Kapitel 40

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Die Leute hören auf zu reden und schauen mich neugierig an. Ich kann von hier oben erkennen, dass viele Molanya mit ihren Beinen zittern.

Ich falte den Zettel langsam und mit zitternden Fingern auseinander, ohne hinzugucken. Als ich ihn komplett entfaltet habe, senke ich meinen Kopf nach unten. Das Stück Papier wurde mit einem großen, roten Kreuz versehen. Es scheint zu bluten. Rote Tropfen lösen sich von dem Kreuz und fallen von dem Papier hinunter auf den Boden, wo sie zu einer Blutpfütze zerplatzen. Ich kann die Gedanken der Molanya schon beinahe hören, so wie sie mich alle anstarren. Sie wollen, dass ich ihnen den Zettel zeige. Ich stellen mich an den Rand des Daches und halte den Zettel so, dass alle ihn sehen können. Als sie das Kreuz sehen, schreien einige. Ich springe ohne nachzudenken auf das kleine Dach über dem Eingang zum Gebäude. Und von da aus dann auf den Boden, ohne mir weh zu tun. Das Einzige, was ich jetzt will, ist mit Fynn zu reden. Nichts anderes. Ich drängle mich durch die Menschenmenge und schaue mich energisch um. Versehentlich renne ich dabei gegen ein paar umstehende Leute. Plötzlich hält mich jemand am Arm fest und bleibe abrupt stehen.

„Fynn!", stoße ich erleichtert aus.

„Kate, ich muss mit dir reden. Jetzt, unter vier Augen. Ist das okay?"

„Ja, klar. Ich wollte auch mit dir reden."

Die Leute rufen mir alle hinterher : „Kate, was heißt das?" „Was hat das zu bedeuten?" „Hilf uns doch, Kate!"

Gemeinsam quetschen wir uns durch die immer enger werdende Menschenschicht, bis wir es zum Wald geschafft haben. Wir laufen tief in das sichere Gebüsch. Hinter einem breiten Baum bleibe ich außer Puste stehen.

„Fynn, was hat das zu bedeuten?", frage ich keuchend und hebe den Zettel hoch, der fast ganz verschmiert ist, da die rote Flüssigkeit zerlaufen ist.

„Avee wurde markiert. Sie hat dieses Kreuz erhalten, weil es für sie vorgesehen war, zu sterben. Jeder, der solch ein Kreuz erhält, wird ermordet. Warum dies geschieht, wissen wir allerdings nicht, aber wir sind nah daran, es herauszufinden."

„Woher weißt du das alles?", frage ich tief.

„Ich habe dir doch erzählt, dass ich ein Zukunftsblicker bin. Ich sehe Dinge, die in ferner Zukunft passieren und warum sie passieren, aber in diesem Fall kann ich es nicht sehen, denn es ist Schicksal. Die Zukunft kann sich immer ändern, aber das Schicksal eines Menschen wird von der Geburt an festgelegt."

„Du hast eben von wir gesprochen. Meintest du damit meinen Vater, ich meine Aragorn, und dich?"

„Du stellst ganz schön viele Fragen. Aber gut. Ja, damit meine ich deinen Vater und mich", meint er kurz, ohne weitere Details hinzuzufügen.

„Und weiter?", bohre ich nach, ich will schließlich alles erfahren, was mir verschwiegen wurde.

„Er hilft mir, mit meinen Eindrücken fertig zu werden."

„Was meinst du damit?", unterbreche ich ihn.

„Ich habe mit meiner Fähigkeit auch Probleme. Manchmal komme ich mit dem, was ich sehe nicht ganz klar. Zum Beispiel, als ich gesehen habe, wer auserwählt wird."

„Kannst du mir denn jetzt sagen, was du gesehen hast, oder vertraust du mir nicht?", frage ich ruhig.

