Winterwitch

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„Du bist grausam." Kaum, dass sie die Stimme vernahm, erlosch das rote Leuchten in Wandas Augen und sie drehte sich ruckartig um. Sie kannte die Stimme und den Mann, dem sie gehörte sehr gut. Und sie liebte beide. Auf James Gesicht lag ein undefinierbarer Ausdruck und sie spürte einen leichten Stich, als ihr klar wurde, was er gesagt hatte. Langsam, durch eine unerklärliche und plötzliche Anspannung ihres Körpers verhindert, trat sie einen Schritt auf ihn zu, die Hände noch immer krampfhaft zu Fäusten geballt. „Was hast du gesagt?" Wanda hatte die Worte zwar gehört, aber sie wollte nicht glauben, dass sie wirklich aus seinem Mund gekommen waren. So etwas würde er ihr doch nie sagen – oder? „Das du grausam bist, Wanda. Eine scheußliche Hexe." Augenblicklich hatte sie das Gefühl, ihr Brustkorb würde sich schlagartig zusammenziehen. Sie tat einen erschrockenen Atemzug, bekam ihre Lunge aber kaum gefüllt. Einem Fisch auf dem Land gleich ging ihr Mund auf und wieder zu, gleichzeitig spürte sie den Stich erneut – und stärker. James sah, was seine Worte anrichteten, sein Gesicht jedoch blieb ausdruckslos, er zeigte keinerlei Regung. Wanda griff an ihren Hals und zwang sich mit aller Macht, trotz dass sie schlecht Luft bekam, ruhig und gleichmäßig weiter zu atmen. Stück für Stück beruhigte sie sich und das beklemmende Gefühl wurde schwächer. „Warum tust du das?" Sie sah zu James. Gleichzeitig gaben ihre Knie nach und sie stürzte zu Boden. Kleine Kiesel gruben sich in ihre Handflächen und schrammten sie auf. „Monster wie du haben es verdient, genauso zu leiden wie ihre Opfer." Ein stechender Schmerz durchzuckte ihren Kopf und Wanda riss ihre Hände hoch, um sie dagegen zu drücken. „Hör auf James!", schrie sie und presste voller Verzweiflung die Finger gegen ihre Schläfen. Tränen bildeten sich in ihren Augen, nahmen ihr die Sicht und ließen den Boden vor ihr zu einer einzigen Masse verschwimmen. Das konnte nicht James sein! Er würde unmöglich so etwas tun können, er würde ihr nie wehtun oder sie verletzten. Wanda wimmerte erleichtert, als der Schmerz aus ihrem Kopf zurückwich. Schwer atmend setzte sie sich auf und ließ die salzigen Tränen über ihre Wange laufen. „Das bist nicht du, James. Sie kontrollieren dich wieder." Sie merkte, wie sehr ihre Stimme zitterte, wie sehr auch ihr ganzer Körper zu beben begann. Aus Angst. James blieb stumm, kam aber auf sie zugelaufen und blieb vor ihr stehen. Wanda sah zu ihm hinauf. „Bitte, komm wieder zurück. Das bist nicht du.", flehte sie flüsternd. „Ich hasse dich." Die Macht seiner Worte traf sie wie ein Schlag vor den Kopf und schleuderte sie rückwärts, sodass sie hart auf dem Boden aufschlug. Ihr gesamter Körper war eine einzige Welle des Schmerzes, die sie von innen auffraß und zermalmte. Sie schrie sich die Stimme aus der Kehle, ehe sie ohnmächtig wurde und sich der erlösenden Schwärze hingab.

Wanda war schlagartig wach. Sie hasste diesen Traum. Er verfolgte sie nächtelang, machte sie wahnsinnig, machte sie verrückt. Es war ihre größte Angst, die sie heimsuchte. Die Angst davor, dass James etwas zustoßen oder sie ihn verlieren könnte und er sie dafür hasste. Ihr war leicht schwindelig und etwas übel. Vorsichtig setzte Wanda sich auf und griff nach dem Glas Wasser, dass sie extra für jetzt auf ihrem Nachttisch stehen hatte. Die prickelnde Kohlensäure ließ sie wieder etwas wacher werden und runter kommen. Kaum war das Glas geleert stellte sie es weg und atmete ein paar Mal tief ein, bis sie sich so weit gefasst hatte, dass sie sich in der Lage fühlte, aufzustehen. Da sie sah, dass James nicht neben ihr lag, ahnte sie, dass er nicht schlafen konnte und irgendwo herumgeisterte. Sie brauchte jetzt einfach seine Gesellschaft und machte sich auf die Suche nach ihm. Fündig wurde sie in der Küche. Ihr Freund starrte von dort aus gedankenverloren durch das Fenster in die dunkle, wolkenverhangene Nacht. Wanda stellte sich neben ihn. „Hey Liebling. Kannst du auch nicht schlafen?" Sie räusperte sich, um das heisere aus ihrer Stimme zu bekommen. „Nein." James hatte die Hände auf die Küchenablage vor ihm gestützt, jetzt aber stieß er sich davon ab und drehte sich zu ihr. „Du hast deinen Traum auf mich projiziert." Wanda schluckte schwer. Das hatte sie nicht gewollt, niemals! „Ich kann mich im Schlaf einfach nicht kontrollieren, es tut mir so lei - " „Ist schon gut.", unterbrach James sie mit ruhiger Stimme und zog sie an sich, weil er sah, dass ihr die Tränen in die Augen stiegen. „Wirklich, ich wollte das nicht!", schluchzte Wanda los und schlag ihre Arme fest um ihn. „Ich weiß. Es ist alles gut. Beruhige dich." Vorsichtig löste er ihre Arme von sich, ehe er sie hochhob und zurück ins Schlafzimmer trug. Dann legte er sie auf das Bett. Sie umklammerte ihn wie ein Ertrinkender eine Rettungsleine und wollte ihn gar nicht mehr loslassen. „Wanda, lass mich bitte nur für einen Moment los, okay?" „Du darfst mich jetzt nicht allein lassen!" „Das hatte ich doch gar nicht vor." Wanda gab ihn wiederwillig frei und James legte sich neben sie. „Schau, ich habe dich nicht allein gelassen." Sie nickte und drückte sich wieder an ihn. „Danke dass du da bist.", murmelte sie. „Ich liebe dich." „Ich dich auch." Er zog sie noch näher an sich und gab ihr einen Kuss. „Versuch wieder zu schlafen." Wanda legte eine Hand an seine Wange. „Und wenn ich wieder projiziere?" „Das wirst du nicht Engel. Mach dir diesbezüglich keine Sorgen." Sie seufzte leise. „Okay. Schlaf gut James." „Gute Nacht, Wanda."

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