Kapitel 54

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Wir fliegen auf die dunkle Wand zu. Je näher sie uns kommt, desto stärker halte ich mich an Tokatos Hörnern fest. Ich ziehe noch einmal die Karabiner fest und Tokatos zieht seine Flügel eng an. Keine Sekunde später schießen wir durch den Kometensturm. Tokatos schafft es allen Kometen auszuweichen. Wir haben es aber noch nicht ganz geschafft. Ein Komet rast ganz nah an uns vorbei. Wenn wir nur einen Kometen berühren würden, wäre alles aus.

Wir haben es fast geschafft, da kommt ein riesiger Felsen auf uns zu. Ich höre nur noch, wie Luca mir etwas zuruft und dann wird alles schwarz vor meinen Augen.

~

Ich höre Vogelgezwitscher, plätscherndes Wasser und spüre die Sonne auf meiner Haut. Ich öffne meine Augen und das Erste, was ich sehe ist Luca. Er guckt mich besorgt an.

„Kate", sagt er und runzelt die Stirn.

„Luca, ich- was ist passiert? Wo sind wir?", stottere ich benommen.

„Wir haben es gerade noch so eben auf die Erde geschafft. Du wurdest am Kopf von einem Kometen getroffen und warst bewusstlos. Deine Karabiner haben sich gelöst und du bist frei im Weltall herum geschwebt. Tokatos konnte dich gerade noch vor einem schwarzen Loch retten. Wenn er nicht gewesen wäre, wärst du jetzt nicht mehr am Leben."

Jetzt, wo Luca es sagt, fängt mein Kopf an zu schmerzen. Und meine Schulter tut auch weh. Luca hilft mir, mich hinzusetzen.

„Danke", hauche ich erschöpft. „Wie spät ist es?"

Luca erhascht einen Blick in den Himmel.

„Ich würde sagen, es ist so circa 14.00 Uhr", behauptet er.

„Wie lange waren wir unterwegs?", frage ich überrascht.

„Zehn Stunden. Die restlichen vier Stunden warst du bewusstlos."

Ich will aufstehen, um mich ein bisschen umzusehen. Wir befinden uns auf einem großen Stein in mitten eines Waldes. Neben uns fließt ein kleiner, plätschernder Fluss und der Himmel ist blau, wie das Meer. Es ist sehr warm hier. Es das totale Gegenteil von dem, was ich mir vorgestellt habe. Ich dachte, hier ist es dunkel und kalt.

Heute Nacht um zwölf Uhr werden ungefähr 10.000 Tote auferstehen.

Ich springe vorsichtig von dem Felsen und lande auf weichem Waldboden. Er ist von saftigem Moos besetzt. Ich gehe zu Tokatos, der gerade etwas Wasser aus dem Fluss trinkt. Er trägt jetzt eine Tasche unterhalb des Sattels. Eine Satteltasche. Ich streiche Tokatos behutsam über den Hals und bedanke mich bei ihm, dafür, dass er mich gerettet hat. Dann öffne ich die Tasche. Ganz oben auf liegt eine Karte. Ich hole sie heraus und öffne sie. Ein Land wurde auf der Karte gezeichnet. Ziemlich in der Mitte der Landkarte wird ein rotes Kreuz dargestellt. „Friedhof" steht neben dem Kreuz geschrieben. Ich schaue in den Himmel, um zu bestimmen, wo wir uns gerade befinden. Wir sind in einem kleinen Wald, der sich „Der Wald der Träume" nennt. Wir sind 10.000 Meilen von dem Friedhof entfernt und heute Abend müssen wir diese Anzahl an Meilen zurückgelegt haben.

„Luca, sieh dir das hier mal an", rufe ich ihn.

Er kommt zu mir und schaut über meine Schulter auf die Karte.

„10.000 Meilen. Das schaffen wir niemals bis zwölf Uhr."

„Es ist jetzt kurz nach zwei und wir haben bis zwölf Uhr zeit. Also würde ich sagen, machen wir uns gleich auf den Weg."

„Okay. Wenn wir die Drachen nehmen schaffen wir das dann?", zweifle ich.

