Kapitel 86

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Für eine kurze Zeit wird mein Körper von Freude durchströmt. Ich habe es geschafft, die Menschen zu befreien, doch mein Gefühl verfliegt schnell wieder, als ich merke, dass wir es noch nicht geschafft haben, die Festung zu verlassen. Wir haben erst die Hälfte des Weges gemeistert. Und wer weiß, ob wir schon den schlimmsten Teil hinter uns haben oder nicht. Diese Erkenntnis lässt mich zweifeln. Doch ich rede mir dazwischen; Du darfst jetzt nicht zweifeln. Dafür ist keine Zeit. Du hast eine Aufgabe, die du erfüllen musst, bevor es zu spät ist.

Ich stelle mich vor den Ausgang und bitte die Leute um Ruhe. Fynn stellt sich neben mich und schaut in die Menschenmenge. Dabei spüre ich die Hitze, die von ihm ausgeht.

„Wir haben es geschafft, euch zu befreien, aber wir haben es noch nicht geschafft, diese Festung zu verlassen. Wir müssen hier ungesehen herauskommen. Ihr müsst hier ungesehen herauskommen", brülle ich in die Menge, damit mich jeder hört, ungeachtet dessen, dass Wachen mich hören könnten.

„Folgt mir!", ruft Fynn und geht vor.

Fynn und ich und unser ganzes Volk gehen die Treppe hoch. Leise gucke ich um die Ecke, als wir oben angekommen sind. Die Luft ist rein. Ich winke die Menschen zu mir und bedeute ihnen, ganz leise zu sein, damit wir nicht entdeckt werden.

Wir schleichen um die Ecke und laufen durch ein Labyrinth der Gänge. Ich habe mir den Weg aber gemerkt, da ich ein sehr gutes Gedächtnis habe. Ecke um Ecke, Wand um Wand. Mir kommt der Weg immer bekannter vor, je tiefer wir vordringen. Doch gerade als ich um die nächste Ecke biege, stürmen zwei Seelen auf mich zu.

Sofort feure ich meine Pfeile auf sie ab und sie zerfallen zu Staub. Gerade noch im richtigen Moment. Hätte ich sie nur einen Moment später bemerkt, wäre ich jetzt wahrscheinlich tot.

Wir laufen weiter, bis wir das Zentrum erreicht haben. Dort bleibe ich stehen und riskiere einen Blick auf den Hof, den Tokatos eben mit seinem Feuer bedroht hat. Oh nein! Tokatos wurde mit dicken Seilen gefesselt.

Die Taue wurden mit dicken Nägeln am Boden befestigt. Viele Seelen schlagen auf ihn ein. Seine Haut bekommt dadurch zwar keinen Schaden, aber ich will trotzdem nicht, dass sie Toki schlagen. Ich kann das nicht mehr mit ansehen. Ich muss etwas dagegen unternehmen.

„Fynn, bring die Menschen hier raus", befehle ich ihm, während ich immer wieder Blicke zu Tokatos werfe.

„Mach ich. Versprich mir, dass du vorsichtig sein wirst."

„Ich verspreche es", antworte ich, drücke ihm einen kleinen Kuss auf die Wange und setze mich auf die Mauer vor uns.

Es sind ungefähr zehn Meter bis unten. Ich drehe mich noch einmal um und sehe, wie mein Papa sich verzweifelt versucht einen Weg durch die Menschenmenge zu bahnen. Ich forme mit meinen Lippen noch ein „Ich habe dich lieb", und springe dann runter zu Tokatos. Freier Fall. Mein Bauch kribbelt, als würden unzählige Schmetterlinge dort herumflattern. Ich bekomme für einen kurzen Moment kaum noch Luft. Es ist ein wunderbares Gefühl. Ich fühle mich für diesen einen kurzen Moment frei.

Sofort als ich auf den Boden aufpralle, drehen sich alle Seelen zu mir um. Auch Tokatos hat seine Augen auf mich gerichtet. Er schüttle unauffällig den Kopf, doch ich renne in die Menge hinein und schieße Pfeile auf die Seelen ab, die sich mir in den Weg stellen. Ich dringe bis zu Tokatos vor, ohne verletzt zu werden. Ich durchtrenne die Seile mit meinem Schwert und springe dann schnell in den Sattel. Sofort schießen wir beide in die Luft.

'Danke, Kate', denkt Tokatos. 'Aber was hast du dir dabei gedacht? Du hättest verletzt werden können.'

'Kein Problem. Und ja, ich habe dich auch lieb, weshalb ich dich befreit habe', antworte ich sarkastisch, schmiege mich dann aber an seine raue Reptilhaut.

