42 - Herzschläge

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Ich sitze auf dem Fensterbrett und verbringe meine Zeit damit, tatenlos zu warten. Fast schon meditativ. Der Gedanke, Luna wiederzusehen, beruhigt mich. Einzig und allein das Echo des geschäftigen Treibens stört meine Trance. Diese Ecke der Basis ist sonst eher verlassen, aber heute Abend sind die Angriffsvorbereitungen der Wespen nirgendwo zu überhören. Es kommt immer mal wieder jemand Unverhofftes vorbei, was mir überhaupt nicht gefällt.

Endlich höre ich das rhythmische Klacken von Absätzen und atme langsam aus. Meine Doppelgängerin tritt ans Fensterbrett und streicht sich eine braune Strähne aus dem Gesicht.

"Wurden deine Dienste also doch noch erwünscht.", stelle ich zufrieden fest.

Luna's Augen funkeln. "Das hatte bestimmt einen Grund, oder?"

Ich zucke mit den Schultern. "Ne Schussverletzung."

Die Escort zieht eine Braue nach oben. "Okay. Ein etwas speziellerer Fetisch also."

Ein winziges Lächeln huscht über meine Lippen und verschwindet gleich darauf wieder, als ich ferne Schritte aus dem Gang höre. "Shit."

Hastig holt Luna etwas aus ihrer kleinen Handtasche und reicht es mir. Etwas, das in eine helle Serviette eingeschlagen ist. "Ein einfaches Wegwerf-Handy. Wie gesagt ... keine SIM-Karte." Einen Versuch ist es trotzdem wert.

Meine Stimme ist leise. Und hoffnungsvoll. "Danke."

"Ich wünschte, ich könnte mehr tun."

Ich schüttle den Kopf und sehe mich um. Ein Glück. Fehlalarm. Die Schritte entfernen sich wieder. "Wird jemandem auffallen, dass du's bei der Rückfahrt nicht mehr bei dir hast?"

"Keine Ahnung. Scheiß drauf. Ich sag, ich hätte es verloren oder so."

"Danke nochmal."

"Pass auf, dass du es gut versteckt hältst!" Ich denke an die Lüftungsschächte im Keller. "Viel Glü..."

Diesmal hören wir Schritte und Stimmen aus der anderen Richtung. Nah. Luna nickt zum Abschied und verschwindet. Elegant und selbstsicher, genau wie bei unserer ersten Begegnung. Es war dieser Blick, den sie mir zugeworfen hat, der mich nun zuversichtlich macht. Diese resistente Energie, die uns beide verbindet. Ein paar Typen kommen vorbei und ich wische mir den Optimismus aus dem Gesicht, um keinen Verdacht zu erregen.

Ich bleibe noch eine Weile sitzen. Der Sonnenuntergang taucht meinen Posten in ein warmes Licht. Ich versuche, meine Vorfreude zu zügeln, aber so richtig gelingt es mir nicht. Das ist meine Chance. Eine unfassbare Chance. Ich kann es kaum erwarten, bis sich das Treiben beruhigt hat und ich sie ergreifen kann.

Zurück in meiner Kammer hole ich das kleine Mobiltelefon aus meiner Hosentasche. Ich lasse mich im Schneidersitz auf die alte Matratze nieder und warte. Ich warte sehnsüchtig darauf, dass die Schritte und Stimmen aus dem Gang verstummen.

Es dauert.

Lang genug, um all meine Zweifel und Hoffnungen an die Oberfläche meines Bewusstseins zu zerren. Die Nervosität macht mich kaputt.

Endlich ist es ruhig. Ich hole das Handy von unter der Matratze hervor und bete, dass der Einschaltton nicht laut genug ist, um die Wespen aufzuschrecken. Meine Gebete wurden erhört und ich schaue auf die oberste Leiste. Zittere leicht.

Netz.

Es könnte klappen. Scheiße, es könnte wirklich klappen! Wenn der Notruf gelingt, was auch ohne Karte durchaus möglich sein könnte, wird die Polizei ganz bestimmt das Syndikat orten. Und mein Gefängnis dem verfluchten Erdboden gleich machen!

Ich wähle. Halte inne. Warte.

Sehnsüchtig.

Erstarre und sinke in mich zusammen. Sinke aufs Kissen. Spüre, wie meine Tränen das Kissen wässern. Kein Anruf möglich. Nicht einmal der verdammte Notruf ... Mit schwachen Fingern schiebe ich das Handy unter die Matratze und erinnere mich an Lunas Worte. Es an einem sicheren Ort verstecken oder so ähnlich. Tja, der Fußboden meiner Kammer ist ganz bestimmt kein sicherer Ort. Aber das ist mir im Moment egal. Sie könnten es entdecken und mich zur Strafe foltern. Es ist alles egal. Ich habe nicht die Energie, aufzustehen und es wegzubringen. Und was, wenn sie mich töten? Ich glaub, ich hab nichts mehr dagegen. Sollen sie doch. Ich werde niemals aus dieser scheiß Hölle rauskommen ...

Ich denke an Pacos tote Augen. Meine Tränen fließen inzwischen völlig ungezügelt. Ich denke an Valerias lebendige Augen. Und wie wir unsere Feierabende mit billigem Rotwein und spanischer Musik auf dem Dach unserer Mietskaserne ausklingen lassen haben. Sie hat mich mit ihrer Bessenheit von Lauren Jauregui angesteckt. Die zweitheißeste Latina der Welt, gleich hinter Valeria. Ich versetze mich zurück an diese lauen Sommerabende, die schon eine Ewigkeit her zu sein scheinen. Fast wie ein anderes Leben. Als sich unsere Herzschläge dem Takt der Musik anpassten. Wir fühlten uns frei, so als gäbe es nichts anderes als uns zwei in dieser kaputten Welt.

Und jetzt bin ich allein. Für immer allein in dieser kaputten Welt.

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Immer her mit Meinungen, Vermutungen, Feedback und Votes!! Und immer schön gespannt bleiben ;)

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