37 - Blumen

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Ich schlendere durch die Gänge und versuche, meine Planlosigkeit durch neue Zielsetzungen zu vertreiben. Verstecken wird nichts bringen, aber es kann nicht schaden, das Anwesen besser kennenzulernen, solange ich noch die Möglichkeit dazu habe. Vor mir führt eine Treppe ins Untergeschoss und bei den Erinnerungen an den Folterkeller wird mir unweigerlich übel. Trotzdem nehme ich die Stufen nach unten. Denn dort kenne ich mich bis jetzt am wenigsten aus.

Graue Wände, Lüftungsschächte, Spinnweben, spärliche Beleuchtung. So ein Schacht wäre gar kein schlechtes Versteck für ein Handy ... Andererseits hab ich ja gar keine Ahnung, ob Luna überhaupt wiederkommen wird. Nur, wenn ihre Dienste nochmal erwünscht sind. Selbst wenn sie wiederkommt, wer sagt, dass ich dann immer noch hier herumspazieren darf? Vielleicht bin ich dann wieder in meiner Kammer eingesperrt. Oder tot.

Der Gang nimmt eine Abzweigung. Ich bin so auf die Lüftungsschächte fokussiert, dass ich die Schritte erst wahrnehme, als sie schon eine Gestalt in Sichtweite offenbaren. Scheiße. Es ist Juan. Er sieht irgendwie nervös aus. Als er nur noch ein paar Meter von mir entfernt ist, merke ich, dass er gar nicht vorhat, mich zu beachten. Ausdruckslos gehe ich an ihm vorbei auf den Lift am Ende des Ganges zu. Ich betätige den Knopf und die Aufzugtüren zwischen mir und dem suspekten Kerl schließen sich. Erleichtert atme ich aus. Was war das denn ... Immerhin hat er nichts weiter gesagt. Nur etwas dümmlich geguckt. Wie auch immer.

Ich erkunde das Gelände, bis es dunkel wird. Was Besseres als die Lüftungsschächte scheint nicht in Aussicht. Meine Lungen ziehen sich schmerzvoll zusammen, während ich versuche, die Enge in meinem Brustkorb zu vertreiben. Dieser Ort macht mich krank. Ich bin eine Blattlaus unter Wespen. Ständig ihrem tödlichen Summen ausgesetzt. Tödliche Blicke, tödliche Worte, tödliche Pläne. Jede Sekunde verbringe ich in der Erwartung, dass sie mich fressen werden.

Als ich mich in den Garten auf eine niedrige, dekorative Steinmauer niederlasse, versetze ich mich in die Illusion eines Feierabends. Nur meine beklemmende Angst passt nicht so recht in diese Illusion hinein. Die Sonne geht unter und ich betrachte das Blumenbeet. Blumen unter Killern. Seltsam. Die Wespen kaschieren ihre Stachel mit Blümchen. Nein, nicht kaschieren. Verzieren. Hübsche Blüten. Sie erinnern mich an die aus Duartes Hotellobby, die stets in pompösen Vasen präsentiert wurden.

Mehr als einmal hat Valeria die Dahlien mitgehen lassen, weil sie ihr so gut gefielen. Rosa und zartlila. Elegante Kugeln, deren dichte Blütenblätter nach außen hin blasser wurden. Nicht ihr einziges Diebesgut. Da waren noch die diversen Shampoofläschchen und die kleinen Schokoladentafeln. Immer dieser Moment, wenn sie sich unbeobachtet fühlte, dann mich entdeckte und verschmitzt grinste. Oh Gott, ich vermisse sie so sehr ... Ich frage mich, wer nach Duartes Tod seinen Platz als Hotelbesitzer einnimmt. Egal wer es sein wird, Valerias neuer Chef ist ganz sicher erträglicher als der alte.

"Wenn du darüber nachdenkst, nochmal zu fliehen, vergiss es lieber gleich wieder." Zucke zusammen. Drehe mich zu der bekannten Stimme um und atme erleichtert aus, als ich Paco sehe. Obwohl mir noch sehr gut in Erinnerung ist, wie er meinen Kopf in die Kälte einer rostigen Wanne versenkt hat, kann ich nicht anders als mich zu entspannen, unter den Wespen scheint er irgendwie noch das kleinste Übel zu sein.

"Warum eigentlich nicht?", frage ich erschöpft und sehe in seine unergründlichen Augen.

"Na, weil ich keine Lust habe, deine Überreste vom teuren Rasen zu entfernen."

Ich starre Richtung Stromzaun und fühle mich elend. "Ich bin doch sowieso schon so gut wie tot, wenn Reyes mich nicht mehr gebrauchen kann. Dann kann ich es genauso gut nochmal über die Mauer versuchen."

Ein Lächeln wandert auf Pacos sonst so düsteres Gesicht und ich beschließe, dass er doch nicht das kleinste Übel ist. Er ist genauso übel wie die anderen. Scheiß Sadist. Aber als er dann weiterredet, höre ich auf, sein Lächeln zu hassen.

"Reyes hat nichts dagegen, wenn du bei der Entschlüsselung der neuen Briefe mitmachst."

Der eiserne Griff, der zuvor noch meine Lungen zerquetschte, lockert sich endlich. Die Briefe, die Juan bei seiner Auskundschaftsmission in Francos Basis gefunden hat. Um die zu übersetzen, bräuchten sie mich eigentlich gar nicht mehr. Trotzdem darf ich vorerst am Leben bleiben. Ohne meinen bewussten Entschluss zu sprechen, wandert ein gehauchtes "Danke" über meine Lippen. Scheiße nochmal, ich weiß mein verfluchtes Glück im Unglück wirklich zu schätzen.

Paco kann darauf nur mit einem unbeholfenen Schnauben und ironischem Unterton antworten. "Gern geschehen." Er seufzt leise. "Hast du vor, die ganze Nacht hier zu hocken?"

"Ja. Vorzugsweise allein."

In einer defensiven Geste hebt er die Hände. "Ich hatte nicht vor, deine Einsamkeit zu stören. Soll ich dir ein Navi hierlassen, falls du wieder nicht zurückfindest?"

Wider Willen verzieht sich einer meiner Mundwinkel nach oben. "Diese Fürsorge ist rührend. Aber auch überflüssig. Ich kenne den Weg inzwischen."

"Dann ist ja gut."

Ich höre, wie sich seine Schritte entfernen und lasse ein langes Seufzen aus meiner Brust entweichen. Die Dämmerung lässt die eleganten Dahlien langsam verblassen.

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Immer her mit Meinungen, Vermutungen, Feedback und Votes!! Und immer schön gespannt bleiben ;)

Deadly People  ✓Where stories live. Discover now