Baby Problems

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Ava

Scarlett war für einige Szenen ans Set gekommen. Da sie eigentlich noch im Mutterschutz war, reiste sie nur für Sequenzen an. Schon seit vier Monaten war sie Mama der kleinen Rose. Jedes Mal war Aufruhr, wenn sie ans Set kam. Alle liebten die Kleine, jeder wollten sie mal halten, in ihren Kinderwagen schauen und sich vor ihr zum Affen machen. Ich hingegen konnte mit diesem kleinen Ding nichts anfangen, es schrie, stank und wollte permanent gefüttert werden, das einzig gute war, dass es die meiste Zeit schlief. Bei meinem Glück hatte ich heute einige kleine Takes mit ihr. Jedes Mal wieder freute ich mich auf die Zusammenarbeit mit Scarlett, doch Baby, Windeln und Kinderwagen waren die beliebtesten Gesprächsthemen im Moment und keines davon begeisterte mich. Langsam kamen wir auch zum Ende der Dreharbeiten. Mein Körper lechzte nach einer Pause, das ständige Trainieren, Filmen, früh aufstehen und Diät halten brachte mich an meine Grenzen. Drei Sets in kurzer Zeit hintereinander waren zu viel, ich brauchte endlich mal wieder Zeit für mich. „Mrs. Williams, sie haben eine neue Anfrage bekommen." Seitdem ich den BAFTA hatte, musste ich nicht mehr zu Castings. Einer meiner neusten Erfolge, man kannte mein Gesicht und dieses fügte sich immer mehr in die Köpfe der Regisseur ein. „Was ist es für ein Projekt?", die Gedanken einer Pause drifteten in die Ferne, denn sie drückte mir ein dickes Skript in die Hand und ich bekam Kopfschmerzen bei dem Gedanken alles lesen zu müssen. Auf der vordersten Seite stand in einer klaren Schrift. „Passengers." Schnaufend klemmte ich es mir unter den Arm und schlürfte in die Maske. Wenn es mich nach dreißig Seiten nicht überzeugt, dann lege ich es weg. Ich muss nicht jede Rolle annehmen, die mir geboten wird. Wählerisch durfte ich damals nicht sein, doch jetzt war es meine einzige Chance zu überleben. Wie sich die Zeiten doch ändern. „Ich werde es mir durchlesen und meiner Assistentin Bescheid geben, sobald ich mich entschieden habe." Die kleine Rothaarige verschwand so schnell wie sie gekommen war und ließ mich alleine in meinem Stuhl zurück. Erschöpft versuche ich in der Maske noch etwas Schlaf zu bekommen, doch ich täuschte mich, denn Scar war mit ihrem kleinen Wonneproppen da und alle scharrten sich lauthals um sie. „Ava, komm doch rüber." Ich lächelte sie sacht an und dehnte mich. „Ich muss mich noch aufwärmen, wir sehen uns später." Sie nickte mir schon wieder abgelenkt zu und ich ging unbemerkt davon. Orientierungslos setzte ich mich auf eine sonnige Treppe, der Trailer. Noch immer hielt ich das wichtige Skript in den Händen. Was sollte es, ich hatte nichts zu tun, also konnte ich auch hineinlesen. Es war ein seltsames Konzept und die ersten 100 Seiten waren eine interessante Einführung in die galaktische Zukunft. „Wolltest du dich nicht aufwärmen", drang eine Stimme in meine neue Fantasiewelt ein. „Mache ich doch", schallte es bissig aus, meinem Mund. Sebastian stand im Kostüm vor mir und hielt die Hände abwehren in die Luft. „Whoa, was ist denn mit dir los?" „Bin beschäftigt." Er setzte sich neben mich und sah auf die Seiten. „Ich sehe schon, aber ich meine eigentlich, was wirklich mit dir los ist?" Ich schlug das Heft zusammen und sah über das Gelände. „Ich liebe Scarlett und auch ihre Kleine, aber all der Trubel der darum gemacht wird. Ich kann es nicht verstehen." „Sie ist doch süß, die Kleine." „Ja, aber alle sind so darauf fixiert, es ist nur ein Kind", brach es trotzig aus mir hervor. Ich wollte meine alte Scarlett wieder, die Freundin, die mit mir im Club tanzte, die sich mit mir über Gerüchte der Reichen und Schönen austauschte und die mit mir abends auf einen Drink ausging. „Ist da etwa jemand verbittert oder gar eifersüchtig auf ein Baby?" „Bin ich gar nicht. Ich kann es nur einfach nicht verstehen." Er kniff mir in die Seite und ich sah ihn böse an. „Gut, dass du keine Mama bist." „Das will ich auch gar nicht sein", genervt stand ich auf und machte mich wortlos zum Set. „Avas, so war das nicht gemeint." „Schon gut Seb."

