Kapitel 76

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"Bitte achten Sie die nächste Woche darauf, die Wunde gut zu reinigen und dass die Naht nicht aufreißt. Schonen Sie sich weiterhin und bitte heben Sie nichts Schweres", erklärt mir Dr. Carter am Donnerstagmorgen. Sie setzt noch eine Unterschrift auf meine Entlassungspapiere und reicht mir diese. "Vielen Dank für alles", sage ich, nehme meine Tasche und verlasse mein Zimmer. Endlich kann ich nach Hause. Ich befürchte allerdings, dass ich zuerst einkaufen gehen muss. Mein Kühlschrank war neulich schon ziemlich leer und das meiste Gemüse, das noch übrig war, muss ich jetzt wohl wegwerfen. Seufzend stehe ich im Gang des Krankenhauses. Vor mir ist Harrys Zimmertür. Unschlüssig betrachte ich die Türklinke. Soll ich zu meinem Freund oder lieber nicht? Gestern lag ich den ganzen Mittwoch nur in meinem Bett. Ich habe Harry nicht besucht. Eigentlich würde ich auch jetzt am liebsten nach Hause, doch ich befürchte, dass mein schlechtes Gewissen mich dann die ganze Zeit quälen wird, bis ich schlussendlich wohl doch wieder hier her kommen würde. Aber kommt es nicht komisch, wenn ich ohne Ankündigung einfach wieder bei ihm auftauche?

Gerade als ich mich dazu entschlossen habe, heimzufahren, höre ich ein komisches Geräusch aus Harrys Zimmer. Es klingt wie ein Wimmern. Ich runzle die Stirn und lege ein Ohr an das kühle Holz der Tür. Für einen Moment denke ich, ich habe mir diese Laute nur eingebildet, doch kurz darauf ist ein herzzerreißendes Schluchzen zu hören. Sofort lasse ich meine Tasche fallen und reiße die Tür auf. Anders als erwartet liegt Harry jedoch in seinem Bett. Seine Stirn glänzt und er atmet schwer. Allerdings scheint er zu schlafen, denn seine Augen sind geschlossen und er wälzt sich unruhig hin und her. Besorgt gehe ich an sein Bett. Harrys Hände krallen sich so fest in die Bettdecke, dass seine Knöchel weiß hervortreten. Vorsichtig tippe ich die Schulter meines Freundes an und streiche ihm gleichzeitig eine verschwitzte Haarsträhne aus der Stirn. "Harry?", frage ich. Als er weiterhin nicht aufwacht, tippe ich ihn mit etwas mehr Druck an. Plötzlich setzt er sich ruckartig auf und schaut mich mit angsterfüllten Augen an. "Fass mich nicht an", wimmert er und kauert sich zusammen. "Hey, ich bin es nur. Du hattest einen Alptraum, es ist alles in Ordnung", sage ich mit einer beruhigenden Stimme. Harry zittert stark und holt kurzatmig Luft.

"Durst", bringt er dann mit krächzend heraus. Sofort nehme ich das Glas Wasser von seinem Nachttisch und führe es an seine Lippen. Diese Handlung erinnert mich daran, als Harry nach Pauls Verabschiedungsparty bei mir geschlafen hat und sich mitten in der Nacht das ganze Glas Wasser über die Unterhose geleert hat. Und ich habe allen Ernstes gedacht, er hätte sich in die Hose gemacht... wenn es Harry gerade nicht so schlecht gehen würde, würde ich wohl über diese Erinnerung grinsen, doch die Situation lässt es nicht zu.

Harry schluckt mühsam das kühle Wasser und lehnt sich dann vorsichtig zurück. Sein Zittern lässt immerhin etwas nach, doch er schwitzt immernoch stark. "Soll ich das Fenster mal aufmachen, ist dir zu warm?", frage ich, doch Harry schüttelt den Kopf und zieht die Bettdecke höher. Besorgt mustere ich ihn. Er liegt nicht mehr so verkrampft da, doch er sieht einfach nur krank aus. Harry ist unfassbar blass und seine sonst so schönen Augen zieren dunkle Ringe und eine matte Farbe. "Soll ich einen Arzt holen?", frage ich, doch erhalte nur ein weiteres Kopfschütteln. - "K-kannst du bitte b-bei mir bleiben?", meint Harry leise und starrt auf seine Decke.

Unschlüssig betrachte ich ihn. Er wird sich sicherlich wundern, wenn ich die Tasche, die noch vor der Tür steht, hier rein hole, doch genauso wenig möchte ich sie draußen im Flur stehen lassen. Vor allem möchte ich Harry jetzt keinen Korb geben. Er braucht mich.

"Ich bleibe bei dir", sage ich und gehe ins Badezimmer, um ein kühles Tuch zu holen. Als ich wieder bei Harry bin, tupfe ich ihm vorsichtig den Schweiß von der Stirn. Seine Haut fühlt sich heiß an, doch seine Hände dagegen sind eiskalt. Ob er Fieber bekommt? Ich drehe die Heizung eine Stufe höher und decke Harry wieder richtig zu. "Möchtest du einen Tee?" - "Gern, wenn es... keine Umstände macht?" Ich schüttle lächelnd den Kopf. "Bin gleich zurück". Ich schließe leise die Tür hinter mir und nehme meine Tasche. Unsicher gehe ich in das Ärztezimmer von Dr. Carter. Nachdem ich leise geklopft habe, höre ich ein 'Herein!'. Ich öffne die Tür und entdecke die Ärztin hinter ihrem Bürotisch sitzen. "Nanu, Mr. Tomlinson, wollten Sie nicht gehen?", fragt sie erstaunt und lächelt mich freundlich an. - "Eigentlich schon, aber ich bin nochmal bei Harry vorbei. Er hatte einen Alptraum und ihn geht es nicht so gut. Ich werde noch bei ihm bleiben, bis er eingeschlafen ist. Könnte ich derweil vielleicht meine Tasche hier lassen?", frage ich und setze ein charmantes Lächeln auf. Zum Glück nickt sie verständnisvoll. Sie weiß ja inzwischen, dass Harry von meiner Organspende nichts erfahren darf. Zumindest vorerst nicht. Bis es ihm besser geht.

"Natürlich. Stellen Sie sie einfach neben die Tür", sagt Dr. Carter. - "Vielen Dank". Ich möchte gerade gehen, als mir wieder etwas einfällt. "Ach, bevor ich es vergesse. Harry schwitzt ziemlich, aber seine Hände sind eiskalt. Kann es sein, dass er Fieber bekommt?", frage ich. Dr. Carter runzelt die Stirn.

"Hat er Krämpfe oder ist er irgendwie verwirrt?", fragt sie. Ich schüttle den Kopf. "Nicht wirklich. Nur kurz nachdem er aufgewacht ist". Die Ärztin nickt verstehend. "Ich vermerke das in seiner Akte. Bei unserer Abendvisite werden wir dem Ganzen auf den Grund gehen, sollte es sich bis dahin nicht gebessert haben", sagt sie. Ich bedanke mich und verlassen dann das Zimmer.

Während ich auf dem Weg zum nächsten Kaffeeautomat bin, um den Tee für Harry zu holen, stelle ich seufzend fest, dass ich nächste Woche dringend mal wieder in die Uni muss. Ich habe keine Lust, das Semester wiederholen zu müssen. Schließlich habe ich bis jetzt schon mehr als genug verpasst. Immerhin ist jetzt erst einmal bald Wochenende. Ungläubig stelle ich fest, wie viel innerhalb diesen eineinhalb Wochen vergangen ist. Zweimal schwebte Harry in dieser Zeit in Lebensgefahr. Ich möchte nicht, dass sich das wiederholt. Es hätte gar nicht erst passieren dürfen, aber leider habe ich das nicht in der Hand.

Als ich den Tee bezahlt habe, gehe ich wieder zurück zu Harry. Nach einem leisen Klopfen betrete ich das Zimmer. Mein Freund sieht unglaublich müde aus. Er schwitzt immernoch leicht, doch klappert gleichzeitig leise mit den Zähnen. "Hier, dein Tee", sage ich und reiche ihm den Becher. - "Danke", murmelt Harry und schlingt seine Finger um den wärmenden Behälter. Eine ganze Weile stehe ich unschlüssig vor seinem Bett herum. Harry scheint wie in Trance. Er hat den Blick starr in seine Teetasse gerichtet und hängt wohl seinen Gedanken nach. Irgendwann jedoch nehme ich eine Regung wahr.

Harry legt seine eine Hand auf die freie Stelle seines Betts und schaut mich fragend an. Lächelnd trete ich näher und setze mich zu ihm. "Wie geht es dir?", fragt er. Verwirrt ziehe ich die Augenbrauen zusammen. "Sollte ich das nicht eher fragen?"  Harry zuckt mit den Schultern. - "Solltest du das?" Was hat er denn auf einmal? Ob er etwas ahnt? War ich zu auffällig? Oder hat Dr. Carter sich verplappert?

Harry streicht mit seinen Fingern sanft über meine Stirn. "Deswegen frage ich. Du siehst so besorgt aus, dann runzelst du immer die Stirn", erklärt er seine Handlung. Erstaunt sehe ich ihn an und versuche, meine Stirn zu glätten. Doch die Falten bleiben, ebenso wie die Sorgen. Wäre ja auch zu schön, wenn diese durch eine kleine Veränderung des Gesichts nicht mehr vorhanden wären. "Ich weiß nicht. Ich... Es ist...-", stottere ich herum. Harry seufzt, greift nach meiner Hand und blickt aus dem Fenster. "Zwischen uns ist es auf einmal so komisch".

"Was genau meinst du?", frage ich und stelle mich dumm. Natürlich weiß ich genau, worauf er hinaus will. Doch wir haben nicht den gleichen Weg. Er möchte die Wahrheit erfahren, und ich möchte bei der Lüge bleiben. Und genau diese schafft es, uns voneinander zu entfernen.

"Du... du hast mir schon lange nicht mehr gesagt, dass du mich liebst. Und du nennst mich immer nur Harry... Nicht mehr Schatz... oder Baby... liebst du mich etwa nicht mehr?", fragt er und schaut mich wieder an. Die letzten Worte sind nur noch ein leises Flüstern. In Harrys Augen schimmern Tränen. Seine Hände, die meine festhalten, zittern stark. "Hast du vielleicht bemerkt, dass... dass das hier dir alles zu viel ist?" Er zeigt weinend auf seinen Bauch, an dem sich die Operationsnaht befindet. "Bitte sag mir die Wahrheit, etwas anderes ertrage ich nicht."

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Bitte das Voten nicht vergessen😊

Meint ihr, Louis sagt Harry jetzt die Wahrheit?🤔

Emerald green eyes || Part 1 (Larry Stylinson)Where stories live. Discover now