45 - Schlangen

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Ich knirsche mit den Zähnen. Anscheinend Fotos seiner Familie. Langsam gehe ich den Stapel durch. Eine alte Frau mit müdem Gesicht und einem Brotteig in den Händen. Vielleicht seine Mutter. Eine junge Frau mit dunkelroten Lippen und breitem Lächeln vor einer Yuccapalme. Vielleicht seine Frau. Juan mit einem kleinen Jungen hinter einer Spielzeugeisenbahn. Die Ähnlichkeit. Bestimmt sein Sohn. Ich muss schlucken. Dieses Kind mit den dunklen Haaren und dem verschmitzten Lächeln wird es von nun an sehr schwer haben. Und irgendwie bin ich schuld daran. Mein Herz sinkt in meinen Magen und tut verdammt weh. Während ich den Stapel Fotos vorsichtig wieder zurücklege, kreisen meine Gedanken. Juan gehörte zu den skrupellosen Schweinen des Syndikats. Die Welt kann sich glücklich schätzen, einen Mörder weniger beherbergen zu müssen. Aber dieser kleine Junge hat einen Vater verloren.

Ich schüttle mit dem Kopf. Ärgere mich über mich selbst. Schließe das Kästchen und stelle es zurück in die Kommode. Was zum Teufel juckt es mich?! Sollen doch alle Killerkinder dieser Welt ihre Eltern verlieren, das sollte mir eigentlich recht sein ... Ich seufze und atme durch. Zucke zusammen.

Das Geräusch ferner Motoren. Ich gehe ans Fenster und warte. Einige Wagen nähern sich. Das Tor schließt sich wieder, als die Autos auf dem Hof parken. Türen öffnen sich. Überall erschöpfte und lächelnde Gesichter. Und eines, das die neu aufgekeimte Hoffnung in mir wieder ersticken lässt. Reyes. Auch er lächelt und nickt den Anderen kameradschaftlich zu. Ich sinke in mich zusammen. Fühle mich elend. Will am liebsten nie wieder aufstehen.

Ein Haufen Mafiosi hat sich vor dem großen Eingang versammelt. Wäre ich nicht so verflucht neugierig gewesen, wäre ich im Zimmer geblieben. Nun komme ich zwar auf den neuesten Stand, fühle mich aber noch schlechter als vorher. Meine Kopfschmerzen bringen mich um. Ich hocke etwas abseits auf der Treppe und entwirre die Stimmen der Scheißgesichter.

"Lasst euch nicht alles aus der Nase ziehen! Wie viele?"

"Einige. Francos hässliche Garage könnte man nun mit Leichen pflastern."

Eine Andere mischt sich dazu. "Ich an deiner Stelle würde nicht wie ein Großmaul reden."

"Was? Wieso nicht?"

Sie richtet sich an den Ahnungslosen. "Na, rate mal, wen wir nicht erwischen konnten."

"Scheiße, Franco lebt noch?"

"Jup."

"Fuck."

Alles in allem schien der Gegenangriff trotzdem erfolgreich. Franco konnte zwar nicht getötet, aber eingeschüchtert werden. Angeblich ist er als Marionette nützlicher als tot. Und auf der Seite des Syndikats gab es kaum Verluste. Ich lehne mich niedergeschlagen gegen die kalte Wand und überlege, ob ich mich wieder verziehen soll. Jedes Wort dieser Menschen macht mich krank. Und gerade betritt das Subjekt meines bittersten Hasses den Gang.

"Das war ein verdammt guter Tag, meine Freunde!" Reyes schlendert durch die Menge seiner Untertanen. Auf seinem Oberteil sind blutige Spritzer. Leider scheint es nicht sein eigenes Blut zu sein. Er schnappt sich die Zigarette eines anderen Typen und nimmt einen Zug. "Verdammt gut!"

Ach Fuck. Wenn ich nur auch mal Erfolg mit irgendwas Verschissenem hätte ...

"Anlass zu feiern, oder, Boss?", fragt ein grinsender Riese und erhält eine Gegenfrage.

"Noch genug Alk da?"

"Der Keller ist voll davon."

"Na dann veranstalten wir ein anständiges Besäufnis. Das haben wir uns verdient!" Spontaner Applaus und Gegröle. Ich kann nicht anders und verdrehe die Augen.

Reyes fährt fort. "Der Verräter Juan ist tot. Franco haben wir in der Tasche. Das Syndikat steht wieder an der Spitze. Kein verficktes Schwein kann uns jetzt noch blöd kommen. Also nutzen wir den heutigen Abend und feiern unseren Platz an der Spitze, so lange er noch uns gehört!"

Überschwängliche Jubelschreie. Angewidert beobachte ich das heitere Treiben der anderen von meinem Platz auf der Treppe aus. Reyes lächelt zufrieden. Er nimmt noch einen Zug und stößt den Rauch aus. Sein Blick wandert zu mir. Sein Lächeln wird breiter.

"Coleman", spricht er mich an und nun wandern auch die Blicke der anderen in meine Richtung. "Warum die finstere Miene?" Weil du noch immer am Leben bist, scheiß Bastard. Obwohl ich mich extra zu einem Gebet überwunden habe.

Als ich merke, dass die Frage keine rhetorische war, antworte ich mürrisch. "Migräne."

Reyes nimmt einen weiteren Zug. "Werd sie los. Du feierst heute Abend mit uns." Scheiße, lieber würde ich mich einer Wurzelbehandlung ohne Betäubung unterziehen.

Zu meinem Glück tritt mein unverhoffter neuer Anwalt, Clark, für mich ein. "Was?! Komm schon, Boss, ist das dein Ernst?" Er ist toll. Nicht einmal Reyes' genervter Blick hält ihn davon ab, weiter zu sprechen. "Jeder von uns hat diesen Abend verdient, aber sie?! Was ist mit Francos Pille! Sie hat das einzige scheiß Exemplar, das wir hatten, vernichtet!" Verschlungen. Ja, das hat Spaß gemacht.

Leider scheint Reyes nicht besonders beeindruckt von Clarks Argumentation. "Sie war bei der Entschlüsselung von Nutzen. Sie hat mich geflickt. Und sie hat geholfen, Juan zu enttarnen, also hat sie ihren Teil zum Erfolg des Syndikats beigetragen wie jeder von uns. Sie feiert mit."

Shit. Da mein Anwalt nicht von Hilfe war, muss ich wohl für mich selbst sprechen. "Kein Interesse.", murmele ich.

Reyes' Antwort wird begleitet von einem kalten Lächeln. "Oh, das war keine Bitte."

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Immer her mit Meinungen, Vermutungen, Feedback und Votes!! Und immer schön gespannt bleiben ;)


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