gerade voller Ruhe betrachtet, nie mehr wiedersehen zu müssen. Ich nehme einen großen Schluck der sündhaft teuren roten Flüssigkeit und stelle das Glas ein wenig zu laut wieder auf dem Tisch ab.

Reyes zieht eine Augenbraue nach oben. "Unfassbar, dass ich meinen Wein an dich verschwende."

Ich werfe ihm einen argwöhnischen Blick zu. "Ja, das ist wirklich unfassbar."

Er schwenkt die Flüssigkeit in seinem Glas. "Es gehört wohl einfach zum Dinner dazu, auch wenn der Gast kein Kenner ist. Eine obligatorische Sache des Anstands sozusagen."

Mit jeder weiteren Sekunde der Unsicherheit krampft sich mein Magen noch enger zusammen. Obwohl ich Geplänkel hasse, mache ich weiter, um mich von meiner Angst abzulenken. "Wie viel kostet denn diese Sache des Anstands?" Diese Frage tut er mit einer gönnerhaften Geste ab.

"Wie viel auch immer es ist, ich bin nicht in der Lage, mich über irgendwelche Preise zu beschweren."

"Dann ist ja gut.", murmle ich sarkastisch, während ich meine leicht zitternden Hände unter der Tischplatte verstecke.

Er mustert mich. "Deine Anspannung ist völlig fehl am Platz, Ally.", erklärt er in einem beruhigenden Tonfall. "Das hier ist nur ein harmloses Abendessen mit deinem Arbeitgeber. Es gibt keinen Grund, so nervös zu sein."

Ich starre ihn an und versuche vergebens, das Zähneknirschen in den Griff zu kriegen. "Dann solltest du es vielleicht persönlich nehmen."

Die Sekunden, in denen er nichts sagt, sind noch viel furchtbarer als jene, die er endlich wieder mit Worten füllt. "So langsam tu ich das auch." Seine grauen Augen funkeln. "Entschuldige, was die Evaluation angeht. Möglicherweise habe ich dich heute Abend ein wenig zu lange auf die Folter gespannt." Bei der Erwähnung von Folter zucke ich unwillkürlich zusammen, was ihn zum Schmunzeln bringt und mich zur Verzweiflung.

Verflucht, er schweigt mit Absicht. Jede Sekunde des Bangens treibt mich in den Wahnsinn. Wie fällt denn nun seine verfluchte Bewertung aus?! Ich habe doch alles gemacht, was sie wollten und er weiß, das bedeutet, dass ich fertig bin mit dieser Hölle ... Lieber Gott, bitte erlöse mich endlich!

Die Erlösung folgt, nachdem sich Reyes ein wenig zurückgelehnt hat. Seine Miene ist freundlich. "Du hast dich gut angestellt. Eigentlich ist das alles, was ich dazu zu sagen habe. Das wäre bereits das Ende der Leistungsbeurteilung. Du hast deinen Part zur Entschlüsselung zufriedenstellend erledigt." Ein Stein fällt mir vom Herzen. Ich atme erleichtert aus. Es ist überstanden. Scheiße nochmal, es ist endlich überstanden ...

"Danke, Sir.", murmle ich noch immer angespannt, was ihn die Augen verdrehen lässt.

"Mein Gott, du kannst nun endlich damit aufhören, mit den Zähnen zu knirschen." Ich versuche es und diesmal gelingt es. Ich sollte keinen Grund mehr haben, mich verrückt zu machen. Ich sollte keinen Grund mehr haben, an meiner Zukunft zu zweifeln. Eigentlich sollte ich mich mit einem Lächeln bei dem Syndikatsboss einschleimen und meine Erwartungen damit besiegeln. Das gelingt mir zwar nicht, aber dafür hören meine Hände auf zu zittern. Meine Stimme klingt wieder ein wenig fester. "Wann werde ich zurückgebracht?"

In gespielter Verwirrung zieht er die Augenbrauen zusammen. "Zurück?" Eine Frage, die kalten Schweiß auf meinem Rückgrat produziert.

Trotz meiner Nervosität bleibt meine Stimme fest. "In die Innenstadt. Zurück."

Reyes schwenkt sein Glas erneut und seufzt leise. Aber seine entspannte Fassade bleibt unverändert. "Ich fürchte, daraus wird nichts."

Ich zwinge mich dazu, ruhig zu bleiben. Ich muss Ruhe bewahren, sonst ist alles verloren. "Wir ..." Kurz halte ich inne und spreche dann weiter. "Wir hatten eine Abmachung."

Reyes hält meinem Blick stand. "Ja, die hatten wir."

Ich hasse ihn. Und ich hasse mich selbst noch mehr wegen meiner verfluchten Hoffnung. Ich unterdrücke die Tränen der Wut, die in mir aufsteigen. "Warum lässt du mich nicht gehen?", zische ich hasserfüllt.

Nun beugt er sich zu mir vor. Langsam. Sein kühler Blick bringt mich beinahe um. Zum ersten Mal an diesem Abend bildet sich ein leichtes, vollkommen ehrliches Lächeln auf seinen Lippen. Lachfalten um seine Mund- und Augenpartien. Seine leise, amüsierte Stimme bereitet mir Übelkeit. "Warum sollte ich?"

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Immer her mit Meinungen, Vermutungen, Feedback und Votes!! Und immer schön gespannt bleiben ;)



Deadly People  ✓Where stories live. Discover now