4 - Schüsse

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Der Abend scheint nicht enden zu wollen. Meine Glieder sind schwer und meine Augen schläfrig. Nur noch eine halbe Stunde, bis meine Schicht endlich vorbei ist. Ich schlürfe zur Küche und stelle zufrieden fest, dass sie menschenleer ist. Ein paar der wahnsinnig ästhetischen Lachshappen sollten hier noch irgendwo aufzufinden sein ... Ich will mich gerade auf die Suche machen, als mich ein lautes Geräusch zusammenzucken lässt. Ich brauche eine Sekunde, um zu realisieren, was meinen Gliedern gerade einen elektrischen Schlag verabreicht hat und ich wünschte so sehr wie nie zuvor in meinem Leben, dass es nur ein zerschellendes Glas gewesen wäre.

Schüsse. Im Saal.

Mein Atem geht flach und ich befreie mich aus meiner Starre. Fuck! Was tun? Was zur Hölle ist los?! Als ich auf den Flur trete, höre ich verschwommen die panischen Schreie der Massen. Ist Valeria noch dort drinnen? Meine Vernunft ohrfeigt mich kräftig, als ich mich Richtung Saal bewege, aber ich kann nicht anders. Die Schreie werden lauter je näher ich komme, durch das Bullauge der breiten Tür sehe ich die Menschen, die von mir weg Richtung Ausgang flüchten. Und ich sehe die Rücken der maskierten Angreifer, die mir den rettenden Ausgang versperren. Sie heben ihre Maschingewehre und feuern eine zweite Salve Schüsse in die flüchtende Menschentraube.

Meine Glieder sacken beinahe in sich zusammen und dann erinnert sich mein aufgeheizter Körper an das singuläre Ziel meiner Existenz. Am Leben bleiben, verflucht nochmal! Ich laufe zurück in den Flur, wische mir den Angstschweiß von der Stirn und sprinte Richtung Treppenhaus, wo ich es zum nächsten Notausgang schaffen kann. Bereits nach wenigen Sekunden fangen meine lahmen Lungen an zu brennen. Ich habe mein Ziel fast erreicht, da höre ich von hinter einer Ecke schwere Schritte direkt in meine Richtung laufen. Scheiße! Fucking Alligatorenscheiße! Mein ganzer Körper zittert und alles in mir zieht mich hin zum rettenden Ausgang. Wer sagt, dass die Schritte feindlich sind?

Eine unendlich lange Schreckenssekunde hadere ich mit mir, bevor ich meiner Intuition vertraue, mich umdrehe und zurücklaufe. Der verschwommene amüsierte Klang jener Stimmen, die zu den fernen Schritten gehören, lässt mich erkennen, dass ich die richtige Entscheidung getroffen habe! Aber wohin jetzt, verflucht nochmal?! Wieder höre ich Schüsse, werde beinahe verrückt vor Panik und kann mich von hier aus, eingekesselt, nur noch zurück zu dem Ort retten, von dem ich gekommen bin ... Zurück in die Küche.

Schlotternd verzieh ich mich in die hinterste Ecke zwischen zwei Schränken, ein Versteck, das man wenigstens vom Eingang aus nicht im Visier hat. Als mir meine Vernunft schon wieder eine deftige Ohrfeige geben will, diesmal wegen dem notdürftigen, schlechten Versteck, verkündet mir mein Körper, dieser scheiß Verräter, dass ich meine Beine nicht mehr spüren noch rühren kann. Scheiße. Fehlt nur noch, dass ich mir einpisse.

Eingekauert presse ich meine eiskalte, nasse Hand aufs Herz, versuche, meine Atmung endlich wieder unter Kontrolle zu bringen. Die Stimmen, Schritte und Schüsse sind noch immer verschwommen, scheinen nicht näher zu kommen. Ich hole mein Handy aus der Rocktasche und gerade als ich überlegen will, wen zur Hölle ich anrufen soll, wird mir die Entscheidung abgenommen.

Kein Netz.

Noch bevor ich eine einsame Träne der Verzweiflung vergießen kann, höre ich die Schritte samt Stimmen näher kommen und ich presse meinen Handrücken vor den Mund bis es schmerzt. Als die Tür zur Küche aufschwingt, akzeptiere ich mein Todesurteil bereits innerlich und setze all meine Hoffnungen auf eine schmerzlose Exekution. Das Gewirr an Stimmen ordnet sich.

"Schwitzt irgendwer genauso sehr wie ich? Ist dieses scheiß Hotel ein Backofen oder geht's nur mir so?" Ich höre, wie er sich von seiner Maskierung befreit und als er sie auf die Ablage gleiten lässt, kann ich sie erkennen. Eine schwarze Vendettamaske. Nicht besonders originell.

"Es geht nur dir so, Juan.", meint eine andere Stimme und ich höre das Geräusch einer weiteren abfallenden Maske, gefolgt von dem Klicken eines Feuerzeugs. Ich schließe verzweifelt die Augen und in Gedanken sehe ich den schwitzenden Juan vor mir, wie er sich eine Zigarette anzündet, durch den Raum schlendert und grinsend vor mir stehen bleibt. Eine andere raue Stimme löst sich aus dem Gewirr.

"Was ist mit diesen Lachshäppchen? Meint ihr, die haben hier noch ein paar davon übrig?"

"Hast du dir deshalb die scheiß Küche ausgesucht, Fresssack?"

"Halt die Klappe und sag mir lieber, wo die zweite Ladung Munition ist." Kurz zögert er. "Alternativ geht auch eine Auskunft über den Lachs." Das Geplänkel verstummt, als die Tür erneut aufgerissen wird und ein weiteres Paar Schritte den Raum betritt. Eine dunkle Stimme.

"Die zweite Etage ist nur mit einem Mann besetzt, was wird das hier, mitternächtliches Kaffeekränzchen?" Diese Stimme kommt mir bekannt vor.

"Ich gehe schon, Boss!", folgt die Antwort eines pflichtbewussten, enthusiastischen Lakaien.

"Was ist mit Duarte?"

"Der hat sich von einem Dutzend Bodyguards in Sicherheit bringen lassen."

Ein genervtes Aufstöhnen der dunklen Stimme. "Und deshalb glaubt ihr, hier Pause machen zu können?"

"Nein, natürlich nicht!", meint der Lachshungrige. "Nur eine kurze Lagebesprechung nachdem wir uns seinen Kram holen konnten." Stille. Schritte. Dann das Rascheln von Papier.

"Na schön. Ordnet das Zeug hier, bevor ihr es wieder zusammenräumt." Ich habe mich nicht geirrt. Ich kenne diese Stimme. Und zwar erst seit kurzem.

Reyes.

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