Kapitel 79

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Ich gucke einen Moment traurig auf die rote Flüssigkeit und wende mich dann an Fynn.

„Wie konntest du nur?", zische ich ihn an, obwohl ich weiß, dass er das für mich getan hat.

„Wie bitte? Kate, ich habe dir gerade das Leben gerettet!"

„Ja, ich weiß und ich bin dir auch dankbar dafür. Es ist einfach, ich empfinde noch etwas für ihn, ich weiß nur nicht, ob es gut oder schlecht ist", sage ich traurig.

„Du musst ihn loslassen. Er ist ein verlogener, egoistischer Betrüger. Er hat so ein tolles Mädchen wie dich überhaupt nicht verdient."

Er umarmt mich tröstend und ich fange an, mich ein bisschen zu entspannen. Ich lege meinen Kopf wieder auf seine Schulter und frage dann: „Wie geht es jetzt weiter?"

„Ich muss die Geiseln finden. Ich habe zehn Tage, sie zu finden. Sonst werden sie getötet."

„Das hatte Luca mit 'Ihr habt zehn Tage', gemeint?"

„Ja, genau."

„Aber, wieso nur du? Ich will auch helfen", protestiere ich stark, obwohl ich mich nicht stark fühle.

„Du bist zu schwach. Du kannst nicht mitkommen."

Genau diese Antwort hatte ich befürchtet.

„Du bist also der Meinung, dass ich hier in dem Betongefängnis vergammeln soll", stelle ich fest.

„Nein, so habe ich das doch nicht gemeint. Ich meinte nur-"

„Gut, dann ist ja alles klar", unterbreche ich ihn. „Ich komme mit dir und gemeinsam werden wir alle Menschen befreien."

Ich lasse Fynn nicht mehr zu Wort kommen, der immer wieder versucht, mich zu unterbrechen.

„Aber, was wenn du getötet wirst? Ich meine, ohne dich sind wir alle aufgeschmissen. Du bist die Elementehüterin. Du bist meine Göttin. Nur du kannst diesen Ort zerstören und das Universum retten", spricht Fynn weise.

„Du hast doch gesagt, dass du es nicht zulassen würdest, dass mir etwas passiert. Habe ich recht?", lächle ich siegessicher.

„Ja, das habe ich", gibt er lachend zu.

Dann herrscht Stille zwischen uns. Ich weiß nicht, was ich noch sagen soll. In Momenten, wie diesen, wo keiner etwas sagt, weiß ich immer nicht, wo ich hingucken soll. Also gucke ich verlegen auf den Boden und dann wieder zu Fynn.

„Was sollen wir jetzt tun?", beendet er die unangenehme Stille zwischen uns.

„Wieso fragst du mich das?"

„Weil du hier die Göttin bist."

„Okay, wenn du meinst. Lass uns erst einmal ungesehen hier herauskommen und dann gucken wir weiter", schlage ich vor.

Er nickt und löst sich aus unserer Umarmung. Er steht auf und hält mir seine Hand hin. Ich greife nach seiner Hand und er zieht mich anschließend hoch.

Fynn geht grübelnd durch den Raum und identifiziert immer wieder die Wände. Ich sehe keine Tür, fällt mir auf. Wie sind wir hier überhaupt reingekommen?

„Komm mit, ich habe eine Idee", ruft Fynn.

Ich laufe zu ihm in eine Ecke. Er klopft an einer bestimmten Stelle drei mal gegen die Betonwand und tritt dann einige Schritte zurück. Er zieht mich mit sich, weil ich noch immer direkt vor der Wand stehe, die sich anfängt zu bewegen. An der Stelle, wo Fynn eben gegen die Wand geklopft hat, fällt der Beton in kleinen Stücken auf den Boden, sodass ein Ausgang entsteht.

„Komm", sagt er und geht durch den Gang.

Der Gang besteht ebenfalls aus Beton. Es dauert nicht lange, da wird es hell und wir sind am Ausgang angekommen. Fynn bleibt vor mir stehen. Gedankenverloren renne ich aus versehen gegen ihn, weil er abrupt stehen geblieben ist.

„Warum gehst du nicht weiter", frage ich.

„Wir müssen vorsichtig sein und aufpassen, dass uns keiner entdeckt", flüstert er.

Ich schließe meinen Mund und nah aneinander schleichen wir durch den Wald. Das knorrige, rote Gras unter uns knackt bei jedem Schritt, den wir machen. Ich habe wieder das Gefühl, dass wir im Kreis laufen, doch ich vertraue Fynn, das er weiß, wo wir hin müssen. Als ich meinen Blick nach oben richte, stockt mir der Atem. Die Bäume sind alle kahl. Das Blätterdach bietet uns keinen Schutz mehr.

So streifen wir eine Weile durch den Wald, bis mein Magen plötzlich anfängt zu knurren. Wie lange habe ich schon nichts mehr gegessen? Mein Hals brennt, weil er nach Flüssigkeit ruft und meine Wunde macht sich auch wieder bemerkbar.

Ich ignoriere die Dinge erst noch, doch dann wird es zu viel. Ich will aber nicht aufgeben, doch ich kann einfach nicht mehr. Wir streifen bestimmt schon seit Stunden durch den Wald, ohne etwas gefunden zu haben.

Ich bleibe stehen und sacke dann auf den Boden.

Fynn dreht sich schlagartig um und sieht mich besorgt an.

„Ist alles okay?", fragt er und kniet sich neben mich.

„Ich habe Hunger, Durst und mein Schnitt tut wieder weh. Können wir eine Pause machen?"

„Natürlich. Komm, wir gehen einen Fluss suchen."

Er hilft mir hoch und legt meine Arm um seine Schultern, sodass er mich beim Gehen stützen kann. Gemeinsam folgen wir dem Geräusch von plätscherndem Wasser.

Dann kommt endlich ein kleiner Fluss in Sicht. Mir fällt ein Stein vom Herzen, als Fynn mich neben den Fluss setzt. Durstig stürze ich auf das Wasser. Ich mache meine Hände zu einer Schaufel und fülle diese mit Wasser. Dann trinke ich das Wasser und sofort wird das Brennen in meinem Hals gelindert. Die Schmerzen in meinem Rücken geben auch ein bisschen nach. Ich trinke noch einmal.

Ich habe jetzt zwar keinen Durst mehr, aber mein Hunger ist trotzdem noch da. Wir müssen wohl jagen, wenn es hier überhaupt Tiere oder so etwas gibt.

Fynn mustert mich und sieht den Hunger in meinen Augen.

„Ich besorge dir etwas zu essen", meint er und zückt sein Jagdmesser.

„Das ist lieb", bedanke ich mich erleichtert.

„Aber versprich mir, dass du dich nicht von der Stelle bewegen wirst."

„Versprochen", bestätige ich und Fynn entfernt sich langsam von mir.


Die ElementehüterinWhere stories live. Discover now