18 - Zettel

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Die nächsten Stunden versuche ich alles zu notieren, was mir von den gesendeten Briefen noch im Gedächtnis geblieben ist. Mein Magen knurrt. Neben der Kaffeemaschine steht ein Kasten Rührei mit Frijoles. Der Duft ist verführerisch, aber noch habe ich Angst, ich würde das Frühstück vor Anspannung wieder auskotzen.

Ich beobachte den älteren Mann, der gerade begeistert in die Hände klatscht. Soviel ich mitbekommen habe, heißt er Jeremy und ist heute so etwas wie ein externer Mitarbeiter für das Syndikat. Seine Expertise könnte mich nicht weniger interessieren, aber sein Besucherstatus macht mich optimistisch. Er gehört eigentlich gar nicht zu den Mafiosi. Er macht einen harmlosen Eindruck. Er sieht aus wie einer von den Guten. Und gerade kommt er auf mich zu.

"Miss Coleman, Sie müssen mir unbedingt die Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Struktur von Mr Duartes und Mr Francos Briefen beschreiben! Eine solche Analyse könn..." Meine Stimme ist leise und zittert, während sie ihn unterbricht.

"Sir, das kann ich Ihnen erläutern. Könnten Sie sich dafür bitte kurz neben mich setzen?"

Er registriert meinen flehenden Blick mit einem gutmütigen Lächeln. "Aber natürlich, kein Problem!"

Ich tue so, als würde ich in meinen Notizen nach etwas suchen. "Ich habe hier eine Sache, bei der Sie mir hoffentlich helfen können ... Es ist nicht so einfach."

Sein Tonfall ist aufmunternd. "Was auch immer es ist, es lässt sich ganz sicher lösen."

Ich erlaube mir einen hoffnungsvollen Blick in seine Richtung. "Meinen Sie?"

Sein offenherziges Gesicht, die ruhige Stimme und die Falten verleihen ihm eine väterliche Aura, die mich beruhigt. "Ganz sicher."

Ich blättere noch immer und klinge aufgekratzt. "Ich hab's gleich."

"Keine Eile, hetzen Sie sich nicht, junge Dame."

Ich lächele verkniffen und schiebe den Zettel unauffällig zu ihm. "Das hier ist der schwierigste Teil meiner bisherigen Analyse. Ich hoffe, Sie können mir helfen."

Sein Blick, der auf den Zettel vor ihm fällt, verdüstert sich. Die blassen Worte sind mit Bleistift geschrieben, damit ich sie danach wieder wegradieren kann.

Ich werde hier gefangen gehalten. Sie haben mich entführt und gefoltert. Bitte helfen Sie mir! Benachrichtigen Sie die Polizei, dass sich Allison Coleman in der Basis des Syndikats befindet!

Jeremys Augenbrauen ziehen sich zusammen. Er sagt nichts und ich fasse neuen Mut. "Können Sie mir helfen, was die Konsonanten angeht?"

Endlich sieht er wieder zu mir und seine Züge entspannen sich. "Die Gemeinsamkeiten und Unterschiede."

Ich schüttle verständnislos mit dem Kopf. "Was?"

Er schiebt meinen Zettel weg und lächelt. "Es geht mir um die Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Struktur von Mr Duartes und Mr Francos Briefen. Der Rest interessiert mich nicht." Mein Herz fällt in sich zusammen. Meine Stimme versagt kurz ihren Dienst. Geistesgegenwärtig blinzle ich die aufkommenden Tränen der Verzweiflung weg und schiebe den Zettel unter den Blätterstapel. "Dafür brauche ich noch einen Moment.", murmele ich.

Er nickt. "Dann besprechen wir das nachher."

Als er wieder geht, nehme ich mir den Radiergummi und reibe wie verrückt über den Zettel. Verteile noch mehr Gekrakel über dem gelöschten Hilferuf, nur um sicherzugehen. Gut möglich, dass das völlig umsonst ist. Er petzt, dass ich ne Snitch bin und als Nächstes sind die Fingernägel dran ... Nun nehme ich mir doch noch was von dem Frühstück und schlinge es hinunter. Verzweiflung auf leeren Magen ist nicht zu ertragen. Frustriert arbeite ich weiter.

Inzwischen ist es fast Mittag. Stimmen vermischen sich mit dem Rattern des Kopierers und der Kaffeemaschine. Irgendwo in diesem Gewirr höre ich die Türklinke.

"Guten Morgen." Eine bekannte dunkle Stimme. Reyes.

Der kaltherzige Experte begrüßt ihn überschwänglich. "Sir, es ist mir eine Ehre, Sie einmal persönlich zu treffen!" Scheiße. Tatsächlich ein Fan.

Reyes scheint aber interessierter an der Kaffeemaschine als an seinem Bewunderer zu sein und betätigt einen Knopf.

Den anderen stört es nicht, ignoriert zu werden. "Ich habe schon so viel von Ihnen gehört!"

"Hoffentlich nichts Gutes."

"Natürlich nicht! Es freut mich so sehr, hier sein zu dürfen!" Er reicht ihm die Hand. "Jeremy Medina. Gesellschafter, langjähriger Bewunderer Ihrer Arbeit und effizienter Diplom-Linguist, Spezialgebiet IT-Sprache und Kryptologie, hocherfreut!" Reyes nickt gelangweilt.

"Nathanael Reyes. Waffen und Pillen." Er lässt die Hand des anderen los, wischt sie ungeniert an seiner Hose ab und wendet sich wieder der Kaffeemaschine zu. "Schön, dass Sie uns bei den Briefen helfen können, Mr Medina."

"Bitte nennen Sie mich doch Jeremy! Ich möchte noch einmal betonen, was für eine Ehre es für mich ist, hier sein zu dürfen, ein so faszinierender Ort, den nur die Wenigsten mal zu Gesicht bekommen! Die Anreise war auch nicht so schlimm, wie ich es mir vorgestellt habe. Ich meine, die Durchfilzung und der Sack überm Kopf mögen für andere vielleicht entwürdigend sein, aber ich sehe das ganz anders, ich sehe das als Privileg!"

Ohne seinen Fan weiter zu beachten, wendet sich Reyes an Paco. "Und? Wie läuft's?"

"Es geht voran. Die Infos über Duartes gesendeten Briefe bringen neuen Wind in die Sache."

"Das höre ich gerne." Reyes dreht sich mit einem Lächeln zu mir. "Nur weiter so, Ally."

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Immer her mit Meinungen, Vermutungen, Feedback und Votes!! Und immer schön gespannt bleiben ;)

Deadly People  ✓Where stories live. Discover now