Winterfrost

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~ Eigentlich wollte ich den Os einzeln veröffentlichen, deshalb das Bild . . . davon gibt es auch noch eine andere Version, mit demselben Titel, die ich auch irgendwann veröffentlichen werde^^

Engel müssen fliegen.
Es war ihre Bestimmung, glücklich am Himmel zwischen weißen Wolken umherzufliegen und auf die verbliebenen auf der Erde zu achten. Frei zu sein. Loki blickte nachdenklich auf seinen eigenen Engel hinunter. All das konnte er nicht. Er konnte nicht fliegen. Er war nicht frei. James war nur noch hier, weil er ihn nicht gehen lassen konnte. Weil er klammerte. Weil er festhielt, was ihm wichtig war und was er von ganzem Herzen liebte. Er wollte und konnte ihn einfach nicht verlieren. James Liebe und sein Körper waren das wertvollste, was Loki je besessen hatte. Er wäre dumm, wenn er all das wegwerfen würde, oder allein schon darüber nachdachte. Loki blinzelte verwirrt, als sich James bemerkbar machte, und ihn aus seinen Gedanken holte. Seine Lippen bewegten sich und er murmelte etwas Unverständliches im Schlaf, ehe er mit der Hand in die Luft schlug, nach etwas, dass nur in seinen Träumen vorkam. Loki wusste, wie das Ganze enden würde, und er beschloss, James zu wecken. Ihm brach jedes Mal das Herz, wenn er schrie, von all dem geplagt, was seine Erinnerungen mit sich brachten. „Wach auf Darling." Es reichte, wenn er James nur leicht an der Schulter berührte, schon war dieser wach. Sein Atem ging schnell und Loki wusste, wie rasend auch sein Herz schlug. Meistens war er etwas weggetreten, wenn er aufwachte. „Es ist alles gut. Du bist in Sicherheit." Er griff nach James Hand und drückte sie vorsichtig. „Loki?" Etwas überrascht, dass er so schnell reagierte, verstärkte er seinen Griff um James Hand. „Ja?" „Du musst mich umbringen." James flüsterte die Worte kaum hörbar, aber Loki verstand sie trotzdem. Und sie jagten ihm Schauer über den Rücken. „Bitte.", flehte James verzweifelt, fast weinerlich. Loki schluckte. Er war nicht ganz bei Sinnen. Ganz sicher lag es daran. Es musste so sein. Ansonsten würde er doch so etwas nie sagen. Loki wusste nicht, was er antworten sollte. Vielleicht sollte er James verwirrten Geist beruhigen und ihm sagen, dass er es für ihn tun würde? Bestimmt erinnerte er sich am nächsten Tag nicht mehr daran und er würde absolut nichts tun und ihn daran erinnern. Loki wusste, dass er James nicht umbringen konnte. Niemals. „Okay.", gab er ebenso leise zurück und hoffte wirklich inständig, dass James dieses „Gespräch" vergessen würde. „Versprich es." „Ich verspreche es." Hoffentlich kam er aus dieser Nummer wieder raus. Selbst wenn er dazu auch noch James Gedächtnis manipulieren musste – obwohl er das nicht wagen würde, denn sonst würde er ihm gegenüber ein weiteres Versprechen brechen. „Jetzt schlaf wieder ein." Loki drückte seinen Freund mit sanfter Gewalt zurück auf sein Kissen und löste den Griff um seine Hand. Binnen weniger Sekunden atmete James wieder ruhig und friedlich und Loki war etwas beruhigt. Was er gesagt hatte, bereitete ihm trotzdem Sorgen. Wenn James so etwas sagte, musste es schließlich irgendeinen bestimmten Grund dafür geben. Allerdings könnte er sich auch Morgen noch den Kopf darüber zerbrechen, sonst würde er diese Nacht keine einzige Stunde Schlaf mehr finden. Loki warf einen Blick auf James ruhige Gestalt neben sich, um sich zu versichern, dass es ihm wirklich gut ging, ehe er es wagte, selbst die Augen zu schließen und einzuschlafen.

~

„Ich weiß genau war ich gesagt habe. Und was du geantwortet hast. Warum hast du nicht die Wahrheit gesagt?" James Stimme war ausdruckslos, genauso wie seine Gesichtszüge, aber Loki konnte an seinem Blick ablesen, wie verletzt er sich fühlte. Er war ein Mensch, den man nicht mehr belügen durfte und obwohl er das wusste, hatte Loki es trotzdem versucht. Es war schon immer Teil seines Lebens gewesen, sich mit größeren oder kleineren Lügen und Schwindeleien durchzubringen und manchmal kamen eben alte Gewohnheiten wieder auf. „Hör mal Darling, ich weiß nun mal, dass ich so was nie tun könnte, zumindest nicht bei dir. Und deshalb dachte ich, du warst vielleicht nicht bei Verstand und vergisst die ganze Sache wieder. Und deshalb – " „Versuchst du, mich anzulügen? Anstatt mir einfach die Wahrheit zu sagen? Ist das denn so schwer?", unterbrach ihn James. Loki senkte den Kopf. „Ja. Es ist ein Teil von mir, ich bin so. Es ist seltsam, nicht zu lügen. Man Gewohnheiten nicht von den einen auf den anderen Tag loswerden." „Versuchst du dich jetzt rauszureden?" James verschränkte die Arme. „Nein!" Das Gespräch lief nicht gut, soweit man es überhaupt noch Gespräch nennen konnte. Loki hatte Angst, dass es in einer Auseinandersetzung enden könnte, und das letzte, was er gerade haben wollte, war Streit mit seinem Freund. Überhaupt hatte er, seitdem er James kannte, mehr Angst. Angst vor Streit, Angst dass es James nicht gut ging, Angst vor seinen Gefühlen, Angst das Falsche zu tun. „Okay, pass auf.", versuchte er in einem versöhnlichen Tonfall weiterzureden, ohne das seine Stimme zitterte, „Ich weiß das es falsch war, dir zu sagen, ich hätte nicht versprochen dich ... umzubringen." Es kostete Loki einiges an Überwindung, das letzte Wort auszusprechen. „Aber das liegt nur daran, dass ich mein Versprechen nicht halten kann, weißt du James? Es ist unmöglich! Ich hätte niemals gedacht, dass mir jemand außerhalb meiner Familie so wichtig werden könnte, aber du, du bist einfach so anders als alle die ich kenne, und das sind nicht gerade wenige. Und ich liebe dich wirklich mit ganzem Herzen - und auch das hätte ich nie für möglich gehalten! Du hast mein Leben mehr als verändert, und ich kann mir einfach nicht vorstellen, wie ich es ohne dich aushalten soll, was würde meinem Leben denn dann noch Sinn geben?" Loki war beim Reden immer näher an James heran getreten und stand nun direkt vor ihm. „Es tut mir so leid, dass du mit so einem Schwächling zusammen bist, aber auch so bin ich. Ich lüge und betrüge, manipuliere und nutze alles zu meinem Vorteil aus und doch bin ich nichts weiter als ein kümmerlicher Versager." James blieb still und sah ihm fest in die Augen. Loki atmete tief ein, um seiner Rede ein Ende zu setzten. „Ich kann dich nicht loslassen Darling. Dazu habe ich einfach nicht die Kraft." James blieb für einen Moment lang stumm. Loki sah, wie er die ganzen Informationen verarbeitete, die er soeben gehört hatte. Dann klärte sich sein Blick. „Du bist nicht schwach.", erklärte er leise und griff nach Lokis Händen, umklammerte sie fest. „Ich weiß, was ich da von dir verlange und dass es eine riesige Bürde ist. Aber ich weiß nicht, wer es sonst tun könnte. Ich will wirklich sterben Loki, auch wenn ich dich ebenfalls liebe, wie noch niemanden zuvor. Aber dieses Leben ist nicht das richtige für mich. Ich hätte schon seit siebzig Jahren tot sein sollen." Loki schluckte. Es war James sehnlichster Wunsch, zu sterben, und das durch seine Hand. Aber er könnte doch nie, niemals auch nur irgendeine einzige Waffe auf ihn richten. James schien zu wissen, welcher innere Konflikt seinen Freund plagte. Er ließ seine Hände los und zog Loki stattdessen an sich, schlang seine Arme fest um seine Mitte und vergrub das Gesicht an seiner Schulter. Loki stieß nur ein überraschtes Geräusch aus, ehe er James ebenfalls an sich drückte. Dann umfasste er sein Gesicht mit beiden Händen und zwang ihn, ihn anzusehen, ehe er ihm einen Kuss gab. James brach jedoch nach ein paar Sekunden ab, und erklärte leise: „Ich weiß, dass du es kannst." Loki spürte, wie sich Tränen in seinen Augen bildeten, als er antwortete. „Ich mach es." James nickte, Erleichterung in seinem Blick, ehe er Loki wieder näher zu sich zog und ihn küsste – diesmal ohne abzubrechen.

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Loki erinnerte sich an diese beiden Ereignisse. Sie hatten sich tief in sein Gedächtnis eingebrannt und er würde sie nie, nie wieder vergessen. Genauso wenig wie diesen Moment. Und dieses Gefühl. Dieses Gefühl, das richtige getan zu haben, obwohl es sich so falsch anfühlte. Er hatte James, der Liebe seines Lebens, seinem Engel, den Gefallen getan. Der schlimmste Gefallen, um den er je gebeten worden war. Er hatte ihm seinen in gewisser Weise letzten Wunsch erfüllt und für ihn seine Hände hoffentlich ein letztes Mal mit Blut besudelt – nur für ihn. Loki hatte James toten Körper an sich gedrückt und ihn gehalten, während das letzte bisschen Leben aus ihm gewichen war. Er hatte es wirklich getan. Er hatte losgelassen. James war frei. Sein Engel konnte nun fliegen, wie es seine Bestimmung vorsah. Denn Engel müssen fliegen. 

OneshotsWhere stories live. Discover now