Scarletwidow

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Erschöpfung. Sie war Natascha Romanoff, sie war nie erschöpft! Außer jetzt. Ihre Sicht verschwamm mit jedem Blinzeln vor ihren Augen, deren Lieder schwer wie Blei waren. Ihr ganzer Körper fühlte sich ausgelaugt an, schwach und müde. Ja, die Müdigkeit war es, die sie in diesen dämmrigen Zustand trieb. In einen Zustand, indem sie angreifbar und verletzlich war – auch wenn sie nur wie eine leblose Puppe am Küchentisch saß und in eine Tasse längst kalt gewordenen Tees starrte. Um diese frühe Uhrzeit war noch niemand der anderen Avengers wach und sie hatte den Tower praktisch für sich allein. Das dachte sie zumindest. Natascha wollte nicht schlafen, weil sie Angst hatte. Sie gab es nicht gern zu, eigentlich überhaupt nicht, aber wenn sie schlief, dann würden die Alpträume wiederkehren. Sie wusste, dass jeder im Team mit ihnen zu kämpfen hatte, denn ihre inneren Dämonen suchten sie immer dann auf, wenn sie eigentlich Ruhe brauchten, um sich zu erholen. Eigentlich hatte sie es seit mehreren Jahren erfolgreich geschafft, dass die Träume sie nicht mehr mitnahmen, aber seit neustem waren sie intensiver, bedrohlicher, tödlicher. Natascha tötete mehr als nur ihre Teamkollegen, ihre Freunde, ihre Familie. Sie tötete Wanda – ihr ein und alles. Auch wenn sie das ebenfalls nicht zugab. Die junge Frau aus Sokovia hatte etwas mit ihr angestellt, hatte sich in ihre Gedanken geschlichen und ihr Herz gestohlen – und das ohne, dass sie es wirklich bemerkt hatte. Natascha war allerdings das Gegenteil von dem Typ Menschen, der seine Gefühle offen zeigte. Und sie hatte Angst davor, dass Wanda sie abweisen würde, wenn sie die Wahrheit kannte. Natascha war so sehr in ihre Gedanken vertieft – und versuchte sich dabei auch noch krampfhaft wachzuhalten – dass sie die leisen Fußschritte nicht hörte, die sich ihr vorsichtig näherten. Erst, als sie eine andere Präsenz direkt hinter sich spürte, schlugen ihre Spionen – Sinne endlich Alarm und Natascha wirbelte herum, wobei sie fast vom Stuhl kippte. Sie schaffte es, sich aufrecht zu halten, während ihre Hände reflexartig nach einer möglichen Waffe suchten und jedoch ins Leere griffen. „Deine Reaktion war langsam." Wanda hatte den Kopf leicht schief gelegt, während ein amüsierter Ausdruck ihr hübsches Gesicht zierte. Natascha schluckte und wagte es, sich wieder zu beruhigen und ihre angespannten Muskeln wieder zu entspannen. „Was machst du schon so früh hier?", fragte sie, während sie der kratzige und raue Klang ihrer Stimme überraschte. „Das Gleiche könnte ich dich fragen. Du siehst müde aus, Natascha. Wann hast du das letzte Mal geschlafen?" „Ich bin nicht müde!", stritt die Rothaarige ab, und drehte ihr demonstrativ den Rücken zu. Sie hatte so viel Vertrauen in die andere, dass sie den Fokus ihrer Aufmerksamkeit nicht auf sie legen musste, weil von ihr, im Moment zumindest, keine Gefahr ausging. Wanda lachte leise über ihre Reaktion. Sie benahm sich in dem Moment eher wie ein trotziges kleines Kind, als wie die gefürchtete Black Widow. „Man muss kein Meisterspion sein, um die Ringe unter deinen Augen zu bemerkten." Natascha erwiederte nichts darauf. Stattdessen blickte sie wieder auf ihre Tasse, die immer noch unangerührt auf dem Tisch stand. War es wirklich so offensichtlich, dass sie an Schlafmangel litt? Sie hatte es doch sonst auch immer geschafft, ihre Probleme vor anderen zu verbergen, darin war sie Spezialistin, dazu war sie ausgebildet worden. Plötzlich legte sich eine warme Hand sanft auf ihren Arm. Nataschas Training war soweit noch nicht beeinflusst, dass sie verhindern konnte zusammenzuzucken. Sie spürte, dass Wanda noch einen Schritt näher an sie herantrat. Ihr Rücken musste nur noch wenige Zentimeter von ihrem Oberkörper entfernt sein. Sie schaffte es, ihre Atmung unter Kontrolle zu halten, auch wenn das bei ihrer mangelnden Konzentration nicht einfach war. „Vertraust du mir?", wisperte Wanda, und ihr Atem streife dabei Nataschas Ohr. Gänsehaut kroch über ihren Rücken, und über ihre Arme. Aber mit der Antwort brauchte sie nicht zögern. „Ja." Wanda bewegte sich erneut, brachte sich in eine andere Position, ehe sie Natascha am Arm sacht vom Stuhl zog. Die Andere unternahm nichts dagegen. Sie brach auch nicht in Proteste aus, wie Wanda es fast erwartet hätte, sondern ließ sich von ihr aus dem Raum und durch die Flure ziehen, wobei sie eher vor sich hin torkelte, als dass sie normale Schritte machte. Sie war zu müde, um anzuzweifeln, was genau Wanda eigentlich vorhatte. Sie akzeptierte ihr Schicksal einfach. Als Wanda schließlich anhielt und Natascha bemerkte, wo genau sie waren, weiteten sich ihre müden Augen für einen kurzen Moment vor Überraschung. Selbstverständlich erkannte sie ihr eigenes Zimmer wieder und sie musste zugeben, dass ihr Bett tatsächlich wirklich sehr, sehr verlockend aussah. Aber wenn sie jetzt die Augen schloss . . . Die Wärme von Wandas Hand um ihren Arm verschwand, während sich die braunhaarige auf Nataschas Bett setzte und die Beine überkreuzte, sodass sie nun im Schneidersitzt auf der Matratze thronte. Dann klopfte sie auffordernd mit der Hand auf den freien Platz vor sich. Natascha starrte abwechselnd sie und dann die Bettdecke an, verwirrt und unsicher. Unsicher, weil sie die Schlaflosigkeit dazu trieb? Sie konnte nicht verhindern, dass sich ihr Herzschlag beschleunigte, als sich ihre Beine wie ferngesteuert in Bewegung setzten, und sie Wandas stummer Aufforderung folgte. Sie rollte sich auf ihrem Bett zusammen, währen ihr Kopf leicht das Knie der jungen Hexe streifte. Nataschas Finger krallten sich in die Decke unter ihrem Körper, angespannt, aber sie bemerkte auch, wie wohltuend sich die weiche Matratze unter ihr anfühlte. Sie lud sie förmlich dazu ein, darin zu versinken und zu schlafen. Ehe sie sich mit ihren Gedanken wieder dazu bringen konnte, weiter wach zu bleiben und die Augen offen zu halten, begann Wanda plötzlich leise zu sprechen. Sie erzählte von ihrer Heimat Sokovia, von ihrem Bruder Pietro, ihrer Familie und einem Leben, welches jetzt der Vergangenheit angehörte. Dabei schwang ihr Akzent stärker als gewöhnlich in ihrer Stimme mit. Natascha entspannte sich merklich, wenn auch ungewollt, während ihrer Erzählung und der sanfte Ton in der Stimme der jüngeren Frau lullte sie ein wie Watte. Irgendwann spürte sie Wandas Hand auf ihrem Kopf, wie sie ihr sacht durch das Haar strich. Kleine rote Nebelfetzten bildeten sich um ihre Finger und umkreisten Nataschas Kopf, bis sie schließlich über ihrer Stirn verpufften. „Schlaf, Natascha.", wisperte Wanda. Dann fuhr sie fort, über ihr Leben und ihre Heimat zu sprechen, während Nataschas Augenlieder immer schwerer wurden, bis sie sie letzten Endes nicht mehr offen halten konnte und schloss. Von Wandas Stimme in den Schlaf begleitet, träumte sie wieder. Aber dieses Mal nichts Schreckliches oder Grauenvolles. Nein, sie träumte Wunderbares, und ein winziges, kaum sichtbares Lächeln umspielte ihre Lippen. 


OneshotsWhere stories live. Discover now