45 - Schlangen

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Mein neues Zimmer ist groß. Voller warmer Farben. Gemütlich eingerichtet. Und das angrenzende Bad samt Miniküche hab ich mir noch gar nicht angesehen. Ich sitze auf einem teuren Sessel und betrachte schon seit einer Ewigkeit das Gemälde an der Wand. Ein düsteres Gebirge mit Schlangen, deren Augen und Schuppen glänzen. Juan hat einen seltsamen Geschmack. Shit. Hatte. Ich knirsche mit den Zähnen. Vielleicht stand er auf diesen Goth-Stil. Oder er mochte einfach Schlangen. Ich schüttle mit dem Kopf. Ist doch scheißegal. Er ist tot, verdammte Scheiße. In den Augen der anderen ist er eine falsche Schlange, die beinahe das Unternehmen gefährdet hätte. Vorhersehbar, dass er dafür um die Ecke gebracht wird. Ich fahre mir durch die Haare und versuche so, meine unnützen Gedanken zu vertreiben. Mit ein paar unruhigen Schritten durchquere ich das Zimmer. Der Raum ist nicht schlecht. Auf jeden Fall ein Upgrade. Ich wünschte, ich könnte mich darüber freuen.

Von draußen höre ich heitere Stimmen und gebrüllte Anweisungen. Ich beuge mich aus dem großen Fenster und beobachte die Wespen. Sie rüsten sich aus, steigen in ihre dunklen Autos und knallen Türen zu. Die meisten mit einem Lächeln auf dem Gesicht. So wie ihr Boss. Reyes schließt den letzten Kofferraum und ruft irgendwas, das wohl motivierend sein soll. Als sie wegfahren und der Hof sich leert, schließe ich das Fenster wieder und lasse mich mit einem Seufzen auf den Sessel fallen.

Ein paar schmerzhafte Herzschläge lang weiß ich nicht, was ich nun tun soll. An was ich denken soll. Dann plötzlich spüre ich dieses Gefühl. Dieses Gefühl in meiner Brust, das mich die letzte Zeit verlassen hat und nun unangekündigt wieder aufgetaucht ist. Ein pulsierendes, hoffnungsvolles Gefühl.

Ich atme tief durch. Schwinge meine Beine auf den Sessel und nehme einen Schneidersitz ein. Unterdrücke das Zähneknirschen. Schließe die Augen. Falte die Hände und ignoriere die Tatsache, dass sich das echt seltsam anfühlt.

"Hi, Gott.", murmele ich. "Ich bin zwar atheistisch, aber ich probiere das jetzt trotzdem mal aus. Notgedrungen." Ich atme durch. Bin beinahe aufgeregt, dieser mysteriösen höheren Instanz mein Anliegen vorzubringen. "Da sind diese gottlosen Kreaturen. Der mit den grauen Augen ist der schlimmste. Sie befinden sich gleich im Schussfeuer. Und ..." Mein Lachen klingt gequält. "Wie auch immer, das weißt du ja alles schon. Ich wollte dich um eine Sache bitten." Meine Stimme wird dringlicher. Die Hoffnung wärmt mich. "Bitte lass sie verrecken." Ich halte kurz inne und nicke dann, um meine Worte zu bekräftigen. "Steh ihnen nicht bei. Lass sie draufgehen. Oder ..." Ich zögere, dann rede ich weiter. "Zumindest Nathanael Reyes. Wenn der Bastard tot ist, kann ich es hier raus schaffen. Das weiß ich." Langsam breitet sich Ruhe in mir aus. Der Schmerz in meiner Brust verschwindet. Ich fühle mich besser. Schließe mein Gebet mit neuer Kraft ab. "Bitte. Amen."

Ich hab keine Ahnung, ob Minuten oder Stunden vergehen. Hätte ich die Sonne besser im Auge behalten, wüsste ich es jetzt vielleicht. Wie auch immer, das Warten zieht sich in die Unendlichkeit. Es ist eine Folter. Mein Zähneknirschen hat wieder angefangen. Von meiner inneren Ruhe ist nichts mehr übrig. Wann zur Hölle kommen die Arschlöcher wieder?! Oder ist es ein gutes Zeichen, dass sie nicht zurückkommen?! Wer weiß, vielleicht sind sie schon draufgegangen. Allesamt. Die Vorstellung tut gut. Bringt mich aber nicht weiter. Nach einem ergebnislosen Rundgang durch die Basis musste ich feststellen, dass ich weder allein im Haus bin, noch irgendeinen Fluchtvorteil habe.

Um mich von meiner Nervosität abzulenken, erkunde ich Juans Zimmer genauer. Sein Kleiderschrank ist leergeräumt. Ebenso sein Minikühlschrank und sein Schreibtisch. Aber niemand scheint sich die Mühe gemacht zu haben, Juans persönlichen Kram aus der Kommode zu entfernen. Ich lasse mich aufs Parkett sinken und gehe die Sachen durch. Eine vertrocknete Pflanze. Cheetos. Ein Pornomagazin. Kopfhörer. Ein kleines Holzkästchen.

Interessiert nehme ich die Schachtel an mich und versuche, sie zu öffnen. Fuck, der Verschluss scheint zu klemmen. Beim dritten Versuch gelingt es mir. Überrascht ziehe ich eine Braue nach oben. Keine Ahnung, womit ich gerechnet habe, aber damit nicht. Fotos.

Deadly People  ✓Where stories live. Discover now