„So einfach ist das nicht. Ich hatte Mühe, einen Ort zu finden, an dem sich keine Menschen aufhalten. Die Erdmenschen dürfen keine Wesen zu Gesicht bekommen. Uns darf hier auch niemand sehen. Und Tokatos und Poseidon sind hier nicht so schnell, wie in Moala. Das hat etwas mit der Schwerkraft zu tun und wie sie auf die Drachen wirkt. Das heißt wir haben zwei Probleme, einmal die Menschen und einmal die Geschwindigkeit, aber wenn wir Strecken fliegen, die nicht mit vielen Menschen besiedelt ist, sollten wir es schaffen."

„Einen Moment noch."

Ich lege die Karte sorgfältig zusammengefaltet zurück in die Satteltasche und fische eine Flasche heraus, die ich am Fluss mit frischem Wasser fülle

.

„Jetzt können wir."

Ich schwinge mich auf Tokatos Rücken und will mich einklinken, doch ich greife ins Leere. Ich habe keine Karabiner mehr. Luca wirft mir etwas silbern glänzendes zu. Ich fange es. Es sind zwei Karabiner. Ich befestige sie schnell an meinem Geschirr und klinke mich ein.

„Wo hast du die denn her?", frage ich erstaunt.

„Ich hatte sie vorsichtshalber eingepackt", zwinkert er mir zu.

'Okay, dann geht's los Toki', denke ich.

Tokatos öffnet seine Flügel und schlägt auf und ab. Wir gewinnen langsam an Höhe und neben uns schweben Poseidon und Luca.

Ich schaue in den Himmel, um mich zu orientieren, wo wir hin müssen. Ich gebe Tokatos die Richtung und er fliegt los.

Wir überfliegen Felder und Flüsse und Wälder. Die Erde ist ein schöner Planet, das habe ich vorher nie gemerkt.

Als wir über ein großes Feld fliegen, erkenne ich, dass ein Mann darauf arbeitet. Ich rieche von hier oben, dass er völlig durchgeschwitzt ist. Mein Geruchssinn, mein Gehör und meine Augen werden immer besser. Ich kann sogar sehen, dass der Arbeiter blaue Augen hat.

Dann haben wir das Feld aber auch schon hinter uns gelassen und ich genieße den Wind, der mir die ganze Zeit über mein Gesicht streift. Niemand hat uns bis jetzt gesehen.

Würde ich mein Dorf wieder erkennen wenn ich es sehen würde? Ich weiß es nicht. Ich habe keine Erinnerung an meine Mutter mehr. Ich weiß nur noch ein paar Dinge von meiner Schwester. Ihre Haar- und Augenfarbe. Braune, wellige Haare, die ihr immer über die Schulter fallen und schokobraune Augen. An mehr kann ich mich nicht erinnern. Es wäre schrecklich, wenn sie mir gegenüber stehen würde und sie mich nicht erkennen würde, weil ich mich vom Äußeren so sehr verändert habe.

Ich lasse meine Gedanken hinter mir und konzentriere mich mehr auf den Flug um Friedhof.

'Tokatos, landest du bitte? Ich muss die Karte noch einmal sehen.'

'Na klar. Bei der nächsten Gelegenheit landen wir', stimmt er zu.

Ein Wald kommt auf uns zu. Das ist der perfekte Ort für einen kleinen Zwischenstopp.

„Luca, wir wollen eine kurze Pause machen", rufe ich Luca nach hinten zu.

„Alles klar", bekomme ich als Antwort.

Langsam verlieren wir an Höhe und landen in dem dicht bewachsenen Wald, damit uns niemand sieht. Ich krame die Karte heraus und studiere sie. Als ich den Wald gefunden habe, in dem wir gelandet sind, lese ich ab, dass wir schon 500 Meilen gemeistert haben. Ich schaue mir den Stand der Sonne an. 14.30 Uhr. Wir haben innerhalb von einer halben Stunde 500 Meilen geschafft, dann schaffen wir den Rest, wenn wir uns ein bisschen beeilen. Ein oder zwei Pausen können wir aber verkraften. Meine Sorgen verschwinden langsam.

Ich falte die Karte ordentlich zusammen und stecke sie zurück in die Tasche.

„Wie können eine kurze Pause einlegen", rufe ich Luca zu, der gerade dabei ist eine Flasche mit Flusswasser zu füllen.

„Okay."

Die ElementehüterinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt