Teil 1

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Zeus

Lamia, meine wunderschöne Lamia, hatte sich verwandelt. Die Frau, mit der ich einen Sohn gehabt hatte. Einen Sohn, den meine Gattin Hera auf brutalste Weise, vor den Augen der Mutter getötet hatte.

Ein unschuldiges, kleines Geschöpf war in die Krallen eines eifersüchtigen Monsters gefallen.

Und dessen verletzte und von Zorn überwältigte Mutter hatte sich verwandelt. Verwandelt in ein Ungeheuer. Ein Ungeheuer wurde aus meiner Liebsten, verwandelte ihren Kopf in ein Schlangenhaupt und begann aus Trauer die Kinder anderer Mütter zu töten, zu häuten und zu essen.

Es lag an mir zu entscheiden was aus ihr werden sollte. Keineswegs konnte ich sie vernichten, ihr wehtun oder ihr Leid zufügen, doch in der Welt der Sterblichen konnte ich sie auch nicht lassen.

Sie hatte unmoralisch gehandelt, ihren Zorn hatte sie an unschuldigen Kinder ausgelassen. Kinder die nichts für meinen Fehler konnten. Ich war derjenige gewesen der unseren Sohn nicht vor Hera geschützt hatte.

Nur meinetwegen war er tot.
Und das würde sie mir niemals verzeihen.

Verzweifelt stützte ich mich an meinem Thron auf dem Olymp ab und spürte wie sich langsam goldene Tränen an die Oberfläche bahnten. Ich war Schuld an allem.

Meinetwegen wurde sie zum Monster. Am Boden meines Thrones bildete sich eine goldene winzige Pfütze. Mit glasigen Augen stellte ich fest wie viele Tränen ich schon vergossenen hatte.

Wie viel ich schon dank dieser wundervollen Frau geweint hatte. Ein ohrenbetäubender Schrei entwich meiner Kehle. Ich würde sie nicht töten. Ich konnte es einfach nicht.

Ein kleiner Teil meines unsterblichen Herzes gehörte schon längst ihr. Er hatte ihr immer schon gehört, würde ihr bis in die Ewigkeit gehören.

Ich müsste mir etwas anderes einfallen lassen. Mit großen Schritten verließ ich den Saal, bewusst das ich die Hilfe Hades brauchen würde.

Lamia

Mit zitternden Knien schlich ich die Gänge meiner unterirdischen Höhle entlang, geleitet von der Stimme meines Kindes. Meiner Tochter.
Eine liebliche, helle Melodie drang zu mir und ließ mich auflächeln.
Sie hatte eine wunderschöne Stimme.

Immer schneller bewegte ich mich durch das Labyrinth, bewusst das mich Leute verfolgten. Wütende Mütter und Väter die mir mit Waffen und Feuer gefolgt waren. Immer wieder hörte ich Flüche und Rufe die mir versprachen, dass sie mir die Götter auf den Hals hetzten würden.

Ich sprintete schon fast durch die Tunnel, ich musste mich beeilen, durfte keine Zeit verlieren.
An jeder Kreuzung sah ich kurz zurück, sah wie mir der Schein des Lichtes näher kam, spürte wie sich meine Kehle zuschnürte. Doch ich rannte weiter. Rannte und hörte nicht auf.

Kurz darauf erreichte ich eine hohe Tür aus Stein. Wie von selbst schoss meine Hand nach oben und hämmerte gegen den Eingang. Erleichtert hörte ich wie kleine Füße auf dem Marmor wiederhalten. Keine Sekunde später öffnete Ariana mir die Tür.

Sofort nahm ich sie in die Arme. Jedoch schubste mich meine Tochter panisch in unserem Unterschlupf hinein, als sie das helle, rote Licht an den Steinwänden entdeckte.
"Was hast du dir nur dabei gedacht Mutter!", schimpfte die 7 jährige. "Sie werden dich holen kommen!", weinte das Kind und ballte ihre kleinen Hände zu Fäusten.

Ihre Miene wurde wütend, doch auch Verzweiflung und Angst war in ihren Gesichtszügen zu erkennen.
Sie tat mir leid, so wie sie mir immer schon leid getan hatte mich als Mutter zu haben. Sie hatte ein besseres Leben als das hier verdient, und ich hatte sie nicht verdient.

Keine Sekunde später hörte man Donner und Blitze auf Kreta einschlagen. Ein kalter Windzug durchfuhr meinen Körper und ließ mich erstarren. Ich sah nach oben. Es war soweit. Er hatte uns gefunden. Er hatte mich gefunden. Es konnte nur er sein, der seine Ankunft mit einem Sturm ankündigte.

"Nein Ariana, etwas anderes wird mich holen. Etwas schlimmeres." Schnell rannte ich im Raum herum, nahm mir einen Lederbeutel von einem Hocker und füllte ihn mit Ambrosia und Proviant. Ariana hatte mich in der Zwischenzeit nur verständnislos angesehen.

Den Beutel drückte ich ihr schließlich in die Hand und kniete mich vor ihr nieder. "Behalt das", flüsterte ich ihr zu, band mir eine Kette vom Hals, die ich anschließend um ihren wickelte.

Die goldene Kette mit dem Adleranhänger ließ ich unter ihrem weißen Hemd verschwinden. Mit zitternden Fingern strich ich darüber und erinnerte mich wie das Schmuckstück zu mir kam.

Als wurde sich die Szene abermals vor meinem Auge abspielen sah ich Zeus und mich auf einer wunderschönen Wiese voller Rosen sitzen. Er hatte die Arme um mich geschlungen und flüsterte mir immer wieder zu das er mich liebte. Alles eine große, gemeine Lüge. Eine Lüge die mich innerlich getötet, zerießen, zerstört hatte.

Seufzend ließ ich die Kette los und zog einen Dolch aus meinen Haaren. Der zuvor unordentliche Dutt löste sich und leichte, unbändige Wellen fielen meine Schultern hinab.

"Lass ihn niemals los! Kämpfe nur wenn es nötig ist und lass dich niemals bezwingen. Von niemand. Ich hatte gehofft es würde länger dauern.", schluchzend gab ich ihr den Dolch in die Hand.

Sie umschloss ihn zitternd und sah die Waffe furchterregend an. Als würde sie ihn nicht wollen. Als würde sie wissen das sie nun auf sich selbst aufpassen musste. Als würde sie ahnen, dass ihre Kindheit vorbei war.

"Sei ein starkes Mädchen!", flüsterte ich ihr in ihre braunen Haare. "Was geht hier vor?", jammerte sie und klammerte sich an meinen Arm fest. "Vertrau mir Ariana ich werde dich finden. Renn den Tunnel entlang und versteck dich auf einer Flotte nach Chios.", rief ich und schubste sie vorsichtig Richtung Hinterausgang.

Das noch so kleine Mädchen löste sich zögernd von mir und sah mich aus glasigen grauen Augen an. Ihre Augen erinnerten mich wie jedes mal an die des Zeus. So stürmisch, entschlossen und wild. Schluchzend drehte sie sich von mir weg und umfasste den Griff der Tasche fester, dann ging sie. Huschte um die nächste Ecke und verschwand. Verschwand für die nächste Zeit.
Für die nächste lange Zeit.

Das nächste was ich sah war ein heller Lichtstrahl. Nun wusste ich ganz genau was mir bevorstand.
Vor mir tauchte Zeus auf, jung und atemberaubend wie in meiner Erinnerung. "Hast du mich vermisst, Lamia?", seine Stimme nach 8 Jahren wieder zu hören hinterließ mir eine Gänsehaut.

Langsam kam der Gott auf mich zu und versuchte nach mir zu greifen.
Ohne das ich auch nur irgendeine Chance hatte wehrte ich mich, ich wollte Ariana Zeit verschaffen. Kein Gott, Mensch oder Monster sollte je erfahren das sie existierte. Ich hatte ihren Bruder schon verloren. Meinen Sohn.
Sie, konnte ich nicht auch noch verlieren.

Zeus hatte mich jedoch schon nach wenigen Atemzügen unschädlich gemacht, indem er seine muskelösen, weichen Arme um mich legte. Langsam schaute ich nach oben und sah ins ernste Gesicht des Gottes. Und das erste mal in der langen Zeit die seit unserem letzten Treffen vergangen war, schämte ich mich in meiner Gestalt.

In der Gestalt eines Monsters. Zeus blickte nun nicht mehr wie früher in meine strahlend blauen Augen, nein nun blickte er in zusammen gekniffenen Schlangenaugen. Verlegen sah ich zu Boden, er sollte mich nicht so sehen.

Trotz das auch er Schuld an den Tod unseres Sohnes trug, fühlte ich mich noch immer zu ihm hingezogen. Ich wollte es mir nicht eingestehen, doch mein armes, gebrochenes Herz gehörte noch immer dem Gott des Himmels.

"Wir gehen vors Gericht des Hades, in die Unterwelt. Er wird entscheiden was aus dir passiert.", meine größte Sorge bestätigte sich. Denn wer einmal in der Unterwelt war kam nie wieder heraus.

Die Verlorene Tochter Des Himmels [In Überarbeitung] Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt