Winterpanther

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Der Regen kam völlig unerwartet. Von einem Moment auf den anderen war der strahlend blaue Himmel von grauen, schweren Wolken verdeckt und dann prasselten bereits die großen Tropfen herunter. Der Regen trommelte auf die Dächer und klatschte gegen die Scheiben, sammelte sich in dreckigen Pfützen am Straßenrand. Die Menschen, welche bis vor wenigen Minuten noch ruhig ihren Geschäften nachgegangen waren, hatten sich in Windeseile Schutz gesucht. Und jetzt war niemand mehr zu sehen, bis auf eine einzige, einsame Gestalt. Der Mann hatte es eilig, ebenfalls in einem sicheren Unterschlupf zu finden. Der Regen störte ihn nicht wirklich, bis auf das seine Jacke sich bereits mit Wasser vollsaugte, da sie nicht für solches Wetter gemacht war. Es war mehr die Tatsache, dass sich außer ihm niemand mehr draußen befand, die ihn antrieb, schneller zu laufen. Er fühlte sich in der Menge sicherer, aber hier draußen, allein war er ein leichtes Ziel. Der Mann zog seine linke, behandschuhte Hand aus der Tasche, um sich die Kapuze über den Kopf und das Cap, das er trug, zu ziehen. Dann steckte er die Hand wieder in die Tasche und beschleunigte seine Schritte noch mehr. Hier draußen allein war er absolut nicht sicher. Ein paar Minuten später erreichte er das heruntergekommene Haus, in dem sich seine Wohnung befand. Noch immer schüttete es wie aus Eimern und der Mann hatte das Gefühl, mit samt seiner Kleidung schwimmen gewesen zu sein. Er hinterließ eine tropfende Spur im Treppenhaus. In dem Flur, in dem seine Wohnung lag, war das Licht defekt und flackerte immer mal wieder auf. Wenn der Flur nicht in Dunkelheit getaucht war, erkannte man die dreckigen Wände von denen die Farbe abblätterte und die teilweise mit Graffiti besprüht waren. Es war eine traurige Tatsache, dass er es sich nicht leisten konnte, in eine bessere Gegend zu ziehen. Einerseits fehlte natürlich das Geld und andererseits war es einfach zu gefährlich. Er führte bereits seit einiger Zeit ein so unauffälliges Leben wie möglich. Der Mann näherte sich seiner Wohnung, blieb dann aber abrupt stehen. Die Tür war nur angelehnt. Entweder war jemand darin gewesen, oder er war immer noch da. Die Sinne des Mannes schärften sich und er warf einen Blick zurück in die Richtung, aus der er gekommen war. Nichts zu sehen. Genau in dem Moment gab das Licht erneut seinen Geist auf. Er hatte außer dem Messer, das er immer mit sich führte, keine Waffe, um sich zu verteidigen. Wenn aber nun jemand mit Schusswaffe in seiner Wohnung war? Er hätte nicht wirklich eine Chance. Der Mann holte es trotzdem aus seiner Tasche. Eigentlich wäre es am sichersten, die Flucht zu ergreifen, aber irgendetwas hielt ihn davon ab. Normalerweise siegte seine Vorsicht, aber er konnte sich nicht zusammenreißen und näherte sich der Tür. Ein paar Sachen in der Wohnung waren ihm wichtig. Für Diebe nichts wertvolles, aber für ihn. Für andere waren es lediglich beschriebene Blätter, grob zusammengerafft in einem winzigen Buch und ungeordneten Seiten in einem abgenutzten Rucksack. Für ihn war es aber das wertvollste Überhaupt. Erinnerungen. Der Mann sammelte sich kurz und stieß die Tür vorsichtig ein Stück mit dem Fuß auf, blieb aber halb in Deckung hinter der Wand. Im Inneren der Wohnung rührte sich nichts. Er atmete still tief ein und aus, dann trat er so heftig gegen die Tür, dass falls sich jemand dahinter versteckte, sie hart ins Gesicht bekommen haben musste. Er umklammerte sein Messer und trat ein, leise und vorsichtig. Keine Menschenseele war weit und breit zu sehen. Sein Blick huschte durch den Raum, in dem er hauste. Alles war so, wie er es verlassen hatte. Als er weiteren Schritt machte, quietschten seine Schuhe laut und er hätte sich ohrfeigen können. Wieso war er nur so unvorsichtig? Erneut erlosch das Licht. Er meinte, eine winzige Bewegung im Schatten einer Ecke des Zimmers zu erkennen. Er hob die Hand mit dem Messer, bereit um sich zu verteidigen – und verharrte dann in der Bewegung. Dann stieß er einen erleichterten Seufzer aus und ließ das Messer sinken. „Du hättest dich nicht verstecken müssen. Was, wenn ich dich nicht erkannt hätte?" Er schüttelte verärgert den Kopf und drehte sich um, um die Tür hinter sich zu schließen. Währenddessen trat sein Besucher aus dem Schatten heraus. Er trug eine Art Ganzkörperanzug, der in einem schlichten Schwarz gehalten war. Auf seinem Gesicht saß zwar eine Maske, aber die verschwand kurz darauf und gab sein Gesicht frei. „Du hättest mich nicht verletzen können Bucky. Mein Anzug besteht aus Vibranium." Ein starker afrikanischer Akzent schwang in der Stimme des Besuchers mit. „Ich weiß.", antwortete Bucky. „Was führt dich her T'Challa?" Er ließ sich auf einem Stuhl am Küchentisch nieder und bot dem anderen an, ebenfalls Platz zu nehmen. T'Challa setzte sich ihm gegenüber. Dann legte er beide Arme offen auf den Tisch und blickte ihn an. „Ich will dir einen Vorschlag machen." Bucky runzelte die Stirn. „Worum geht es?" „Ich möchte dich bitten, mit mir nach Wakanda zu kommen. Ich bin mir sicher, dass es dir da gefallen würde.", sagte T'Challa. Aufmerksam beobachtete er die Reaktion seines Gegenübers, während er weitersprach. „Wie du hier lebst kann kein dauerhafter Zustand sein. Und dort wärst du sicherer, weißt du? Du müsstest dich nicht mehr verstecken. Und außerdem müsste ich dann nicht immer mehrere Stunden Flug auf mich nehmen, um dich zu sehen." Auf Buckys Gesicht war ein unlesbarer Ausdruck getreten. Er schüttelte den Kopf. „Das geht nicht. Das kann ich nicht riskieren." „Warum nicht?" „Ich würde euch alle in Gefahr bringen. Ich werde in fast allen Ländern der Welt gesucht und wenn die rauskriegen, dass ich bei euch bin . . . Nein. Du solltest das Leben deiner Leute nicht für mich aufs Spiel setzten." T'Challa seufzte leise. „Ich möchte nicht schon wieder mit dir über dieses Thema diskutieren. Es wird niemand in Wakanda Konsequenzen davontragen, wenn du mitkommst. Wir wollen dir helfen!" Bucky stand wieder auf, streifte seine noch immer klitschnasse Jacke von sich und hing sie halbwegs ordentlich über die Lehne des Stuhls, auf dem er zuvor gesessen hatte. T'Challa beobachtete ihn aufmerksam dabei. „Niemand.", wiederholte er. Bucky seufzte genervt auf und warf die Hände in die Luft. „Für einen König, der die Meinung anderer Leute respektieren sollte bist du ziemlich hartnäckig." „Vielleicht liegt das daran, dass du keiner der „anderen Leute" bist. Du bist wichtig für mich. Aber ich merkte, dass wir an dieser Stelle nicht weiterkommen. Lass mich dir etwas anderes vorschlagen." T'Challa stand langsam auf und umrundete den Tisch, sodass er jetzt direkt vor Bucky stand. „Komm mit mir nach Wakanda. Wenigstens für ein paar Wochen und schau dir an, wie es dort ist." Bucky wollte sich kopfschüttelnd abwenden und machte Anstalten, dieses Gespräch nicht mehr weiterzuführen, aber T'Challa reagierte und griff nach seinem Arm. Er hielt ihn nicht fest, er hielt ihn nur zurück. Vorsichtig und darauf bedacht, dass es nicht wie eine Bedrohung aussah – weil es keine war. „Und wenn es dir wirklich nicht behagt, dann bringe ich dich zurück. Versprochen. Aber versuche es wenigstens." Bucky hatte ihn nicht angeschaut, während er gesprochen hatte, aber jetzt hob er langsam den Blick und sah T'Challa direkt in die Augen. „Okay.", wisperte er. „Du stimmst zu?", versicherte sich der König. „Ja. Damit du endlich Ruhe gibst." „Pass auf was du sagst Barnes. In Wakanda habe ich als König wesentlich mehr Ansehen als hier. Einen derartigen Ton in Gegenwart meiner Person anzuschlagen, der auch noch gegen mich gerichtet ist, könnte dich schneller in Schwierigkeiten bringen, als du glaubst." Bucky schnaubte belustigt. „Oh bitte. Nicht mal deine Leibgarde hat eine Chance gegen mich." „Da bin ich mir sicher." T'Challa lächelte und ließ ihn los. Das war tatsächlich besser gelaufen, als er erwartet hatte. Er war sich sicher, dass Bucky in Wakanda bleiben würde, wenn er einmal dagewesen war. Bei ihm. Vielleicht war T'Challa ja irgendwann einmal in der Lage, endlich die schlechten Erinnerungen seines Freundes durch neue, schöne zu ersetzten. Und wer wusste schon, was die Zukunft noch brachte? 

OneshotsWhere stories live. Discover now