Vor der Kamera ging es mir besser, ich konnte eine andere sein und konnte alles hinter mir lassen. Es wäre jedoch leichter gewesen, wenn Scar ihre Rose nicht mit am Set gehabt hätte. Ich war wirklich froh, als ich mich etwas abseits in den Schatten setzten konnte, da wir draußen drehten und die Sonne gleißend auf uns herunter schien. In dem Zelt stand auch der Kinderwagen von Rose. Nach einem schnellen Blick in den Wagen, um sicherzugehen, dass sie schlief, las ich weiter. Meine anfängliche Skepsis war verschwunden, nach knapp 150 Seiten, wusste ich, dass ich zu diesem Projekt nicht nein sagen konnten. Ich sah vereinzelt wie die anderen drehten und genoss die Ruhe, die jedoch jäh gestört wurde. Eine jämmerliche, doch sehr laute Stimme kam aus dem sanft violetten Kinderwagen neben mir. O nein, ich drehte mich weg und tat so als würde ich es nicht wahrnehmen, doch sie wurde lauter. Hilfesuchen sah ich mich in der Gegend um, doch niemand außer mir schien ihr Leid zu bemerkten. Nicht mal Scarlett, dabei dachte ich würde dieser Mutterinstinkt das regeln. Panik stieg in mir auf, nervös legte ich das Heft auf den Stuhl und ging auf den Wagen zu. Wo war ihr Kindermädchen? Die kleine machte ein Schmerz verzerrtes Gesicht und ruderte mit ihren kleinen Fäusten in der Luft umher. „Shhh, Mama kommt sicher gleich." Beunruhigt schaukelte ich den Wagen hin und her, doch sie wollte sich nicht beruhigen. Überfordert mit der Situation, in der ich gerade war, überlegte ich fieberhaft, was ich machen konnte. Okay, überleg, es gab eine Sache, die meine jüngere Schwester immer beruhigte. Kurzentschlossen, nahm ich all meinen Mut zusammen und fuhr behutsam mit meiner Hand unter den Kopf der Kleinen. Ganz vorsichtig, nahm ich sie aus ihren Decken und drückte mir das quengelnde Bündel an die Brust. Ich hatte so lange schon kein Baby mehr im Arm gehalten. Ein Funken Aufregung und Glück, strahlte in mir auf, als ich spürte, wie sich ihre Verkrampfung löste. „Shhh, ich bin ja da." Rhythmisch wiegte ich sie in meinen Armen hin und her und begann leise zu singen.

„Deep in the meadow under the willow a bed of gras a soft green pillow." Dieses Lied beruhigte meine jüngere Schwester jedes Mal. Dabei schunkelte ich sie immer weiter. „Here is the place where I love you.", ihre quälenden Schreie, wurden zu einem gemütlichen Brabbeln. Auch ihre großen braunen Augen tränten nicht mehr, sondern waren vor lauter Anstrengung zugefallen. Stolz, dass ich es noch immer konnte, strich ich über ihre kleinen zarten Wangen und musste einfach grinsen. Ironisch, dass dieses Lied aus einem Film war, der alles andere als kinderfreundlich war. „Das hast du sehr gut gemacht." Ich drehte mich um und sah eine besorgte Scar mit einem grinsenden Seb und Chris neben sich. Schleichend kam sie auf mich zu und sah sich die Kleine an. „Was war das für ein Lied?" „Ich habe es früher meiner kleinen Schwester immer vorgesungen, sie fand es beruhigend, auch wenn sie kein Wort verstand von dem, was ich sang. Das war das Einzige, was half, wenn sie nicht schlafen wollte. Deep in the meadow von den Hunger Spielen." Ich wollte ihr Rose gerade in den Arm drücken, doch sie schüttelte nur den Kopf. Also stand ich noch immer mit vollen Armen im Zelt und konnte mich nicht bewegen. Seb schmunzelte triumphierend und ich schüttelte nur den Kopf und funkelte ihn bedrohlich an. „Ich habe nichts gesagt." „Ich kann mir vorstellen, was du sagen wolltest." Er setzte sich und nahm einen Schluck, genau wie Scar, die erschöpft aussah. „Ich habe seit Monaten nicht mehr durchgeschlafen, da ist es mal ganz schön das jemand sie beruhigen konnte und nicht immer nur ich." Behutsam setze ich mich hin, damit ich sie nicht weckte. Ich musste Sebastian eine große Genugtuung geboten haben, mit diesem Anblick. Chris setzte sich auf meinen vorherigen Platz und nahm mein Skript vom Stuhl. Er musste den Titel gelesen haben und wurde bleich. „Wem gehört das?" „Mir, ich habe es zugeschickt bekommen." Er sah mich kurz an und dann wieder hinunter auf das Skript. „Und, hast du schon ein Gefühl, wie du dich entscheiden wirst?" Warum wollte er das wissen, er interessierte sich sonst auch nicht für meine Rollen. „Ich finde die Protagonistin spannend, sicher wird es noch besser. Die ganzen Science-Fiction Darstellungen sind grandios. Ich bin noch nicht so weit, aber ich habe ein gutes Gefühl dabei." „Nimmst du dir auch mal Zeit für dich?" Sebastian sah mich mahnend an. „Der Dreh wäre Anfang nächsten Jahres, sie hätte genug Zeit." Seb sah Chris an, ohne dabei skeptisch zu werden. „Ja genau, ich würde mir genug Zeit herausnehmen können." Nachdenklich legte er das Skript beiseite und stand auf. „Ich muss nochmal telefonieren, ihr entschuldigt mich." Sein Auftreten war höchst ungewöhnlich für ihn, doch ich machte mir keine weiteren Gedanken. Ich hatte Rose im Arm, die gleichmäßig atmete und zu träumen schien, denn ihre Augen flimmerten unter ihren Lidern. 

Time goes by and still I am stuck on youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt