~𝐊𝐚𝐩𝐢𝐭𝐞𝐥 𝟔𝟖~

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MARIAM


Mit meinem weißen Koffer in der Hand stand ich umzingelt von meiner Familie vor der Haustür und müsste eigentlich schon vor fünfzehn Minuten los gefahren sein. Doch es gab ein paar Komplikationen mit meinem Bruder, weshalb ich seit ganzen ungelogenen fünfzehn Minuten hier stand und mit ihm diskutierte.

Es war zwar nicht das erste mal gewesen, dass ich alleine beziehungsweise mit meiner Klasse wegfuhr, doch von seiner Sicht aus schon. Ich konnte es ihm nicht wirklich verübeln, denn er wurde so aufgezogen und kannte es nicht anders, aber er verstand einfach nicht, dass es in Deutschland anders war als in Afghanistan. Hier waren Frauen in Sicherheit. Es gab nichts und niemandem vor dem man sich verstecken oder schützen müsste.

Aber das wollte er nicht verstehen...

Hilfesuchend schaute ich zu Malik, der daraufhin nur hoffnungslos mit seiner Schulter zuckte und mich entschuldigend anblickte. Er konnte leider genauso wenig tun, wie alle anderen hier. Übrigens wohnte Malik selbstverständlicherweise bei uns, auch wenn wir ihm ein eigenes Haus kaufen konnten, wollte er lieber hier bei uns wohnen. Mir machte es nichts aus, eher im Gegenteil, er war sowieso schon immer wie mein Bruder gewesen.

Plötzlich klingelte es ununterbrochen an der Tür, weshalb sich eine riesengroße Erleichterung in mir breit machte, da ich bereits ahnte wer das war. Es konnte nämlich nur eine Person sein. Youssef. Er wollte mich gemeinsam mit Mira, seit ganzen zwanzig Minuten zum Flughafen fahren. Sein Autopuppen hatte leider nicht gereicht, er musste nun auch noch vor die Tür kommen und mich persönlich ins Auto schleifen.

Ich hoffte er würde es tun...

"Mariam, wir sind spät dran. Yallah, wir müssen los!" Ungeduldig schnappte er sich meinen Koffer und wollte diesen zu seinem Auto bringen, doch augenblicklich hielt er in seiner Bewegung inne. Ihm war wahrscheinlich aufgefallen, dass ich nicht den Anschein machte, ihm zu folgen.

"Was ist los? Warum kommst du denn nicht?", hakte er verwirrt nach, ehe er mit gerunzelter Stirn zu meinen Bruder sah, der bereits zu ihm gegangen war, um ihn wahrscheinlich den Koffer abzunehmen. Und sein nächster Satz bestätigte meine Vermutung auch. "She won't go anywhere. (Sie wird nirgendwohin gehen.)"

Youssef hob überrascht seine rechte Augenbraue in die Höhe und schaute mich daraufhin mit einem fragendem Blick an. Flehend blickte ich ihm in die Augen, in der Hoffnung, er würde verstehen und mir helfen, was er, zum Glück auch, tat. 

"Do you think you decide that? Huh? (Denkst du, dass du das zu entscheiden hast?)" Ein ungutes Gefühl machte sich in mir breit, als Youssef meinen Bruder wütend ins Visier nahm und wie immer behielt mein Gefühl Recht. Keine Sekunde später begann mein Bruder Youssef zu packen, ehe beide in eine heftige Diskussion verwickelt waren.

Meine Eltern versuchten meinen Bruder zu beruhigen, doch er war sturer als das Wort Stur selbst, weshalb auch sie nichts dagegen unternehmen konnten. Immer wieder versuchten sie ihn und Youssef auseinanderzuhalten, doch sie scheiterten beide.

Wir mussten bei meinem Bruder Geduld und Verständnis haben, denn er ist erst seit kurzem nach Deutschland, ein ihm fremdes Land, gezogen und muss sich noch an die Kultur, Sprache und alles andere gewöhnen. Das war nicht so einfach, das wusste ich selbst am besten.

Ich konnte mich sowieso nicht entscheiden, ob ich auf Klassenfahrt gehen sollte und eine ganze Woche mit Adriano verbringen sollte oder lieber hier bleiben und dann aber eine ganze Woche mit Ricardo ertragen. Daher ließ ich einfach die beiden für mich entscheiden.

𝐓𝐡𝐞 𝐛𝐞𝐠𝐢𝐧𝐧𝐢𝐧𝐠 𝐨𝐟 𝐚 𝐧𝐞𝐰 𝐬𝐭𝐨𝐫𝐲 Where stories live. Discover now