Silvester 2.0

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Ava

Der Fummel, in den ich mich gezwängt hatte, war viel zu unbequem und ernsthaft feiern zu können. Doch eins musste man mir lassen, ich sah heiß aus in dem silbernen Pailletten Kleid, was knapp über meinem Hintern endete. Es war die perfekte Mischung aus gewagt und doch schick. Diesen Abend würde ich mir nicht nehmen lassen. Selbstbewusst strahlte ich mit der Stadt um die Wette. Überall waren funkelnde Menschen, Apartments und Straßenzüge zu sehen. Trotzdem hatte ich mir schon einige Ausreden parat gelegt, sollte ich die Party schnell verlassen wollen. Mir kam das letzte Jahr in den Sinn. Richard und unser erster Kuss, Scarlett, die mir sagt, dass sie schwanger war und Chris mit Alice an der Hand. Abschüttelnd blinzelte ich die Bilder vor meinem inneren Auge weg. Das würde kein guter Abend werden, das spürte ich. Im Gegensatz zum Vorjahr traf ich alleine ein. Aufgesetzt, begrüßte ich einige bekannte Gesichter, bevor ich zu meiner Gruppe von Vertrauten ging und mich zu ihnen setzte. Yves und Sebastian teilten sich gerade einen gigantischen Cocktail, ich hätte vielleicht nicht selber fahren sollen, dann hätte ich jetzt ebenfalls etwas trinken können. Doch ich hatte mir den Vorsatz gesetzt, kontrollierter zu sein und Alkoholabstinenz zählte hin und wieder dazu. Scarlett war dieses Jahr nicht unter den Feiernden, da sie mit ihrer neuen kleinen Familie zu Hause war, somit fehlte mir eine wichtige Gesprächspartnerin. „Ava, was ist mit dir los? Normalerweise bist du auf der Tanzfläche und hast Spaß." „Mir ist heute nicht so danach." Doch Mackie ließ nicht locker und nahm mich mit auf den Dancefloor. Wie angewurzelt stand ich in der Menge tanzender Menschen und konnte mich kaum bewegen, was an den Massen, aber auch an meinem Kleid lag, was noch immer zu eng war. Mackie packte mal wieder seine besten Moves aus, während ich versuchte locker zu werden. Plötzlich legten sich zwei große Hände, auf meine Schultern und schwangen mich im Takt mit. Als ich mich erschrocken umdrehte und das Lichtermeer sein Gesicht preisgab, spürte ich wie mein Gesicht an Farbe verlor. Er grinste mich pomadig an. Das letzte Mal als ich ihn sah, hatte er mich in der Küche stehen gelassen. „Ich hätte nicht damit gerechnet, dich hier anzutreffen." Warum traf ich auf dieser Party immer die Männer, die mir das Leben schwer machten? Er zuckte mit den Schultern und zog mich in eine freundschaftliche Umarmung. „Du hast mir gar nicht geschrieben", war das sein Ernst. „Du hast mir keine Nummer dagelassen", versuchte ich lässig zu entgegnen. Ich war in einem Zwiespalt gefangen. Ich wollte endlich wieder Nähe spüren von jemanden, der mich liebte, doch gleichzeitig liebte er mich nicht, sondern nur das, was ich ihm geben konnte. Dieser Typ sah aber auch einfach zu gut aus. Ava, nicht schwach werden, keine alten Geschichten mit in das neue Jahr nehmen. Denk an deine Vorsätze. Er lehnte sich an mein Ohr und sprach. „Bist du alleine hier?", unschlüssig sah ich ihn an, also nickte ich nur bedrückt, vielleicht würde er das nicht interpretieren können. Er grinste mich aalglatt an, nahm zwei Gläser von einem gerade vorüber gehenden Kellner und drückte mir eins in die Hand. „Ich muss noch fahren." Er winkte ab und hob mein Glas an. Was war nur mit mir los, ich ließ mich so leicht von ihm manipulieren. Warum war er überhaupt hier? Ich wusste, dass ich lieber nicht hier sein sollte, erst recht nicht in den Armen von Henry. Unauffällig reckte ich meinen Hals, um Yves ausfindig zu machen. Wenn sie sehen würde, mit wem ich hier geradestehe, würde sie ausrasten. Was war das überhaupt für ein abartiges Getränk, es war viel zu stark. Nimm keine alten Geschichten mit ins neue Jahr, hörte ich Scar erneut sagen. Doch da nahm mich, Henry bei der Hand und zog mich durch die Menge. Mir wurde schwindelig von meinen Gedanken, doch meine Füße trugen mich weiter hinter ihm her. Die strahlenden Lichter wurden sanfter, die Musik ebbte ab, doch er blieb weiterhin präsent. Ohne dass ich es bemerkte, standen wir in einem dunklen Flur, der nur von lila Neonröhren erleuchtet wurde. Am Ende des Ganges flackerte die violette Neonröhre bedrohlich, als wolle sie mir etwas zurufen. Die kindliche Angst der dunklen Gasse in meiner Heimat schob sich in meine Gedanken, nur dieses Mal war es eine reale greifbare Angst, die sich in der Spannung zwischen uns ausdrückte. Ich hatte mich schon einmal aus dieser Dunkelheit befreien könne, es war so leicht es noch einmal zu tun. Abrupt blieb ich stehen, um meine Hand aus seiner zuziehen. Mit verzogener Miene drehte er sich nach mir um und wollte erneut nach meiner Hand greifen, doch ich verschränkte die Arme vor der Brust. „Was soll das, Ava? Komm schon, wir sind in zehn Minuten wieder bei den anderen." „Ich will das nicht. Weder zehn Minuten, noch eine Minute." „Aber dir hat es doch beim letzten Mal auch gefallen, ich mache auch diese Sache, du weißt schon", zwinkernd rückte er auf mich zu. Seine Finger fuhren über mein nacktes Schulterbein, hin zu meinen Haaren, die er über meine Schulter strich. „Henry, ich will das nicht mehr." Als hätte er meine Abweisung als Aufforderung gesehen, legten sich seine heißen Lippen auf meinen Hals. „Ach wirklich.", seine Stimme hatte das bedrohliche Grollen eines hungernden Wolfs angenommen. „Ich habe Nein gesagt." „Das Einzige, was du noch sagen wirst, ist mein Name." Hart drückte er meinen zitternden Körper an die gegenüberliegende Wand und fixierte meine Arme mit einem geschickten Griff. „Henry, bitte. Lass mich los." Angst vernebelte mir den Blick. Niemals hatte ich mir vorgestellt, in einer Situation wie dieser zu enden. Immer wieder hörte man von der Wehrlosigkeit, aber nie wollte man sich eingestehen, selber in dieser Lage zu sein. Windend versuchte ich aus seinem schmerzenden Griff loszukommen. „Ganz ruhig, ich werde dich schon noch früh genug umstimmen." Ich versuchte ihn von mir wegzuschieben, doch er hatte einen festen Stand, mit dem einen Bein fuhr er zwischen meine, das andere drückte er gegen meinen Oberschenkel. Es fühlte sich an, als würde ich unter einem Stein zerquetscht werden. Flehend sah ich in seine dunklen Augen, doch er sah mich nicht mehr an wie der Mann, den ich kennengelernt hatte. „Henry, bitte nicht.", zu mehr war meine wimmernde Stimme nicht mehr fähig. Ich bekam nicht mal einen Hilfeschrei aus meiner Kehle, dafür war meine Atmung zu unregelmäßig. Attackierend, schob er mein Kleid nach oben und strich gierig über meine nackte Haut. Meinem Schicksal ergeben, versuchte ich weiterzuatmen und nicht noch bewusstlos zu werden. Ein Ruck durchfuhr meinen flatternden Körper und ein Teil der Last löste sich von mir. Verängstigt riss ich meine getrübten Augen auf. „Hast du sie nicht gehört", knurrte eine scharfe Stimme. Chris! Noch nie war ich so froh, einen Menschen zu sehen. Erzürnt baute er sich vor Henry auf, was recht schwer war, beide waren sie großgewachsen und muskelbepackt. Unbeholfen zog ich mir mein Kleid zurecht, dankbar über die Wand, die mich auf den Beinen hielt. „Ich hatte dir doch beim letzten Mal gesagt, dass du dich nicht einmischen sollst!", zischte Henry ihn bedrohlich an, doch Chris verzog keine Miene. „Und ich habe dir gesagt, was passiert, wenn du ihr zu nah kommst." Er holte mit der Rechten aus und schlug Henry mitten ins Gesicht. Schockiert sog ich Luft ein und hielt meine Hand vor Entsetzen vor meinen geschundenen Mund. Henry hielt sich die Hand an seine Nase, aus der rotes Blut quoll. „Ich hätte nicht gedacht, dass du deine Drohung wahr machst." „Ich stehe eben zu meinem Wort." Fügte er mit einem Augenbrauen zucken hinzu. Wie im Boxring umkreisten sich die beiden mit erhobenen Fäusten. Das war der Moment, in dem sie all ihre erlernten Kampfgriffe in Natura anwenden konnten. „Es reicht, hört auf!", zerbarst meine hysterische Stimme an den Wänden. Doch niemand hörte auf meinen Einwand. Unüberlegt stürzte ich mich ebenfalls in das Getümmel von Händen, doch sie beachteten mich gar nicht. Die Dunkelheit machte es zunehmend schwerer, den Überblick zu behalten. Eh ich die Faust kommen sah, hatte ich sie auch schon im Gesicht. „Ava? Scheiße." Das war das Letzte, was ich hörte, bevor alles schwarz wurde.

Time goes by and still I am stuck on youWhere stories live. Discover now