Wir umkreisen die Festung und halten Ausschau nach Fynn und unserem Volk, die es hoffentlich unversehrt aus der Burg geschafft haben. Ich kann sie noch nicht sehen, also entscheide ich mich dazu, noch ein bisschen um die Burg zu fliegen, um alles im Überblick zu haben. Der Wind peitscht mir ins Gesicht und meine Augen blinzeln wegen der Kälte, die hier oben herrscht.

Plötzlich höre ich einen lauten Schrei hinter mir. Tokatos wendet sofort und ich sehe, von wem der Schrei ausging. Vor Tokatos und mir schwebt Galacsya auf einem schwarzen Drachen. Ihre Augen gleichen denen, eines Wolfes. Tiefschwarz und sie scheinen mich zu durchbohren. Ihre finstere Miene gibt mir nicht gerade das Gefühl, dass sie auf Frieden aus ist.

„Genieße deinen letzten Flug, Kate", ruft Galacsya und wirft ein Messer auf mich.

Ich lege meinen Kopf schnell auf den Rücken von Tokatos und weiche so der Klinge aus. Sie befiehlt ihrem Drachen, Feuer zu speien. Eine riesige Feuerwolke bewegt sich gefährlich nah auf uns zu. Tokatos schießt auf den schwarzen Drachen zu und beißt ihm mit voller Kraft in den Hals. Dieser schreit und taumelt nach unten.

'Es ist ein Drage', ruft Tokatos in Gedanken.

'Wir müssen an seine Klauen', denke ich.

Der Drage fängt sich wieder und ich schieße Pfeile auf meine Ex-Göttin. Sie wehrt diese mit ihrem Schwert ab.


'Tokatos, halt mich bitte gut fest', denke ich, als mir eine Idee kommt, wie wir an die Klauen des Dragen herankommen.

Ich lasse die Hörner los und klettere an seinen Beinen hinunter. Ich kralle mich an seinen Klauen fest. Tokatos ballt diese zu einer Faust, sodass ich guten halt habe. Ich hänge in der Luft. Ich schaue nach unten. Fynn. Ich sehe Fynn mit all den wehrlosen Menschen. Sie haben es geschafft, aus der Festung zu kommen. Ich muss mich beeilen, bevor Galacsya sie sieht. Sonst ist alles verloren.

Tokatos versteht und steuert auf Galacsya zu. Er fliegt gegen den Dragen und lässt mich los. Ich falle und halte mich gerade noch an den Klauen des Dragens fest. Ich zücke mein Schwert und steche es in die Hand. Er schreit auf und versucht mich abzuwerfen. Doch ich bleibe stark und scheide ihm eine Kralle ab. Es tut mir in der Seele weh, einem so wunderschönen Wesen solch einen Schmerz zuzufügen. Vielleicht hatte es ja nie die Absicht, uns zu schaden, vielleicht wurde es dazu gezwungen.

Ich schließe die Kralle in meiner Hand ein und gebe Tokatos ein Zeichen. Er lässt den Dragen los und fliegt tief. Er breitet seine Flügel aus und schwebt direkt unter mir. Ich nehme meinen Mut zusammen und lasse mich fallen. Der Wind bremst meine Geschwindigkeit ein bisschen und dann pralle ich auf den Rücken von Tokatos.

'Ich habe sie', denke ich stolz.

'Super. Dann ist es gleich vorbei.'

Tokatos fängt sich wieder von meinem Aufprall und schießt auf Galacsya und ihren Dragen zu. Wir fliegen wieder durch eine Feuerwolke, doch wir halten dem Feuer stand. Tokatos schmeißt sich mit aller Kraft gegen den Dragen von Galacsya und ich halte die Klaue gegen den Bauch von dem Wesen. Dann hole ich aus und steche ihn mit voller Kraft mehrmals in den Körper des Dragens. Er schreit laut auf, sodass ich mir fast die Ohren zu halten muss.

„Es ist noch nicht vorbei!", brüllt Galacsya mir zu.

„Oh, doch ich glaube schon", erwidere ich.

Sie will mir ihr Messer in meinen Arm rammen, doch ihr Drage gibt seinen Geist auf und fällt in die Tiefe. Ich gucke ihnen nach. Sie fallen genau auf die Menschen zu.

„Vorsicht!", schreie ich und schlage mir in dem Moment die Hände vor den Mund.

Das Wort hallt in meinem Kopf wieder: Vorsicht! Vorsicht! Vorsicht!


Die ElementehüterinWhere stories live. Discover now