„Das weißt du doch, warum muss ich es dir dann sa-", er unterbricht sich selbst und fährt fort. „Du und Luca. Es hat keinen Sinn, sich vor dir zu rechtfertigen."

„Was hast du noch gesehen?"

„Du hast einen Drachen bekommen, den du vor uns allen geheim hältst, weil du Angst hast, dass jemand ihm weh tut. Er stammt aus einer Kette, die du von Galacsya erhalten hast", fügt er hinzu.

„Okay, dass ist unheimlich Fynn", gebe ich zu. „Ich habe ein bisschen Angst, dich das zu fragen, aber hast du gesehen, ob Luca und ich es schaffen werden?"

„Das kann ich dir nicht beantworten Kate. Die Zukunft wird sich, wenn der Zeitpunkt gekommen ist, noch hundert Male ändern. Wenn es soweit ist, werde ich vermutlich unter all dem Druck zusammenbrechen. Tu mir einen Gefallen und gib dir Mühe, dass der Weg nicht allzu rasant wird."

„Oh. Ich werde es versuchen", sage ich bedrückt und gucke auf den Boden.

Das habe ich nicht gewusst. Ich habe nicht gewusst, dass mit der Fähigkeit eine solche Last auf einem liegt.

„Ähm, Kate?"

„Ja. Was ist los?", frage ich traurig.

„Auch, auch wenn du mich nicht immer gesehen hast, ich war immer bei dir und habe dich gesehen, dich beschützt. Ich möchte, dass du das weißt. Ich will nicht, dass du denkst, dass du mir völlig egal bist, denn.... das bist du nicht. Du bist etwas besonderes für mich und das nicht nur wegen deiner Fähigkeiten", gesteht er mir.

Ich schaue ihn besorgt an. Er hat Gefühle für mich entwickelt? Das ist gar nicht gut. Erstens, ich habe Luca und zweitens, ich werde bald nicht mehr da sein...

„Fynn, ich, ich... Das kommt jetzt sehr unerwartet. Ich finde du bist nett und ein sehr liebenswerter Mensch, aber ich bin in Luca verliebt. Hast du das nicht gesehen? Du hast mich ja beobachtet", erwidere ich leise.

„Doch, ich habe euch gesehen und es hat mich unendlich traurig gemacht, dass ich beinahe durchgedreht wäre", sagt er mit einem ironischen Lachen.

In seinen Augen kann ich sehen, dass dort jedem Moment eine Träne kullern könnte. Er tut mir so leid.

„Fynn", sage ich verzweifelt, weil ich nicht möchte, dass er weint.

„Wieso magst du ihn?", fragt er plötzlich ernst. „Ich will eine ehrliche Antwort haben", fordert er. „Was macht ihn so besonders in deinen Augen, was ich nicht habe?"

„Luca ist immer für mich da. Ich kann mit ihm über alles reden. Er hat mich zum Lachen gebracht, mich beschützt, um mich gekämpft. Du warst nie da. Du hast hinter meinem Rücken über mich geredet. Ich weiß einfach nicht, was ich davon halten soll Fynn", weine ich fast.

„Ich habe dir doch gesagt, ich war da, auch wenn du mich nicht gesehen hast."

„Das hilft mir aber nicht."

Er sagt daraufhin nichts, sondern guckt nur auf den Boden und will weggehen. Ich stoppe ihn und nehme ihn in meine Arme.

„Ich mag dich aber trotzdem sehr gerne, auch, wenn ich mit Luca zusammen bin", versuche ich ihn aufzuheitern.

„Du musst mir das nicht einreden, damit es mir besser geht. Ich werde dich niemals haben können, aber ich will, dass du weißt, dass ich dich beschützen werde und, dass Luca vielleicht nicht der ist, den du kennengelernt hast. Vielleicht hat er auch eine andere Seite, eine, die du vielleicht noch nicht kennst", grummelt Fynn und geht einfach fort.

Die ElementehüterinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt